Medizinische Notwendigkeit eines Flugrücktransports

OLG Hamm: Medizinische Notwendigkeit eines Flugrücktransports

Der Kläger erkrankte während seines Urlaubs auf den Kanarischen Inseln an einer Lungenentzündung. Nach Rücksprache mit den dortigen Ärzten sowie einem Arzt in Deutschland beschloss er, sich fluggebunden nach Deutschland zurücktransportieren zu lassen, wo die bereits am Urlaubsort begonnene Behandlung fortgesetzt wurde. Er verlangt von der beklagten Versicherung Erstattung der Transport- und Behandlungskosten. Die Beklagte verneint die medizinische Notwendigkeit des Rücktransports.

Das OLG Hamm schließt sich der Auffassung des LG Essen an, das dem Kläger Ersatz der Transport- und Behandlungskosten in Höhe von 18.170,01 € zugesprochen hatte, und lehnt die von der Beklagten eingelegte Berufung ab.

OLG Hamm 20 U 145/13 (Aktenzeichen)
OLG Hamm: OLG Hamm, Urt. vom 29.04.2015
Rechtsweg: OLG Hamm, Urt. v. 29.04.2015, Az: 20 U 145/13
LG Essen, Urt. v. 27.05.2013, Az: 18 O 156/12
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Oberlandesgericht Hamm

1. Urteil vom 29. April 2015

Aktenzeichen 20 U 145/13

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Leitsätze:

2. Stellt eine Reiserücktransportversicherung auf „einen aus medizinischen Gründen erforderlichen Rücktransport“ ab und darauf, dass vor Ort eine ausreichende Behandlung nicht gewährleistet ist, dann kommt es darauf an, ob ex ante die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt des Rücktransports vertretbar erscheinen lassen, den Rücktransport als notwendig anzusehen.

Maßgeblich sind die seinerzeitigen Erkenntnismöglichkeiten des Versicherungsnehmers oder der für diesen handelnden Personen.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger erkrankte während seines Urlaubs auf den Kanarischen Inseln an einer Lungenentzündung. Nach einer Erstbehandlung im Hotel fuhr er mit dem Taxi in ein Krankenhaus, wo seine Behandlung aufgenommen wurde. In Absprache mit den behandelnden Ärzten sowie einem Arzt in Deutschland wurde der Kläger fluggebunden nach Deutschland zurücktransportiert und mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht, wo die Behandlung auf der Intensivstation weitergeführt wurde. Dort besserte sich sein Zustand.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, bei der er versichert ist, Ersatz der Taxikosten, der Rückführungskosten, der Transportkosten mit dem Rettungswagen sowie der Behandlungskosten, die am Urlaubsort und in Deutschland entstanden. Gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten werden Kosten für einen Rücktransport, der aus medizinischen Gründen erforderlich ist, erstattet, wenn am Ort der Erkrankung bzw. in zumutbarer Entfernung keine ausreichende medizinische Behandlung gewährleistet ist. Die Beklagte meint, die Rückführung sei medizinisch nicht erforderlich gewesen, was sich schon daran zeige, dass die am Urlaubsort begonnene Behandlung unverändert im Krankenhaus in Deutschland fortgesetzt wurde. Sie verweigert daher die Erstattung der Kosten.

Das OLG Hamm bejahte die medizinische Erforderlichkeit der Rückführung und sprach dem Kläger wie schon das LG Essen in der Vorinstanz den Ersatz der Kosten in Höhe von 18.170,01 € zu. Der Senat legt dabei wie auch bei der Bestimmung der Erforderlichkeit einer bestimmten Behandlung einen objektiven Maßstab zugrunde. Maßgeblich sind danach, ob die objektiven Befunde und Erkenntnisse des Arztes im Zeitpunkt der Entscheidung eine Rückführung als vertretbar erscheinen lassen. In diesem Fall ist diese als notwendig anzusehen. Berücksicht werden müssen dabei alle Erkenntnismöglichkeiten, die dem Versicherungsnehmer in diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen.

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.05.2013 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

5. Der Kläger begehrt – soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse – mit seiner Klage von der Beklagten die Erstattung von Transportkosten im Zusammenhang mit einer während einer Urlaubsreise nach B im Juli/August 2011 aufgetretenen behandlungsbedürftigen Erkrankung.

6. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenvollversicherung nach dem Tarif Vision 1 unter Geltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB), diese bestehend aus den MB/KK 2009 (Teil I) und den TB 2009 (Teil II) sowie der diese ergänzenden Tarifbestimmungen im Tarif Vision 1 (Teil III).

  • 1 Teil II Nr. 5 AVB lautet auszugsweise wie folgt:

7. „(1) Bei einem Auslandsaufenthalt werden im Rahmen der tariflichen Leistungen für Krankheitskostentarife auch die Kosten für einen aus medizinischen Gründen erforderlichen Rücktransport, soweit sie Reisemehrkosten sind, erstattet, wenn am Ort der Erkrankung im Ausland bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung nicht gewährleistet ist (…)“

8. In Teil III der Tarifbestimmungen ist unter Buchstabe A. Nr. 2 ferner die Erstattung der Kosten für medizinisch notwendige Transporte zum und vom nächstgelegenen aus medizinischer Sicht geeigneten Krankenhaus bedungen.

9. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien wird auf das Bedingungswerk der Beklagten (GA I 20 ff.) Bezug genommen.

10. Der Kläger erkrankte während eines für den Zeitraum 30.07. bis 25.08.2011 geplanten Urlaubsaufenthalts auf B an einer beidseitigen Lungenentzündung. Nach einer Erstbehandlung des Klägers durch den Hotelarzt, deren Kosten die Beklagte nach Klageerhebung erstattete, erfolgte ab dem 14.08.2011 eine stationäre Versorgung des Klägers im Hospital B2. Im Zusammenhang mit seiner Verbringung in dieses Krankenhaus wendete der Kläger Taxikosten in Höhe von 102,35 € auf. Nach Konsultation des Zeugen Dr. med. C in C2 durch die Ehefrau des Klägers und dessen Rücksprache mit den den Kläger vor Ort behandelnden Ärzten entschloss sich der Kläger am 16.08.2011 für einen fluggebundenen Rücktransport nach Deutschland. Der Rücktransport erfolgte durch die D GmbH am 19.08.2011 zum Flughafen F und von dort mittels RTW auf die Intensivstation des Universitätsklinikums G. Im Rahmen der dort erfolgten Betreuung besserte sich der Zustand des Klägers. Eine Entlassung aus der stationären Behandlung erfolgte am 26.08.2011.

11. Der Kläger verlangte in der Folgezeit von der Beklagten u.a. Erstattung der Kosten für den Rücktransport nach Deutschland in Höhe von 17.300,00 €, für die Behandlung durch den Hotelarzt in Höhe von 94,00 €, für die Verbringung vom Hotel in das Krankenhaus auf B in Höhe von 102,35 € sowie für ein Gutachten Dr. med. C in Höhe von 275,12 €. Die Beklagte verweigerte – nach vorangegangener Leistungsverweigerung vom 27.09.2011 – zuletzt mit Schreiben vom 19.04.2012 (GA I 37), nachdem der Kläger seine nunmehrigen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte, die Erbringung von Leistungen mit der Begründung, es habe für einen Rücktransport nach Deutschland keine medizinische Notwendigkeit bestanden, da die auf B begonnene Therapie im Universitätsklinikum G unverändert fortgeführt worden und eine Weiterführung der Therapie auch auf B möglich gewesen sei.

12. Der Kläger hat, nachdem die Beklagte die Kosten für dessen Behandlung auf B bedingungsgemäß erstattet hat und die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, mit seiner Klage – nach teilweiser Rücknahme der Klage und Klageerweiterung – erstinstanzlich zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 19.518,34 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie mit 519,68 € bezifferten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten im Umfang einer 0,65 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und USt. nach einem Gegenstandswert von bis zu 22.000,00 € begehrt.

13. Er hat erstinstanzlich behauptet, es habe – auch aufgrund seiner Krankenvorgeschichte – ein akut lebensbedrohlicher Gesundheitszustand bestanden. Das stattgehabte Krankheitsbild münde in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen in ein akutes Lungenversagen, welches vor Ort aufgrund der fehlenden medizinischen Infrastruktur nicht beherrschbar gewesen wäre. Für einen Rücktransport nach Deutschland sei dieserhalb eine dringende medizinische Notwendigkeit gegeben gewesen. Eine solche medizinische Notwendigkeit sei sowohl von den vor Ort behandelnden Ärzten als auch von dem Zeugen Dr. med. C wie den ihn, den Kläger, im Universitätsklinikum G behandelnden Ärzten bestätigt worden.

14. Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, dass für den Rücktransport des Klägers keine medizinische Notwendigkeit bestanden habe, da vor Ort bzw. auf einer der übrigen Kanarischen Inseln eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet gewesen sei. In Ansehung der Kosten auch für die Taxifahrt des Klägers hat die Beklagte gemeint, dass diese nicht dem vereinbarten Versicherungsschutz unterliegen würden und daher bedingungsgemäß nicht zu erstatten seien.

15. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 27.05.2013 (GA I 144 ff.) verwiesen.

16. Das Landgericht hat – nach Vernehmung des Zeugen Dr. med. C – mit dem angefochtenen Urteil der Klage in Höhe eines Teilbetrages von 17.677,47 € nebst geltend gemachter Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 492,54 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht – soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse – ausgeführt: Der Kläger könne Erstattung der Kosten für den Rücktransport gem. § 1 Teil II Nr. 5 AVB verlangen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass eine ausreichende medizinische Versorgung des Klägers auf B nicht gewährleistet gewesen sei. Denn nach den Bekundungen des Zeugen Dr. med. C habe eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass sich die Lungenentzündung des Klägers zu einem Lungenversagen mit unmittelbarer Lebensgefahr verschlechtere. Hierfür hätten sowohl die Krankheitsgeschichte des Klägers mit zwei vorangegangenen Lungenentzündungen als auch dessen radiologische, klinische und chemische Befunde während der Behandlung auf B gesprochen. Der Rücktransport des Klägers sei deshalb im Benehmen mit den den Kläger vor Ort behandelnden Ärzten erfolgt, zumal im Falle eines Lungenversagens der Kläger voraussichtlich nicht mehr transportfähig gewesen wäre. Dahinstehen könne, so das Landgericht weiter, ob die Lungenentzündung ohne Lungenversagen auf B noch ausreichend medizinisch habe behandelt werden können. Denn Versicherungsschutz für einen Rücktransport bestehe bedingungsgemäß bereits dann, wenn eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, für den keine ausreichende medizinische Behandlung mehr gewährleistet sei, nicht eben fern liege. Aber auch dann, wenn tatsächlich kein Lungenversagen gedroht haben würde, sei Versicherungsschutz im Wege einer erweiterten Auslegung von § 1 Teil II Nr. 5 AVB schon zu bejahen, wenn dem Versicherungsnehmer eine weitere Behandlung im Ausland unzumutbar sei. So liege der Fall hier schon deshalb, weil es dem schwer erkrankten Kläger nicht zumutbar gewesen sei, sich in einem fremden Land und in fremder Sprache weitere Meinungen zur Frage eines Lungenversagens und seiner Behandlungsmöglichkeiten einzuholen. Der Rücktransport des Klägers sei überdies auch deshalb aus medizinischen Gründen erforderlich gewesen, weil es zur Zeit der Entscheidung über den Rücktransport nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zumindest vertretbar gewesen sei, ihn für erforderlich zu halten. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Taxifahrt des Klägers vom Hotel in das Krankenhaus auf B ergebe sich unmittelbar aus der Regelung unter Buchstabe A Nr. 2 des Teils III der Tarifbestimmungen der Beklagten für den Tarif Vision 1. Die Kosten des Gutachtens Dr. med. C vom 31.01.2012 sowie die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten könne der Kläger als Verzögerungsschaden ersetzt verlangen, da die Beklagte sich mit Blick auf ihre Leistungsverweigerung vom 27.09.2011 in Verzug befunden habe.

17. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts sowie unzureichende Tatsachenfeststellungen durch das Landgericht rügt und im Umfang ihrer Verurteilung ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren weiter verfolgt. Sie macht geltend, dass das Landgericht die von ihr, der Beklagten, bestrittene medizinische Notwendigkeit des Rücktransports nicht habe ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens feststellen dürfen, da die medizinische Notwendigkeit nicht durch das bloße Zeugnis eines Arztes bewiesen werden könne. Im vorliegenden Fall gelte dies umso mehr, als es sich bei dem Zeugen noch nicht einmal um den den Kläger behandelnden Arzt gehandelt habe. Überdies sei die Kostengrundentscheidung des Landgerichts ebenso wenig nachvollziehbar wie die zugesprochenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten überhöht seien.

18. Die Beklagte beantragt,

19. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

20. Der Kläger beantragt,

21. die Berufung zurückzuweisen.

22. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

23. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.

24. Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 04.10.2013 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des PD Dr. med. H vom 29.01.2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 26.09.2014, welches der Sachverständige im Senatstermin am 29.04.2015 erläutert hat.

II.

25. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

26. Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, der Beklagten günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

27. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger in Ansehung der Kosten des Rücktransports ein Leistungsanspruch gem. § 1 Teil II Nr. 5 AVB zusteht, da der Rücktransport des Klägers aus medizinischen Gründen erforderlich war.

28. Im rechtlichen Ansatz zutreffend hat das Landgericht darauf abgestellt, dass sich die Frage der medizinischen Erforderlichkeit hierbei im Grundsatz nach objektiven Kriterien richtet, wobei es genügt, wenn es vertretbar war, den Rücktransport zu dem Zeitpunkt, in dem darüber entschieden wurde, nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen als erforderlich anzusehen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.09.2001, 4 U 51/01, juris, Rn. 22, r+s 2002, 297).

29. Es entspricht für den Versicherungsfall der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – zur Bestimmung des Versicherungsfalls ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt wird (BGH, Urt. v. 08.02.2006, IV ZR 131/05, juris, Rn. 21, VersR 2006, 535; Urt. v. 12.03.2003, IV ZR 278/01, juris, Rn. 30, BGHZ 154, 154, 166 = VersR 2003, 981; Urt. v. 10.07.1996, IV ZR 133/95, juris, Rn. 16, BGHZ 133, 208, 212 f. = VersR 1996, 1224; Urt. v. 14.12.1977, IV ZR 12/76, juris, Rn. 21, VersR 1978, 271). Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern oder ihren Verschlimmerungen entgegenzuwirken (Senat, Urt. v. 05.06.1998, 20 U 198/97, VersR 1999, 611; OLG Köln, Urt. v. 23.06.1999, 5 U 232/98, VersR 2000, 43), nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers (BGH, Urt. v. 08.02.2006, IV ZR 131/05, juris, Rn. 21, VersR 2006, 535; Urt. v. 10.07.1996, IV ZR 133/95, juris, Rn. 18, BGHZ 133, 208, 212 f. = VersR 1996, 1224). Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (BGH, Urt. v. 08.02.2006, IV ZR 131/05, juris, Rn. 21, VersR 2006, 535; Urt. v. 10.07.1996, IV ZR 133/95, juris, Rn. 16, BGHZ 133, 208, 212 f. = VersR 1996, 1224).

30. Nichts anderes gilt für die hier zu beantwortende Frage, ob ein Rücktransport aus medizinischen Gründen erforderlich war, weil am Ort der Erkrankung im Ausland bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung nicht gewährleistet war.

31. Die Frage, ob das Landgericht die Erforderlichkeit aus medizinischen Gründen ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens allein mit Blick auf die Bekundungen des Zeugen Dr. med. C prozessordnungsgemäß feststellen konnte (vgl. insoweit zur Frage der Geeignetheit des Zeugenbeweises allgemein nur BGH, Urt. v. 29.11.1978, IV ZR 175/77, juris, Rn. 20, VersR 1979, 221; OLG Koblenz, Beschl. v. 30.04.2009, 10 U 959/08, juris, Rn. 7, VersR 2010, 204; Kalis, in: Bacher/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl. 2009, § 1 MB/KK Rn. 30 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Senat, Urt. v. 21.07.1982, 20 U 56/81, VersR 1983, 385), bedarf hierbei keiner abschließenden Entscheidung, nachdem der Senat über die Frage durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben hat.

32.Nach den vom Senat erhobenen Beweisen aber unterliegt die Erforderlichkeit des Rücktransports aus medizinischen Gründen – an den vorstehenden Grundsätzen gemessen – keinem vernünftigen Zweifel.

33. Nach den überzeugenden Ausführungen und Erläuterungen des Sachverständigen, dem die Krankenunterlagen, in denen die seinerzeitigen objektiven Befunde enthalten sind, zu Grunde lagen, bestand bei dem Kläger am Aufnahmetag im Hospital B2 eine schwere Lungenentzündung mit beidseitigen pulmonalen Infiltraten und einer eingeschränkten Sauerstoffaufnahme, wobei sich die Sauerstoffaufnahme am Folgetag (15.08.2011) verschlechtert habe. Bei Aufnahme in die stationäre Behandlung habe eine schwere ambulant erworbene Pneumonie mit dem erhöhten Risiko von 10-​20 % eines letalen Verlaufs bestanden (S. 11 des Gutachtens vom 29.01.2014). Medizinisch indiziert gewesen sei insoweit die intensivmedizinische Behandlung des Klägers mit der Möglichkeit zur invasiven Beatmung. Hierbei sei die Behandlung von denkbaren Komplikationen der Beatmung und eines möglichen Lungenversagens auf B nicht in dem Maße möglich gewesen wie das im Universitätsklinikum G der Fall war, da auf B ein extrakorporales Lungenersatzverfahren nicht zur Verfügung gestanden habe. Diese Feststellungen hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin eindrucksvoll bestätigt, wobei er insbesondere ausgeführt hat, dass das extrakorporale Lungenersatzverfahren als ultima ratio zum Einsatz gelange, wenn es im Rahmen der invasiven Beatmung zu Komplikationen komme, und selbst in Deutschland in derartigen Fällen nur in speziellen Zentren, die eine Maximalversorgung anbieten würden, durchgeführt würde. Dies wiederum sei bereits 2011 in Deutschland Standard gewesen, während nach seinen Recherchen das Verfahren in der Universitätsklinik H2 erstmals 2014 zum Einsatz gekommen sei.

34. Soweit die Beklagte die Feststellungen des Sachverständigen deshalb für unbrauchbar und den Beweis der medizinischen Erforderlichkeit des Rücktransports nicht als geführt ansieht, weil der Sachverständige keine verlässlich objektivierbaren Feststellungen zu den im Jahre 2011 auf den Kanarischen Inseln verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten habe treffen können, verfangen ihre Einwendungen nicht. Denn es steht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die vor Ort behandelnden Ärzte einen Rücktransport als erforderlich angesehen haben und dies gegenüber dem Zeugen Dr. med. C – der seinerseits eine Erforderlichkeit als gegeben angesehen hat – auch erklärt haben. Vor diesem Hintergrund muss im Rahmen der für die Frage der Vertretbarkeit erforderlichen Prognoseentscheidung, bei der es sich um eine ex-​ante-​Beurteilung handelt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 23), eine nur möglicherweise bei ex-​post-​Betrachtung bestehende adäquate Behandlungsmöglichkeit des Klägers in zumutbarer Entfernung auf einer anderen Kanarischen Insel von vornherein außer Betracht zu bleiben haben. Der Kläger verfügte unstreitig nur und allenfalls über die Erkenntnisse, die der Zeuge Dr. med. C seinerseits erlangt hatte, als er mit den vor Ort behandelnden Ärzten telefonierte. Die Beklagte hat weder schriftsätzlich vorgetragen noch vermochte sie im Senatstermin Erklärungen dazu abzugeben, welche objektiv gegebenen und zumutbaren Möglichkeiten dem Kläger in seiner damaligen Lage sonst noch zur Verfügung gestanden haben, um eine ausreichende medizinische Versorgung außerhalb Deutschlands sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund war – wie das Landgericht im rechtlichen Ansatz zutreffend erkannt hat – die luftgebundene Verlegung des Klägers jedenfalls nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Entscheidung medizinisch vertretbar.

35. Soweit sich Berufung der Beklagten auch gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Taxikosten in Höhe von 102,35 € richtet, ist den diesbezüglichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Landgerichts, denen die Beklagte nicht entgegen getreten ist, nichts hinzuzufügen.

36. Auch die Rügen der Berufung gegen die Höhe der zuerkannten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten greifen nicht durch. Diese hat das Landgericht auf der Grundlage eines Gebührenstreitwerts von bis zu 19.000,00 € zutreffend berechnet. Nach den bis zum 31.07.2013 maßgeblichen Bestimmungen der Gebührentabelle betrug eine – vom Kläger geltend gemachte – 0,65 Geschäftsgebühr 393,90 €, so dass sich zzgl. Auslagenpauschale und USt. ein Betrag in Höhe zuerkannter 492,54 € ergibt.

37. Frei von Rechtsfehlern ist es schließlich, dass das Landgericht im Rahmen der Kostengrundentscheidung von den durch § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass sich die über 19.000,00 € hinausgehende Mehrforderung des Klägers wegen eines Gebührensprungs ausgewirkt hat. Denn nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kommt es – anders als nach früherer Rechtslage – nicht mehr darauf an, dass die Zuvielforderung keine höheren Kosten veranlasst hat. Es genügt Geringfügigkeit höherer Kosten, was vertretbar angenommen werden kann, wenn die Mehrkosten – wie hier – unter 10 % liegen (Zöller/Herget, 30. Aufl. 2014, § 92 Rn. 10).

38. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

39. Eine Zulassung der Revision ist in Ermangelung der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht veranlasst. Die Rechtssache weist weder grundsätzliche Bedeutung auf noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

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