Defekte Treibstoffleitung kein außergewöhnlicher Umstand

OLG Frankfurt: Defekte Treibstoffleitung kein außergewöhnlicher Umstand

Ein Fluggast nimmt eine Fluggesellschaft mit Hauptsitz in den USA auf Ausgleichzahlung wegen einer Annullierung in Anspruch. Der Fluggast konnte durch ein Defekt an der Treibstoffleitung die Reise erst am Folgetag fortsetzen. Die Beklagte ist der Meinung das das Montreal er Abkommen hier keine Anwendung findet, da es sich um einen außergewöhnlichen Umstand handelt und der Hauptsitz in einem Nicht Mitgliedsstaat der USA sei.

Das Gericht entschied, das dem Kläger eine Zahlung zu steht. Die Fluggesellschaft erweckt den Anschein Tickets am Abflugort zu verkaufen. Des Weiteren fand der Start in einen EU Mitgliedsstaat statt. Bei dem Defekt handelt es sich auch nicht um einen außergewöhnlichen Umstand, da der Ursprung hierfür nicht natürlich war.

OLG Frankfurt 16 U 84/09 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 22.04.2010
Rechtsweg: OLG Frankfurt, Urt. v. 22.04.2010, Az: 16 U 84/09
AG Frankfurt/Main, Urt. v. 22.04.2009, Az: 29 C 2033/08
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Oberlandgericht Frankfurt

1. Urteil vom 22.04.2010

Aktenzeichen: 16 U 84/09

Leitsatz:

2. Auch wenn eine Fluggesellschaft ihren Hauptsitz in einem nicht EU Mitgliedsstaat hat, aber den Anschein erweckt in einem EU Mitgliedstaat Flugtickets verkauft, findet das Montrealer Abkommen Anwendung.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall nahm der Kläger  die Beklagte, eine US-amerikanische Fluggesellschaft, wegen Nichtbeförderung in Anspruch. Der Kläger buchte bei der Fluggesellschaft einen Flug am 19. Januar 2008 in die USA. Durch einen Defekt an der Treibstoffleitung konnte die Maschine nicht pünktlich starten.

Erst am Folgetag konnte der Flug losgehen. Dieser Defekt ist laut Beklagten ein außergewöhnlicher Umstand. Des Weiteren könnte hier das Montrealer Abkommen nicht Anwendung finden, da der Hauptsitz der Fluggesellschaft in den USA ist. Lediglich ein paar Niederlassungen befinden sich in Deutschland welche aber nicht berechtigt wären Reiseverträge abzuschließen.

Das Gericht entschied der Klage stattzugeben. Zwar ist der Hauptsitz der Beklagten in den USA, aber das Montrealer Abkommen beinhaltet auch den Flugstart und dieser ist in Deutschland, in einem EU Mitgliedstaat erfolgt. Des  Weiteren kann von einem außergewöhnlichen Umstand bei dem Defekt nicht die Rede sein, da dieser nicht auf einen natürlichen Umstand zurückzuführen ist.

 

Tenor:

4. Das Urteil des AGs Frankfurt am Main vom 22. April 2009 – 29 C 2033/08 -73 wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 1.200,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2008 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 90 %, die Kläger als Gesamtschuldner 10 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von

120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor

der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision der Beklagten wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte, eine US-amerikanische Fluggesellschaft, wegen Nichtbeförderung in Anspruch. Ihr für den 19. Januar 2008, 9:45 Uhr ab Stadt1 gebuchte Flug in die USA wurde wegen eines technischen Defekts am Flugzeug annulliert; die Kläger konnten ihre Reise erst am Folgetag antreten.

6. Die Beklagte hat ihren satzungsgemäßen Hauptsitz und ihren Verwaltungssitz in den USA. Sie verfügt über eine deutsche Niederlassung in Stadt1. Sie hat den Klägern auf Kulanzbasis Reisegutscheine über 2 x 200,- € übermittelt, eine Leistungspflicht jedoch in Abrede gestellt.

7. Die Kläger haben Klage vor dem AG Frankfurt am Main erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

8. an sie 1.200.- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe 155,30 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. November 2008 zu zahlen.

9. Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Sie hat die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt und dargelegt, sie schulde eine Entschädigung auch in der Sache nicht, weil die Flugstreichung auf Umständen beruhe, die sie nicht zu vertreten habe.

11. Vor dem Abflugtermin sei bei dem einzusetzenden Flugzeug des Typs … ein Defekt einer Treibstoffleitung in Form einer undichten Stelle am Bodenventil aufgetreten, dessen vorübergehende Behebung etwa 6 Stunden benötigte, ferner sei der Funkbetrieb des Flugzeugs gestört gewesen; die Flugstreichung sei durch alle zumutbaren Maßnahmen nicht zu vermeiden gewesen.

12. Das AG hat die auf Zahlung von (2 x 600.- =) 1.200.- € gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, weil es an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte fehle.

13. Die Beklagte als juristische Person habe ihren Sitz in den USA. Im Hinblick auf § 21 Abs. 1 ZPO sei nicht dargelegt, dass ihre inländische Niederlassung unmittelbar Geschäfte schließe und die Klage sich darauf beziehe. Es sei ferner auch nicht dargelegt, dass die inländische Niederlassung der Beklagten über eigenes inländisches Vermögen verfüge (§ 23 ZPO). Die Regelungen der EuGVVO seien nicht anwendbar, weil die Beklagte ihren Sitz nicht innerhalb der Europäischen Union habe und deren Geltung auch nicht vereinbart sei. Ob als „Leistungsort“ i. S. d. § 29 ZPO auch der Ort des Abflugs (hier Stadt1) und nicht der Zielort oder der Sitz der Fluggesellschaft angesehen werden könne, sei umstritten; die EU-Kommission habe in ihrer Antwort vom 6. Dezember 2007 (E-5080/07/DE) auf Anfrage dargelegt, die gerichtliche Zuständigkeit richte sich nach ihrer Auffassung nach § 33 des Montrealer Übereinkommens; zuständig sei nach Wahl des Klägers also das Gericht des Ortes, an dem sich der Sitz, die Hauptniederlassung oder eine Geschäftsstelle des Flugfrachtführers befinde, durch die der Vertrag geschlossen worden sei, oder das Gericht des Bestimmungsortes. Diesen Grundsätze müssten auch für den Erfüllungsort i. S. d. §§ 29 ZPO, 269 BGB gelten. Ein Vertragsschluss durch die Stadt1 Niederlassung der Beklagten sei aber nicht dargelegt.

14. Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger. Sie vertreten die Auffassung, die Zuständigkeit für Ausgleichszahlungen, wie sie hier geltend gemacht sind, richte sich nicht nach dem Montrealer Übereinkommen, sondern nach Art. 4 Abs. 3 der VO (EG) 261/2004. Zuständig müsse das Gericht des Abflugsortes sein; der Reisende könne nicht auf eine Auslandsklage (hier: Klageerhebung in den USA) verwiesen werden. In diesem Sinne habe nun auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 9. Juli 2009 (C-204/08) entschieden.

15. Sie beantragen,

16. die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.200.- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2008 sowie weitere 155,30 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. November 2008 zu zahlen.

17. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

18. Sie meint, die Regelungen der VO (EG) 261/2004 seien nicht anwendbar, weil hier ein Fall der Flugstreichung wegen technischer Defekte, kein Fall der Nichtbeförderung (wegen Überbuchung) vorliege. Ansprüche nach dem Montrealer Übereinkommen seien nicht geltend gemacht, die Kläger verlangten nicht Schadensersatz nach diesem Übereinkommen, sondern machten einen pauschalierten Ausgleichsanspruch als gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach der VO 261/2004 geltend. § 29 ZPO sei dafür weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar; anders als bei (gewillkürten) internationalen Vertragsbeziehungen habe hinsichtlich gesetzlicher Ausgleichsansprüche bereits der Gesetzgeber die Zuständigkeitsregelung vorgegeben. Die durch die Kläger zitierte Entscheidung des EuGH könne nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden, weil die hiesige Beklagte kein Luftfahrtunternehmen der EG sei.

19. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die erstinstanzliche Entscheidung, die Sitzungsniederschrift vom 25. März 2010 und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

20. Die Berufung hat im wesentlichen Erfolg.

21. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ist gegeben. Der geltend gemachte Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 (1) c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ist auch in der Sache begründet. Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten scheitert indes an mangelnder Darlegung der insoweit anspruchsbegründenden Umstände.

22.  Zu Recht hat das AG den geltend gemachten Anspruch nicht als Schadensersatzanspruch gemäß Art. 17 ff. des Montrealer Übereinkommens (MÜ), sondern als Ausgleichsanspruch nach Art. 7 (1) c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 wegen Annullierung (Art.5) des gebuchten (Weitverkehrs-)Fluges von Stadt1 in die USA angesehen.

23. Gemäß Art. 7 (1) der Verordnung erhalten Fluggäste entsprechend der Flugstrecke gestaffelte Ausgleichszahlungen bis zu 600.- €; im gegebenen Fall wäre die höchste Entfernungsklasse (c) mit 600.- € je Passagier zugrundezulegen. Die Kläger machen ausdrücklich diese „Pauschale“ geltend (… „Sie würden dort pauschal 600.- € erhalten“, … „Der [zugesagte] Betrag wird deshalb mit der Klage geltend gemacht“), und sie haben nichts zur konkreten Berechnung eines individuell entstandenen Schadens vorgetragen, wie dies für die Begründung eines Anspruchs nach Art. 19 MÜ erforderlich gewesen wäre.

24. Nach der Rechtsprechung des EuGH (9. Juli 2009 – C 204/08 = NJW 2009, 2801) und des BGH (10. Dezember 2009 – X a ZR 61/09 – juris) bestehen Ansprüche auf eine pauschale und einheitliche Ausgleichszahlung wegen der Annulierung eines Fluges unabhängig von einem individuellen Schadensersatzanspruch; für solche Ausgleichszahlungen und für Schadensersatzansprüche im Sinne des Montrealer Übereinkommens bestehen unterschiedliche Regelungsrahmen. Die Verordnung ergänzt zwar die Schutzvorschriften des Montrealer Übereinkommens, beide Regelungswerke bilden aber kein einheitliches Luftverkehrsrecht, sondern bestehen mit unterschiedlich geregelten Ansprüchen nebeneinander: Art. 19 ff. MÜ regeln die individualisierte Wiedergutmachung unabhängig von der standardisierten Wiedergutmachung nach der Verordnung (EuGH – 22. Dezember 2008 – C-549/07 = RRa 2009, 35; 9. Juli 2009 – C 204/08 = NJW 2009, 2801; BGH a.a.O.).

25. Die Verordnung (EU) Nr. 261/2004 ist auf die vorliegende Fallgestaltung auch anwendbar. Gemäß Art. 3 (1) a) gilt die Verordnung in örtlicher Hinsicht für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedsstaats, das den Bestimmungen des Vertrages unterliegt, einen Flug antreten. Die in der Regelung unter b) bestimmte Einschränkung, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen eines der Gemeinschaft sein muss, gilt für die unter a) geregelte Fallgestaltung nicht. Dass es sich bei der Beklagten um ein US-amerikanisches Luftfahrtunternehmen handelt, steht der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs gemäß Art. 7 der Verordnung also materiell nicht entgegen.

26.  Die Verordnung (EU) Nr. 261/2004 trifft zur Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit der Gerichte keine Regelung. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) betrifft in erster Linie innergemeinschaftliche Streitigkeiten. Mit Recht hat schon das AG ausgeführt, dass hinsichtlich besonderer Fallgestaltungen (Art. 4, 23 EuGGVO – Zuständigkeitsvereinbarung) nichts vorgetragen ist und ein Fall des Art. 22 EuGGVO (ausschließliche Zuständigkeiten ohne Rücksicht auf den Wohnsitz) nicht vorliegt.

27. Die Regelung der internationalen Zuständigkeit in Art. 33 MÜ ist nicht einschlägig. Gemäß Art. 33 Abs. 1 MÜ (Gerichtsstand) muß eine Klage auf Schadensersatz im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsortes. Gemäß Art. 29 MÜ (Grundsätze für Ansprüche) kann ein Anspruch „auf Schadensersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind“.

28. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGHs ist der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der VO jedoch „generell nicht als Schadensersatzanspruch im Sinne der Art. 19, 29 MÜ anzusehen“ (10. Dezember 2009 – X a ZR 61/09 – juris), weil beide Regelungswerke mit unterschiedlich geregelten Ansprüchen nebeneinanderstehen.

29. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich hier jedoch aus § 21 ZPO.

30. Wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 25. März 2010 erörtert und durch Telefonanruf aus dem Sitzungssaal heraus unter der Nummer der inländischen Niederlassung der Beklagten in Stadt1 verifiziert, beruht die seine Entscheidung tragende Rechtsansicht des AGs auf unvollständiger Tatsachengrundlage:

31. Denn über den erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalt hinaus ist die Stadt1 Niederlassung der Beklagte telefonisch unter der u. a. mittels Internet (z.B: www…..html) beworbenen kostenfreien Nummer …. – einer Stadt1 Telefonnummer – erreichbar und bietet unter dieser Nummer (trotz durch die Beklagte behaupteter zwischenzeitlicher organisatorischer Änderungen) nach einleitenden Erläuterungen zum Datenschutz und US – amerikanischen Sicherheitsbestimmungen die Auswahloption zur Buchung von Flugtickets an.

32. Diese Tatsache ist nicht nur jedermann durch Recherche über allgemein zugängliche Informationsquellen zugänglich und damit im Sinne des § 291 ZPO offenkundig, sie ist nunmehr zwischen den Parteien auch unstreitig. Ein Hinweis der Beklagten darauf, dass ihre inländische Niederlassung insoweit überhaupt nicht oder nicht selbst agiere, sondern lediglich die Telefonnummer bereitstelle oder in irgendeiner Form sonst als Vermittlungsstelle handele, ist weder dem Ansagetext zu entnehmen noch sonst erkennbar.

33. Damit erweckt die Beklagte hinsichtlich ihrer inländischen Niederlassung – ungeachtet ihrer internen Organisation und Zuständigkeiten – gegenüber Interessenten und Fluggästen jedenfalls den Anschein einer selbständigen inländischen Geschäftstätigkeit, die auch den Abschluss von Flugbeförderungsverträgen umfasst.

34.  Die Begründung der Zuständigkeit nach § 21 ZPO setzt nicht voraus, dass die in Rede stehenden Flugleistungen der Beklagten unmittelbar bei ihrer Niederlassung gebucht worden seien. Es ist im Gegenteil unerheblich, welchen Rechtsgrund der Kläger geltend macht, wo er den Vertrag abgeschlossen hat und wo er zu erfüllen ist; der erforderliche „Bezug“ zu der Niederlassung besteht dann, wenn es „von der Niederlassung ausgegangen“ ist und es sich um eine betriebstypische Leistung handelt (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 68. Aufl. 2010, § 21 Rn. 10); es reicht aus, wenn das Rechtsgeschäft mit Rücksicht auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung abgeschlossen ist oder als dessen Folge erscheint (so schon: RGZ 23, 242; 30, 326; Zöller, ZPO, 28, Aufl. 2008, § 21 Rn. 11).

35. Daran kann hier nach Lage der Dinge letztlich kein Zweifel bestehen:

36. Die Buchung einer Flugreise entspricht typischerweise dem Geschäftsgegenstand der Beklagten, und auch wenn die Kläger ihren Flug nicht unmittelbar bei der oder über die Stadt1 Niederlassung der Beklagten gebucht haben mögen, stellt sich der Vertragsschluss doch ersichtlich als Folge des werbenden Auftretens und Handelns der Beklagten im Inland – nämlich durch ihre inländische Niederlassung – dar. Mehr ist nach Auffassung des Senats nicht erforderlich.

37. Dem geltend gemachten Anspruch steht materiell nicht entgegen, dass der Durchführung des Fluges nach dem Vorbringen der Beklagten technische Defekte entgegenstanden. Die Annullierung beruht nicht auf außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung.

38. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung eng auszulegen. Unerwartete Flugsicherheitsmängel, wie sie im Streitfall vorgelegen haben und in Erwägungsgrund 14 der Verordnung erwähnt werden, können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist ( EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 – C-549/07, RRa 2009, 35 = NJW 2009, 347 – Wallentin-Hermann/Alitalia Tz. 23). Auch nach der Rechtsprechung des BGHs (11. Dezember 2009 – X a ZR 76/07 = RRa 2010, 34) ergibt sich daraus, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände begründen, und zwar auch dann nicht, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat. Solche Defekte sind Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens.

39. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die technischen Defekte, die im Streitfall zur Annullierung des Fluges geführt haben, auf einem außergewöhnlichen Umstand im vorstehend genannten Sinne beruhten. Damit greift der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung hier nicht, unabhängig davon, ob die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Annullierung zu vermeiden.

40. Soweit die Kläger darüber hinaus Ersatz ihnen entstandener vorgerichtlicher Anwaltskosten beanspruchen, fehlt – abgesehen von einem Hinweis auf ein nicht vorgelegtes oder inhaltlich vorgetragenes Schreiben „der Kläger“ vom 21. Februar 2008 – Vortrag zur näheren Konkretisierung erbrachter anwaltlicher Leistungen; die Beklagte hat die Entstehung von Anwaltskosten bestritten. Bei dieser Sachlage kommt die Zuerkennung eines entsprechenden Schadensanspruchs nicht in Betracht.

41. Eine Verzinsung des zuerkannten Betrages mit dem gesetzlichen Zinssatz der § 291, 288 BGB kann erst seit Rechtshängigkeit der Klage angeordnet werden, weil es auch hinsichtlich einer früheren Inverzugsetzung der Beklagten an zureichendem Sachvortrag der Kläger fehlt.

42. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 bzw. 713 ZPO.

43. Die Revision der Beklagten ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundlegende Bedeutung hat.

44. Zu der Frage, ob für die auf Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 (1) c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 gerichtete Klage die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach § 21 ZPO begründet ist, wenn die inländische Niederlassung des mit Hauptsitz außerhalb der Europäischen Union ansässigen Flugreiseanbieters zumindest den Anschein eigener Buchungsangebote erweckt und unterhält, ist bisher noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen.

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