Fluglotsenstreik begründet einen außergewöhnlichen Umstand

AG Königs Wusterhausen: Fluglotsenstreik begründet einen außergewöhnlichen Umstand

Ein Fluggast verlangt von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichzahlung wegen einer Flugverspätung. Das Unternehmen begründet die Verspätung mit einem Fluglotsenstreik, welcher als haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstand einzustufen sei.
Das Amtsgericht Königs Wusterhausen weist die Klage ab. Bei dem Streik handele es sich um einen, von der Beklagten unmöglich zu kontrollierenden, außergewöhnlichen Umstand.

AG Königswusterhausen 4 C 308/10 (Aktenzeichen)
AG Königs Wusterhausen: AG Königs Wusterhausen, Urt. vom 31.01.2011
Rechtsweg: AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 31.01.2011, Az: 4 C 308/10
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Amtgericht Königs Wusterhausen

1. Urteil vom 31.01.2011

Aktenzeichen: 4 C 308/10

Leitsätze:

2. Ein Fluglotsenstreik begründet einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/204.

Liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor, so haben Fluggäste keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug. Dieser Flug wurde jedoch, entgegen der Ankündigung, nicht planmäßig durchgeführt. Grund hierfür war ein Streik der Fluglosten. Aus diesem Grund begehrt der Kläger von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen der Flugverspätung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Die Beklagte weigert sich und behauptet, dass sie in diesem Fall von der Zahlung befreit sei, da der Fluglotsenstreik einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 begründe.
Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat der Beklagten Recht zugesprochen. Im Fluglotsenstreik sei ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen, da dieser mit keinen dem Luftfahrtunternehmen zur Verfügung stehenden Mitteln hätte abgewendet werden können. Dieses Kriterium sei für den Haftungsausschluss ausschlaggebend.


Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1) zu 18 %, die Kläger zu 2) bis 4) jeweils zu 15 % und die Beklagte zu 37 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand:

5. Der Kläger zu 1) buchte bei der Beklagten für den 23.02.2010, 18.30 Uhr einen Flug von Paris-​Orly nach Berlin-​Schönefeld für sich und seine Familie, die Kläger zu 2) bis 4). Der gebuchte Flug mit der Nummer 4267 wurde annulliert.

6. Den Klägern wurde eine Umbuchung auf den 28.02.2010 angeboten, die jedoch abgelehnt worden ist, da die Kläger zu 1) und 2) berufstätig sind.

7. Der Kläger mietete einen Mietwagen und fuhr mit den Klägern zu 2) bis 4) von Paris nach Berlin. Er zahlte in Frankreich Autobahnmaut, in Holland eine Hotelübernachtung sowie Benzinkosten für den Mietwagen und Kosten für einen Restaurantbesuch am Abend des 24.02.2010.

8. Am 24.02.2010 konnte der Kläger zu 1) nicht arbeiten.

9. Der Klägervertreter machte mit Schriftsatz vom 07.05.2010 gegenüber der Beklagten unter Fristsetzung bis zum 30.05.2010 eine Forderung in Höhe von 1.706,84 € geltend, die sich wie folgt zusammensetzte:

10.

Ausgleichs­zahlung (4 x 250,00 €) 1.000,00 €
Hotel­über­nachtung in Eindhoven am 23./24.02.2010 248,00 €
PKW-Miete 286,07 €
Benzin­kosten 73,58 €
Autobahn­ge­bühren/Frank­reich 12,00 €
Restau­rant­rechnung 19,90 €
Verdienst­ausfall Kläger zu 1) 67,29 €

11. Darüber hinaus macht er Rechtsanwaltskosten geltend.

12. Nachdem eine Zahlung nicht erfolgte, reichten die Kläger mit einem am 24.06.2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage mit folgendem Antrag ein:

13. die Beklagte zu verurteilen,

dem Kläger zu 1) € 956,84 und (Geschäftsgebühr) € 229,55

den Klägern zu 2) bis 4) je € 250,00

nebst Zinsen auf alle Beträge in Höhe von 5 %-​Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2010 zu zahlen.

14. Am 23.06.2010 zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 180,96 €, mit dem der Preis für das Flugticket abgegolten werden sollte sowie am 24.06.2010 einen weiteren Betrag in Höhe von 445,24 € ohne Zahlungsbestimmung. Mithin sind insgesamt gezahlt worden 626,20 €.

15. Die Klage wurde am 30.07.2010 zugestellt.

16. Nachfolgend erkannte die Beklagte einen weiteren Betrag in Höhe von 13,35 € zuzüglich anteiliger Zinsen sowie Rechtsanwaltskosten unter Zugrundelegung eines Geschäftswerts in Höhe von 639,55 € an, so dass am 30.08.2010 ein Teilanerkenntnisurteil mit folgendem Hauptsachetenor erlassen worden ist:

17. Die Beklagte wird verurteilt,

an den Kläger zu 1) 13,35 €

nebst Zinsen in Höhe von 5 % – Punkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB seit dem 01.06.2010 sowie weitere 120,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % – Punkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB seit dem 01.06.2010 zu zahlen.

18. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Zahlungen auf seine Schadenersatzforderungen, die addiert einen Betrag in Höhe von 706,84 € ergeben hätten, zu verrechnen seien, so dass nach Abzug der geleisteten Zahlung noch ein Betrag in Höhe von 70,64 € verbliebe, die der Kläger zu 1) weiterhin als Ersatz für Mietwagenkosten fordere.

19. Die Kläger bestreiten mit Nichtwissen, dass der Flug Nummer 4267 allein wegen des Streiks der Fluglotsen annulliert worden sei.

20. Nachdem der Kläger die Klage in Höhe von 626,20 € zurückgenommen hat, beantragt er unter Berücksichtigung des bereits erlassenen Teilanerkenntnisurteils nunmehr,

21. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 307,29 € (320,64 € abzüglich des bereits durch Teilanerkenntnisurteil titulierten Betrages in Höhe von 13,35 €) sowie eine Geschäftsgebühr in Höhe von 108,88 € (229,55 € abzüglich des bereits mit Teilanerkenntnisurteil titulierten Betrages in Höhe von 120,67 €) sowie an die Kläger zu 2) bis 4) jeweils 250,00 € nebst Zinsen auf alle Beträge in Höhe von 5 % – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2010 zu zahlen.

22. Die Beklagte beantragt,

23. die Klage abzuweisen.

24. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Zahlung in Höhe von 626,20 € auf die Kosten für den Mietwagen, das Hotel, das Benzin sowie die Maut und den Restaurantbesuch in Höhe von insgesamt 639,55 € zu verrechnen sei. Aus dem überschießenden Betrag in Höhe von 13,35 € errechne sich der mit dem Teilanerkenntnisurteil anerkannte Betrag.

25. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass dem Kläger zu 1) Verdienstausfall entstanden sei.

26. Sie behauptet, dass die Kläger keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung hätten, da der streitgegenständliche Flug wegen außergewöhnlicher Umstände annulliert worden sei. Beginnend mit dem 23.02.2010 hätten die französischen Fluglotsen mehrtägig gestreikt. Am 23.02.2010 hätte jeder zweite Flug, so auch der streitgegenständliche, annulliert werden müssen. Bei ihr seien in der Zeit vom 23. bis 26.02.2010 insgesamt 124 Flüge gestrichen worden.

27. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

28. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.01.2011 (Blatt 134 ff. der Akte) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

29 Die zulässige Klage ist unbegründet.

30. Der Kläger zu 1) hat gegenüber der Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung weiterer 70,64 €.

31. Insbesondere besteht kein diesbezüglicher Zahlungsanspruch auf der Grundlage des § 280 BGB.

32. Das Gericht geht insoweit davon aus, dass deutsches Recht Anwendung findet, da gemäß Artikel 5 der Rom-​1-Verordnung der gewöhnliche Aufenthalt der zu befördernden Person für das anwendbare Recht maßgeblich ist, sofern keine Rechtswahl erfolgt.

33. Dies kann jedoch dahinstehen, da der Kläger zu 1) den geltend gemachten Betrag in Höhe von 70,64 € nicht schlüssig dargetan hat.

34. Der insoweit vom Kläger zu 1) errechnete Betrag in Höhe von 70,64 € ist bereits rechnerisch unrichtig, da die von ihm geltend gemachte Forderung in Höhe von insgesamt 706,84 € abzüglich von der Beklagten geleisteten Zahlungen in Höhe von 626,20 € ergibt einen offenen Betrag in Höhe von 80,64 €, ergibt: Abzüglich des mit Teilanerkenntnisurteil titulierten Betrages in Höhe von 13,35 € errechnet sich ein offener Betrag in Höhe von 67,29 €.

35. Darüber hinaus hat der Kläger zu 1) trotz der gerichtlichen Hinweise im Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 27.09.2010 sowie dem Hinweisbeschluss vom 18.10.2010 in keiner Weise zur Verrechnung der von der Beklagten geleisteten Zahlungen auf der Grundlage der §§ 366, 367 BGB vorgetragen. Es hätte gemäß § 367 BGB zunächst eine Anrechnung auf die Kosten, dann auf die Zinsen und zuletzt auf die Hauptleistung erfolgen müssen. Diese Anrechnung ist vom Kläger zu 1) jedoch nicht vorgenommen worden, so dass der soweit geltend gemachte Betrag in Höhe von 70,64 € sowohl rechnerisch als auch im Übrigen unschlüssig ist.

36. Die Kläger zu 1) bis 4) haben gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe von jeweils 250,00 € aus Artikel 5, Abs. 1 c in Verbindung mit Artikel 7, Abs. 1, Buchstabe A, Fluggästeverordnung EU, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Beklagte wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des Artikel 5 Abs. 3 der Fluggästeverordnung EU zur Zahlung nicht verpflichtet ist.

37. Für den vorliegenden Fall ist der Anwendungsbereich der Fluggästeverordnung/EU gemäß Artikel 3 der Verordnung eröffnet, da es sich um einen Flug handelt, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates der Verordnung angetreten worden ist.

38. Unstreitig wurde der vom Kläger zu 1) für den 23.02.2010 mit der Nummer 4267 gebuchte Flug annulliert, so dass die Bestimmungen des Artikel 5 der Fluggästeverordnung EU zur Anwendung kommen.

39. Nach dieser Bestimmung wird Bezug genommen auf Artikel 7 der Fluggästeverordnung EU, der einen Ausgleichsanspruch für die Fluggäste begründet.

40. Ein derartiger Ausgleichsanspruch ist jedoch gemäß Artikel 5 Abs. 3 der Fluggästeverordnung EU ausgeschlossen, sofern das Luftfahrtunternehmen, mithin die Beklagte nachweist, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

41. Ausweislich Ziffer 14 der Erwägungsgründe können sich Umstände im Sinne des Artikels 5 Abs. 3 der Fluggästeverordnung EU aus Streiks ergeben, die den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigen.

42. Unstreitig haben am 23.02.2010 die französischen Fluglotsen gestreikt.

43. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Streik die Ursache für die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges war. Insoweit hat der Zeuge H. umfassend erläutert, dass die französische Behörde, die DGAC, eine Annullierung von 50 % der Flüge wegen des Streiks der Fluglotsen verlangt hat.

44. Die Beklagte war somit gehalten, ihr Flugprogramm entsprechend zu reduzieren. Der Zeuge H. hat auch ausgesagt, nach welchen Kriterien insoweit entschieden wird. Er hat jedenfalls erklärt, dass der streitgegenständliche Flug ausschließlich wegen des Streiks und nicht auf Grund anderer Umstände annulliert worden ist.

45. Die Beklagte ist somit zu Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 der Fluggästeverordnung EU nicht verpflichtet.

46. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 sowie 269 Abs. 3 S. 3 BGB.

47. Soweit auch die Klage auf Grund der zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit seitens der Beklagten erfolgten Zahlung zurückgenommen worden ist, sowie soweit die Forderung durch die Beklagte anerkannt worden ist, werden ihr die Kosten auferlegt.

48. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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