Geplatzter Flugzeugreifen ist kein außergewöhnlicher Umstand

AG Königs Wusterhausen: Ein geplatzter Flugzeugreifen ist kein außergewöhnlicher Umstand

Ein Fluggast nahm ein Luftverkehrsunternehmen auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der EGV 261/2004 in Anspruch, weil sein Flug, wegen eines geplatzten Flugzeugreifens, verspätet durchgeführt wurde. Das Luftverkehrsunternehmen verweigert die Zahlung mit der Begründung, dass ein geplatzter Flugzeugreifen ein Außergewöhnlicher Umstand i.S.d.  Art. 5 der EGV 261/2004 sei.

Das AG Königs Wusterhausen hat dem Kläger Recht zugesprochen und entschieden, dass ein geplatzter Reifen keinen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 der EGV 261/2004 darstellt.

AG Königs Wusterhausen 20 C 84/11 (Aktenzeichen)
AG Königs Wusterhausen: AG Königs Wusterhausen, Urt. vom 31.05.2011
Rechtsweg: AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 31.05.2011, Az: 20 C 84/11
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Amtsgericht Königs Wusterhausen

1. Urteil vom 31.05.2011

Aktenzeichen: 20 C 84/11


Leitsatz:

2. Ein geplatzter Reifen bei einem Flugzeug stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der EGV 261/2004 dar.

                                                                                                                                         

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug. Der Abflug sollte 22:10 erfolgen, wurde jedoch erst am Folgetag um 07:25 Uhr durchgeführt, weil die Räder des Flugzeugs bei der Landung geplatzt sind und ausgetauscht werden mussten. Wegen der Verspätung begehrt der Kläger von dem Beklagten eine Ausgleichszahlung im Sinne des Art. 7 der EGV 261/2004. Das Luftfahrtunternehmen weigert sich der Zahlung und trägt vor, dass mit dem geplatzten Reifen ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der EGV 261/2004 vorgelegen hat.

Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat im Sinne des Klägers entschieden und ihm die begehrte Ausgleichszahlung zugesprochen. Ein geplatzter Reifen bei einem Flugzeug stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, da sich bei diesem Ereignis ein Risiko verwirklicht hat, was zu dem normalen Betriebsablauf im Luftverkehr gehört.

                                                                                                                                                                    

Tenor:

4. Das Versäumnisurteil vom 28. März 2011 in der durch Berichtigungsbeschluss vom 01. April 2011 berichtigten Fassung bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass sich seine vorläufige Vollstreckbarkeit nach vorliegendem Urteil richtet.

Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Ansprüche wegen eines verspätet durchgeführten Fluges nach EGV Nr. 261/2004.

6. Der Kläger buchte für sich sowie seine Ehefrau und seine minderjährige Tochter für den 31. Juli 2010 einen Flug von Berlin-​Schönefeld nach Antalya. Der Abflug sollte um 22:10 Uhr erfolgen, wurde tatsächlich aber erst am Folgetag um 07:25 Uhr durchgeführt. Der Kläger machte vergeblich vorgerichtlich die Ansprüche nach EGV Nr. 261/2004 Art. 7 Abs. 1 b) in Höhe von 400,- € je Person geltend. Die Ansprüche sind Streitgegenstand, die Ansprüche der Ehefrau und seiner Tochter macht der Kläger aus abgetretenem Recht geltend. Die Abtretung erfolgte durch Urkunde vom 10. Februar 2011 (vgl. Blatt 14 d. A.).

7. Am 28. März 2011 ist auf Antrag des Klägers im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil ergangen, mit dem die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 1.200,- € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2010 zu zahlen. Durch Berichtigungsbeschluss vom 28. März 2011 ist der Tenor dahingehend ergänzt worden, dass die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger weitere 155,30 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2011 zu zahlen. Gegen das ihr am 31. März 2011 zugestellte Versäumnisurteil legte die Beklagte mit bei Gericht am 06. April 2011 eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz Einspruch ein und begründete diesen nach Fristverlängerungsantrag mit Schriftsatz vom 28. April 2011, am selben Tag bei Gericht eingegangen.

8. Der Kläger beantragt nunmehr,

9. das Versäumnisurteil vom 28. März 2011 aufrechtzuerhalten.

10. Die Beklagte beantragt,

11. das Versäumnisurteil vom 28. März 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12. Sie ist mit näheren Ausführungen der Auffassung, das Versäumnisurteil sei nicht in gesetzlicher Weise ergangen, nachdem die Klage unschlüssig sei, weil der Klageschrift die in Bezug genommenen Anlagen nicht beigefügt seien.

13. Die Beklagte behauptet mit näheren Ausführungen, die Verspätung des durch den Kläger gebuchten Fluges sei auf einen technischen Defekt zurückzuführen gewesen. Die Räder des Bugfahrwerks des Flugzeuges seien bei der Landung in Frankfurt am Main geplatzt, was zur Störung des Umlaufs des Flugzeuges mit der Folge der Verspätung geführt habe. Beide Reifen des Bugfahrwerkes hätten ausgetauscht werden müssen. Es habe sich daher um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt, dem auch durch Wartungsarbeiten nicht habe vorgebeugt werden können.

14. Ansprüche auf Erstattung der geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltsgebühren stünden dem Kläger nicht zu, nachdem der Kläger seinen Anwalt mindestens einen bedingten Prozessauftrag erteilt hatte, so dass VV 2300 RVG nicht anwendbar sei. Es habe auch der Schadensminderungspflicht entsprochen, seinem Anwalt unbedingten Prozessauftrag zu erteilen, nachdem die Beklagte dem Kläger gegenüber bereits endgültig eine weitere Kostenerstattung als 60,- € (3 x 20,- €) verweigert gehabt habe. Wegen der weiteren Ausführungen der Beklagten insoweit wird auf die Seiten zwei und drei (Blatt 55/56 d. A.) ihres Schriftsatzes vom 28. April 2011 Bezug genommen.

15. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren gewechselte Schriftsätze, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

16. Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 28. März 2011 ist zulässig, weil form- und fristgerecht erhoben. Der Prozess ist durch den Einspruch der Beklagten in den Stand vor deren Säumnis zurückversetzt worden.

17. Die zulässige Klage ist begründet.

18. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch gemäß EGV Nr. 261/2004 Art. 7, Art. 5 zu. Danach Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wie auch ihm folgend des Bundesgerichtshofs sind mehr als dreistündige Verspätungen der Annullierung eines Fluges gleichzustellen (vgl. m. w. Nw. nur: BGH NJW 2010, 2281 f.), so dass dem Kläger, wegen seiner Ehefrau und seiner Tochter aus abgetretenem Recht, §§ 398 ff. BGB, unter Berücksichtigung der Flugstrecke ein Anspruch von 400,- € je zu befördernder Person zusteht, EGV Nr. 261/2004 Art. 7 Abs. 1 b).

19. Dem steht auch der Einwand der Beklagten, die Verspätung beruhe auf einem außergewöhnlichen Ereignis, nicht entgegen. Unabhängig davon, dass der gesamte Sachvortrag zur technisch bedingten Verspätung ohne die erforderliche Substanz ist – erforderlich wäre detaillierter Vortrag dazu gewesen, wann die Maschine am Flughafen, an dem die Reifen platzten, gelandet ist, wann der Austausch der Reifen in Auftrag gegeben wurde, wann die Reparatur durchgeführt wurde usw. – , hat der Kläger darüber hinaus das Platzen der Reifen überhaupt und insbesondere als Grund für die Verspätung bestritten. Die Beklagte hat einen weiteren Beweisantritt als die Vernehmung des Zeugen „N.N.“ nicht zur Akte gereicht, so dass sie schon deswegen mit ihrer Behauptung erfolglos blieb. Darüber hinaus hat der Kläger geltend gemacht, dass das Flugzeug, welches den Flug nach Antalya habe durchführen sollen, nicht aus Frankfurt, sondern vom Flughafen Köln/Bonn aus nach Berlin gekommen sei. Dem ist die Beklagte nicht weiter entgegengetreten.

20. Darüber hinaus, hierauf hatte die Kammer bereits durch Verfügung vom 29. April 2011 hingewiesen, wäre das Platzen von Reifen bereits kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne EGV Nr. 261, 2004 Art. 5 Abs. 3. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wie auch ihm folgend des Bundesgerichtshofs (vgl. nur m. w. Nw.: BGH a. a. O.), dass technische Defekte als solche keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne vorgenannter Vorschrift sind. Darüber hinaus, auch dies verkennt die Beklagte, stünde allein das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes dem Anspruch auf Ausgleichsleistung nach der Verordnung nicht entgegen. Vielmehr hätte dann im Weiteren die Beklagte darzulegen gehabt, dass sie alles ihr objektiv Zumutbare unternommen hat, um den Eintritt der Verspätung zu verhindern. Sachvortrag hierzu fehlt in Gänze.

21. Die Klage ist auch schlüssig, nachdem – entgegen den Ausführungen der Beklagten – der Klageschrift sämtliche in Bezug genommenen Anlagen beigefügt waren.

22. Dem Kläger steht der Anspruch auf die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren aus Verzug, § 286 BGB, zu, nachdem die Beklagte außergerichtlich vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden war. Der Kläger durfte sich zur Betreibung der Forderung auch vorgerichtlich eines Rechtsanwaltes bedienen.

23. Unerheblich ist, dass gegebenenfalls der Kläger die Kostennote seiner Anwälte noch nicht erfüllt hat (OLG Brandenburg, Urteil v. 30.09.2008, Aktenzeichen – 6 U 136/07 – , zitiert nach juris, Rdnrn. 110, 111).

24. Der Anspruch auf die Zinsforderung folgt aus Verzug, §§ 286, 288 BGB.

25. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

26. Streitwert: 1.200,- €.

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