Stornierung der Reise bei Komplikationen in der Schwangerschaft

AG München: Stornierung der Reise bei Komplikationen in der Schwangerschaft

Eine Ehepaar buchte für sich und ihren Sohn eine Reise nach Griechenland. Gleichzeitig schlossen sie auch einen Versicherungsvertrag für die Reise ab. Zum Zeitpunkt der Buchung war die Frau schwanger, verfügte allerdings über eine Bescheinigung vom Arzt, dass keine Bedenken bestehen würden.

Es kam zu Komplikationen während der Schwangerschaft und das Ehepaar musste die Reise stornieren, sie zahlten die Stornokosten und reichten sie zur Erstattung bei der Versicherung ein. Diese lehnte die Zahlung ab.

Das Ehepaar klagte daher erfolgreich vor dem Amtsgericht (kurz: AG) München.

AG München 224 C 32365/11 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 03.04.2012
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 03.04.2012, Az: 224 C 32365/11
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Amtsgericht München

1. Urteil vom 03. April 2012

Aktenzeichen 224 C 32365/11

Leitsätze:

2. Eine komplikationslose Schwangerschaft ist nicht als vorhandene Vorerkrankung anzusehen.

Kommt es zu Komplikationen während der Schwangerschaft, so tritt der Versicherungsfall ein.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten am 18.02.2011 eine Reise nach Griechenland. Die Reise sollte vom 07.05.2011 bis zum 21.05.2011 stattfinden. Gleichzeitig mit der Buchung wurde auch eine Reiserücktrittsversicherung bei der Beklagten abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Klägerin schwanger. Laut einer Bestätigung vom 17.02.2011 der behandelnden Ärztin bestanden zu diesem Zeitpunkt auch keinerlei ärztliche Bedenken gegen die Reise.

Ab dem 24.04.2011 kam es zu vorzeitigen Wehen bei der Klägerin und am 26.04.2011 riet die behandelnde Ärztin von der Reise ab. Die Kläger stornierten daraufhin die Reise und reichten die Stornokosten in Höhe von 2.535,00 € bei der Beklagten ein. Diese lehnte die Erstattung der Kosten ab, da die Schwangerschaft bereits bei Abschluss der Versicherung vorlag.

Die Kläger verklagten daraufhin die Beklagte vor dem AG München. Das AG München urteilte, dass eine komplikationslos verlaufende Schwangerschaft nicht als Vorerkrankung anzusehen sei und erst ab dem Eintreten der Komplikationen die Schwangerschaft Krankheitswert erreicht. Es bestand auch nicht lediglich der Verdacht auf vorzeitige Wehen, diese wurden ärztlich diagnostiziert und bescheinigt. Somit lag der Versicherungsfall vor. Die Beklagte wurde dazu verurteilt die 2.535,00 € Stornokosten zu zahlen und zusätzlich die außergerichtlichen Anwaltskosten der Kläger in Höhe von 383,66 € zu zahlen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 2.535,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.11.2011 zu bezahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 383,66 freizustellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 2.535,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche aus einem Reiserücktrittsversicherungsvertrag.

6. Die Kläger buchten am 18.02.2011 bei der … eine Reise nach Griechenland, die vom 07.05.2011 bis 21.05.2011 stattfinden sollte. Gleichzeitig mit der Reisebuchung wurde eine Reiserücktrittsversicherung bei der Beklagten für die Kläger und deren minderjährigen Sohn abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Reise- und des Versicherungsvertrags war die Klägerin zu 2) schwanger. Bedenken gegen eine Flugreise bestanden von Seiten der die Klägerin zu 2) behandelnden Ärztin nicht. Dies wurde der Klägerin zu 2) noch am 17.02.2011 bestätigt. Ab dem 24.04.2011 kam es bei der Klägerin zu 2) zu vorzeitigen Wehen und die behandelnde Ärztin riet am 26.04.3011 von der in Aussicht genommenen Reise aufgrund des Verdachts auf Gebärmutterhalsverkürzung und Plazenta praevia aus medizinischer Indikation ab, da die Gefahr von Blutungen und einer Frühgeburt bestand. Die Kläger stornierten daraufhin die gebuchte Reise und zeigten den Schaden, € 2.535,-​- Stornokosten des Reiseveranstalters, am 29.04.2011 bei der Beklagten an. Die Beklagte bat mit Schreiben vom 10.05.2011 um Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, wann die Schwangerschaft festgestellt worden sei und lehnte mit Schreiben vom 17.05.2011 ihre Einstandspflicht mit der Begründung ab, dass die Reise aufgrund einer Schwangerschaft storniert worden sei, welche bereits bei Reisebuchung und Versicherungsvertragsabschluss vorgelegen habe und daher kein unerwartetes Ereignis vorliege. Die Beklagte führte in dem Ablehnungsschreiben aus, nur bei Vorliegen eines unerwarteten Ereignisses könne eine Versicherungsleistung erfolgen. Die Kläger beauftragten daraufhin den Klägervertreter mit der zunächst außergerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen, der die Beklagte am 17.11.2011 zur Zahlung der Versicherungssumme aufforderte. Mit Schreiben der Beklagten vom 28.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass der Vorgang streitig werden möge.

7. Die Kläger sind der Auffassung, dass die Schwangerschaft an sich keine Erkrankung darstelle und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Risiko bestanden habe. Erst im Verlaufe der Schwangerschaft habe sich diese als Risikoschwangerschaft herausgestellt, wodurch es zur Stornierung kam. Nicht die Schwangerschaft als solche sei das nach § 2 der Versicherungsbedingungen der Beklagten Teil A versicherte Ereignis, sondern die erst deutlich nach der Buchung aufgetretenen Komplikationen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe keine Veranlassung bestanden, davon auszugehen, dass die Reise aufgrund der bereits bestehenden Schwangerschaft nicht würde durchgeführt werden können. Erst die Feststellung der Gefahr für Blutungen und Frühgeburt am 26.04.2011 stelle sich als vom Normalfall abweichender Verlauf der Schwangerschaft und damit als unerwartet schwere Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen dar. Erst hieraus ergebe sich das unerwartete Ereignis und damit die Einstandspflicht der Beklagten. Im Übrigen ergebe sich aus der Zusammenschau von § 2 Ziffer 1 und § 2 Ziffer 1 d/§ 2 Ziffer 3 d der Versicherungsbedingungen, dass mit dem versicherten Ereignis „Schwangerschaft“ nur eine mit Komplikationen verbundene Schwangerschaft gemeint sein könne. Sofern insoweit Zweifel bei der Auslegung aufkommen könnten, müssten diese gemäß § 305 a Absatz 2 BGB zu Lasten der Beklagten als Verwenderin gehen. Nach dieser Auslegung sei das versicherte Ereignis gerade erst nach Vertragsschluss eingetreten. Im Übrigen stelle die konkrete Befürchtung, dass Komplikationen bei Durchführung der Reise auftreten könnten, den unerwarteten Eintritt der Verschlechterung einer bereits bestehenden Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen dar.

8. Die Kläger beantragen,

9. die Beklagte zur Zahlung von € 2.535,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2011 zu verurteilen sowie dazu, die Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 383,66 freizustellen.

10. Die Beklagte beantragt

11. Klageabweisung.

12. Die Beklagte ist der Auffassung, dass ausweislich der Versicherungsbedingungen (§ 2 Nr. 2 d) … ausschließlich die Schwangerschaft als solche versichertes Ereignis sei. Für die Eintrittspflicht der Beklagten sei damit allein maßgeblich der Eintritt dieses Ereignisses. Dieses sei hier gerade nicht während der Dauer des Versicherungsschutzes eingetreten, sondern habe schon vorher bestanden. Allein schon wegen § 2 Absatz 2 VVG bestehe daher kein Versicherungsschutz. Zwar bestehe Versicherungsschutz nur, wenn die Reise infolge der Schwangerschaft unzumutbar werde, aber dies eben auch nur dann, wenn die Schwangerschaft nach Versicherungsabschluss eintrete. Maßgeblich sei daher nicht der Zeitpunkt, zu dem der Arzt etwa eine Erklärung zur Reiseunfähigkeit wegen der Schwangerschaft abgebe, sondern bereits die Feststellung einer solchen. Der Umstand, dass sich die bei Vertragsschluss bereits bestehende Schwangerschaft später als Risikoschwangerschaft herausstelle, sei kein versichertes Ereignis, auch nicht unter dem Aspekt der unerwartet schweren Erkrankung. Auch eine Risikoschwangerschaft sei keine Erkrankung. Und auch der Verdacht auf eine Gebärmutterhalsverkürzung oder auf eine Plazenta praevia stellten keine schwere Erkrankung dar. Der ärztliche Verdacht der schweren Form einer Krankheit genüge nicht, wenn sich keine Indizien für die schwere Form feststellen ließen. Bei einer Schwangeren bestünde immer das Risiko des Auftretens von Komplikationen; dieses könne nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden, sondern sei von den Klägern zu tragen. Die Aufzählung der versicherten Ereignisse in den Versicherungsbedingungen sei insoweit abschließend, das Risiko der Verschlechterung des Verlaufs einer Schwangerschaft sei durch den abgeschlossenen Vertrag gerade nicht versichert.

13. Ergänzend wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen. Die Beteiligten haben die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 Absatz 2 ZPO erteilt, als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht wurde der 27.03.2012 bestimmt.

Entscheidungsgründe

14. Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

I.

15. Die Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte auf Bezahlung der Stornokosten für die nicht durchgeführte Reise.

1.

16. Der Anspruch auf die Hauptforderung ergibt sich aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherungsvertrag.

17. Es liegt ein Versicherungsfall gemäß § 2 der Versicherungsbedingungen vor, da Versicherungsschutz dafür besteht, dass die versicherte Person während der Dauer des Versicherungsschutzes von einer unerwartet schweren Erkrankung bzw. einer Schwangerschaft betroffen wird und infolgedessen der Reiseantritt nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Zwar war vorliegend das Bestehen der Schwangerschaft bei Vertragsschluss bekannt. Jedoch lag zu diesem Zeitpunkt unbestritten und zeitnah zur Buchung ärztlicherseits bestätigt eine komplikationslos verlaufende Schwangerschaft vor, so dass keinerlei Bedenken gegen die Durchführung der Reise bestanden. Die in diesem Zusammenhang beklagtenseits zitierte Rechtsprechung betrifft Fälle, bei denen bereits bei Vertragsabschluss Komplikationen aufgetreten waren. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist versicherungsrechtlich das unerwartete Auftreten von Komplikationen während einer Schwangerschaft unter das versicherte Ereignis „unerwartet schwere Erkrankung oder Verschlechterung einer bestehenden Krankheit zu subsumieren“. Die Schwangerschaft an sich ist bei normalem Verlauf gerade keine Erkrankung. Eine komplikativ verlaufende Schwangerschaft erreicht jedoch Krankheitswert (vgl. insoweit insbesondere die ständige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung). Nach Auffassung des Gerichts ist die vorliegend gestellte und nicht bestrittene am 15.08.2011 gestellte ärztliche Diagnose auch hierunter zu subsumieren, da es danach bereits zu vorzeitigen Wehen gekommen ist. Eine objektivierbare ärztliche Diagnose liegt damit vor. Anders verhielte es sich, wenn nur ein Verdacht auf mögliche vorzeitige Wehen bestünde. Deren tatsächliches Auftreten begründet jedoch nach dem vorliegenden Attest bereits die beklagtenseits geforderten Indizien für die schwere Form. Ein versichertes Ereignis liegt damit vor. Letztlich realisierte sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch genau das versicherte Risiko. Es ist kein Unterschied erkennbar, ob eine Schwangerschaft erst nach Vertragsschluss auftritt und dann einen komplikativen Verlauf nimmt, oder ob sie bereits bestand und dann Komplikationen auftreten, da eine Schwangerschaft an sich eben keine Erkrankung darstellt.

18. Die vorliegend aufgetretenen Komplikationen im Verlauf der bereits bei Vertragsschluss vorliegenden Schwangerschaft sind damit von der abgeschlossenen Reiserücktrittversicherung umfasst. Aus den aufgeführten Gründen besteht kein Versicherungsausschluss nach § 2 Absatz 2 VVG, da nicht auf die Schwangerschaft an sich, sondern auf den Eintritt der Komplikationen abzustellen ist. Infolgedessen war die Durchführung der Reise – wie ärztlich bestätigt – nicht zumutbar.

19. Die Reise wurde storniert. Die den Klägern in Rechnung gestellten Stornokosten belaufen sich unstreitig auf die klageweise geforderten € 2.535,00.

2.

20. Die Klage ist auch bezüglich der Nebenforderungen vollumfänglich begründet. Die Beklagte lehnte bereits mit Schreiben vom 17.05.2011 jegliche Leistung ab, § 286 Absatz 2 Nr. 3 BGB. Sie befand sich daher jedenfalls zum beantragten Zeitpunkt und jedenfalls auch zur Zeit der außergerichtlichen Beauftragung der Klägervertreter in Verzug. Damit sind sowohl die geforderten Verzugszinsen als auch der Freistellungsanspruch betreffend die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begründet.

II.

21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO. Die Streitwertberechnung erfolgt gemäß § 3 ZPO

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Berichte und Besprechungen

Stiftung Warentest – Test.de: Reiser­ücktritts­versicherung: Nach Rück­tritt Streit um Storno­kosten
Augsburger Allgemeine: Komplikationen bei Schwangerschaft – Reisestornierung möglich
RP Online: Reiserücktritt bei vorzeitigen Wehen
Forum Fluggastrechte: Reisestornierung aufgrund von Schwangerschaft
Passagierrechte.org: Stornierung der Reise bei Schwangerschaftskomplikationen

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