Keine Übertragung von außergewöhnlichen Umständen auf nachfolgende Flüge

AG Frankfurt: Keine Übertragung von außergewöhnlichen Umständen auf nachfolgende Flüge

Zwei Fluggäste verklagen ein Luftfahrtunternehmen auf Schadensersatz wegen einer 3-stündigen Flugverspätung. Das Unternehmen verweigert die Zahlung mit Verweis auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände während eines Fluges am Vortag.
Das Amtsgericht Frankfurt spricht den Klägern einen Schadensersatzanspruch zu. Außergewöhnliche Umstände seien nicht von einem Flug auf den nächsten übertragbar.

AG Frankfurt 31 C 2/11 (16) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 25.05.2011
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 25.05.2011, Az: 31 C 2/11 (16)
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Amtgericht Frankfurt

1. Urteil vom 25.05.2011

Aktenzeichen: 31 C 2/11 (16)

Leitsatz:

2. Ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 der sich vor dem anspruchsbegründenden Flug ereignet, kann nicht auf diesen übertragen werden.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug. Dieser Flug wurde mit einer Verspätung von rund drei Stunden ausgeführt. Die Kläger verlangten in der Folge von der Beklagten eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Grund für die Verspätung war, dass die für den Flug vorgesehene Maschine verspätet zum Abflugflughafen ankam, da am Vortag Gewitter herrschte. Fraglich ist, ob in diesem Fall die Beklagte durch einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 von der Haftung gegenüber den Fluggästen befreit ist.
Das Amtsgericht in Frankfurt verneint dies. Ein möglicher außergewöhnlicher Umstand, der sich vor dem anspruchsbegründenden Flug ereignet, kann nicht auf diesen übertragen werden. Ein Vorliegen anderer außergewöhnlicher Umstände hatte das Luftfahrtunternehmen zu keinem Zeitpunkt vorweisen können.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1. und an den Kläger zu 2. und an den Kläger zu 3. jeweils 400,00 EUR, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 400,00 EUR seit 11.12.2010, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu 17,66 %, die Beklagte zu 82,34 % tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Streitwert wird auf 1.255,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Kläger machen gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Deutschland Ausgleichsansprüche aus der Fluggastrechteverordnung (EGV 261/2004) wegen erheblicher Flugverspätung geltend.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten den Flug DE … für den … von Antalya nach Frankfurt am Main. Die Distanz zwischen Abflugs- und Ankunftsort beträgt ca 2.300 km. Geplante Abflugzeit war … 20.50 Uhr. Tatsächlich flog das Flugzeug erst am Folgetag um 01.25 Uhr ab. Alle drei Kläger erreichten Frankfurt am Main etwa 5 Stunden später als vorgesehen. Vorgerichtlich forderten die Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 30.11.2010 (Bl. 6 d.A.) unter Fristsetzung bis zum 10.12.2010 erfolglos zur Zahlung auf.

7. Die Kläger haben nach Rücknahme der Klage im Termin in der Hauptsache in Höhe eines Betrages von 55,00 EUR zuletzt beantragt,

8. an die Klägerin zu 1. und an den Kläger zu 2. und an den Kläger zu 3. jeweils 400,00 EUR, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2010, zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

10. die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte hat unter Beweisantritt (Bl. 26 d.A.) behauptet, … der Flug habe sich deshalb verspätet, weil das für den Umlauf vorgesehene Fluggerät – infolge schlechter Wetterbedingungen auf Korfu am Vortrag – verspätet in Frankfurt am Main gelandet und von dort erst mit Verspätung nach Antalya weitergeflogen sei, „um den geplanten Flugumlauf DE … /DE …“ durchzuführen (Bl. 26 d.A.). Die Beklagte ist der Ansicht, daraus folge ein „außergewöhnlicher Umstand“ der Flugverspätung, der zur Leistungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 führe.

12. Die Beklagte ist weiter der Ansicht, etwaige Ansprüche der Kläger seien analog Art. 7 Abs. 2a EGV 261/2004 um die Hälfte zu kürzen, und begründet dies wie folgt: „Da Art 7 für den Fall, dass im Falle einer Annullierung ein Ersatzflug mit einer Ankunftsverspätung von weniger als 2 Std. angeboten wird, eine 50%ige Kürzung des Ausgleichsanspruchs vorsieht, ist auch im Falle der Verspätung eines Fluges Art. 7 Abs. 2 analog anzuwenden und die Verspätungsdauer von 2 Std. auf den anspruchsbegründenden Nullpunkt von 3 Std. hinzuzurechnen“ (Bl. 27 d.A.).

13. Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist – bis auf einen geringen Teil der Zinsen – in vollem Umfang unbegründet.

15. Die Kläger haben gegen die Beklagte jeweils einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 400,00 EUR nach Art. 7 EGV 261/2004. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben auch Fluggäste verspäteter Flüge einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 EGV 261/2004, wenn sie – wie hier – wegen der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – Rs. C- 402/07 -, Tenor Ziffer 2). Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 freigeworden. Sie hat nicht dargetan, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt ein „außergewöhnlicher Umstand“ nur vor, wenn er auf Vorkommnisse zurückgeht, die aufgrund der Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 -, juris, Abs.-​Nr. 26). Ziel des strengen Art. 5 EGV 261/2004 ist, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung zu tragen, da die Annullierung – und entsprechend die gravierende Verspätung – von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 -, juris, Abs.-​Nr. 18). Außergewöhnliche Umstände sind im Lichte dieser Zielsetzung nur anzunehmen, wenn sich die Umstände auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeiden lassen (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 -, juris, Abs.-​Nr. 19-​20). Gemessen an diesen strengen Anforderungen hat die Beklagte einen außergewöhnlichen Umstand schon nicht hinreichend dargetan, so dass auf ihre Beweisangebote nicht einzugehen war. Dass eine andere Maschine nicht verfügbar war, hat sie weder behauptet noch dargelegt, zumal selbst ein pauschaler Vortrag zur „Nichtverfügbarkeit“ einer anderen Maschine den strengen Anforderungen an die Unzumutbarkeit von die Verspätung abwehrenden Maßnahmen (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2010 – Xa ZR 15/10 -, RRa 2011, S. 33 [34-​35] Abs.-​Nr. 26, 28-​29) ersichtlich nicht gerecht würde.

16. Der Anspruch der Kläger ist entgegen der Rechtsansicht der Beklagten auch nicht „analog“ Art. 7 Abs. 2 a EGV 261/2004 um die Hälfte zu kürzen. Die Analogie greift nicht. Zum einen gibt die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v, 19.11.2009 – Rs. C-​402/07 -, Tenor Ziffer 2) keinen Anlass zur Annahme, dass eine Anwendung von Absatz 2 der Vorschrift auf Flugverspätungen in Betracht gezogen werden sollte. Zum anderen liegen die Voraussetzungen einer Analogie nicht vor. Dazu wäre eine Vergleichbarkeit des vorliegenden mit dem in Art. 7 Abs. 2 a EGV 261/2004 geregelten Sachverhalt erforderlich. Der dort geregelte Sachverhalt – Annullierung, aber Ersatzflug mit weniger als zwei Stunden Ankunftsverspätung – ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt – mehr als dreistündige Verspätung – nicht vergleichbar. Auch als „Erheblichkeitsschwelle“ kommt eine analoge Anwendung nicht in Betracht. Dass nicht jede Flugverspätung Ansprüche nach der Verordnung auslösen soll, hat der EuGH mit dem Erfordernis eines „mehr als dreistündigen Zeitverlusts“ klargestellt. Für die Einbeziehung einer darüber hinausgehenden, weiteren Erheblichkeitsschwelle, wie ihn die Beklagte mit ihrer Rückrechnung anstellen will, besteht demnach kein Spielraum mehr.

17. Anspruch auf Zinsen haben die Kläger allerdings erst ab 11.12.2010, nachdem der Zugang einer früheren Mahnung von ihnen nicht substantiiert dargetan ist. Ein Hinweis des Gerichts auf die Klageabweisung hinsichtlich dieser Nebenforderung war entbehrlich (§ 139 Abs. 2 ZPO).

18. Die – wegen des in GKG und RVG ab 1.200 EUR vorgesehenen Gebührensprungs – nach der Mehrkostenmethode ermittelte Entscheidung zu den Kosten beruht – unter Annahme einer Geschäftsgebühr von 1,3, einer Terminsgebühr von 1,2, einer Pauschale von 20,00 EUR und einer daraus errechneten Umsatzsteuer von 19% – auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 269 Abs. 3 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

19. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO.

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