Anwendung des Montrealer Übereinkommens bei Annex-Transporten

LG Darmstadt: Anwendung des Montrealer Übereinkommens bei Annex-Transporten

Die Klägerin, ein Transportversicherer, mach einen Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht wegen des Verlustes von Transportgut geltend. Der Versicherer verkaufte Bohrkronen und versandt die Fracht per Luft. Die Beklagte übernahm die Sendung, eine Auslieferung an die Empfängerin erfolgte nicht. Die Beklagte teilte den Verlust der Sendung mit und bot zugleich eine Regulierung im Umfang der Haftungsbeschränkungen nach dem Warschauer Abkommen/Montrealer Übereinkommen in Höhe von 858,– Euro.

Das Landgericht entschied größtenteils für die Beklagte.

LG Darmstadt 12 O 3/09 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 04.08.2009
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 04.08.2009, Az: 12 O 3/09
LG Köln, Urt. v. 17.06.2009, Az: 12 O 3/09
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 04. August 2009

Aktenzeichen: 12 O 3/09

Leitsatz:

2. Beim Montrealer Übereinkommen ist maßgeblich auf das Zielland abzustellen.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin, ein Transportversicherer, mach einen Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht wegen des Verlustes von Transportgut geltend. Der Versicherer verkaufte Bohrkronen und versandt die Fracht per Luft. Die Beklagte übernahm die Sendung, eine Auslieferung an die Empfängerin erfolgte nicht. Die Beklagte teilte den Verlust der Sendung mit und bot zugleich eine Regulierung im Umfang der Haftungsbeschränkungen nach dem Warschauer Abkommen/Montrealer Übereinkommen in Höhe von 858,– Euro. Die Klägerin ist der Auffassung, dass schon wegen Abholung und Auslieferung der Sendung per Lkw ein multimodaler Transport vorliege und das Montrealer Übereinkommen deshalb keine Anwendung finde.

Das Landgericht entschied größtenteils für die Beklagte. Da die Fracht von Deutschland in die USA geliefert werden sollte, ist der multimodale Transport gegeben. Dass die Fracht bereits im Inland verloren ging, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist auf das Zielland abzustellen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den am 4.8.2009 geltenden Gegenwert von 663 Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds in Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht wegen des Verlustes von Transportgut geltend.

6. Die Klägerin ist nach ihrem Vorbringen Transportversicherer der GmbH, … Diese verkaufte ausweislich einer Handelsrechnung vom 23.5.2008, wegen deren Inhalts auf die Anlage K 1 verwiesen wird, Bohrkronen zum Preis von 9.101,83 Euro an die Firma …. Wegen des für die Sendung ausgestellten Lieferscheins wird auf die Anlage K 6 (Bl. 54 d. A.) Bezug genommen. Mit dem Transport der Sendung beauftragte die … die Beklagte. Über den Transport wurde ein Luftfrachtbrief ausgestellt, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf die Anlage K 2 verwiesen wird. Die Beklagte übernahm die Sendung am 22.5.2008, eine Auslieferung an die Empfängerin erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 27.6.2008 teilte die Beklagte der den Verlust der Sendung mit und bot zugleich eine Regulierung im Umfang der Haftungsbeschränkungen nach dem Warschauer Abkommen/Montrealer Übereinkommen in Höhe von 858,– Euro an.

7. Unter dem 3.4.2009 erklärte die … die Abtretung aller ihrer Rechte an die Klägerin; auf die Anlage K 5 (Bl. 52 f. d. A.) wird verwiesen.

8. Die Klägerin ist der Auffassung, dass schon wegen Abholung und Auslieferung der Sendung per Lkw ein multimodaler Transport vorliege, das Montrealer Übereinkommen deshalb keine Anwendung finde und die Beklagte unbeschränkt zu haften habe, da ungewiss sei, auf welcher Teilstrecke der Verlust eingetreten sei. Eine Berufung auf Art. 18 Abs. 4 Montrealer Übereinkommen (MÜ) sei nicht zu Lasten des Geschädigten möglich.

9. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.101,83 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 27.6.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 775,64 Euro zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Sie bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin, insbesondere den Zusammenhang der vorgelegten Abtretungserklärung mit dem streitgegenständlichen Transport, sowie Inhalt und Wert der Sendung. Sie meint, es sei das Montrealer Übereinkommen anzuwenden mit den dortigen Haftungsbeschränkungen. Ferner beruft sie sich darauf, dass der Verlust auf dem Flughaften Memphis eingetreten sei. Wegen des Vortrags der Beklagten zum Transportverlauf im Einzelnen wird auf die Klagerwiderung vom 16.3.2009, Seite 8 f. (Bl. 34 f. d. A.) Bezug genommen. Jedenfalls liege ein Mitverschulden des Absenders vor wegen fehlender Wertdeklaration sowie wegen besonders hohen Werts der Sendung.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist zulässig, aber nur in geringem Umfang begründet.

14. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist aus der vorgelegten Abtretungserklärung gegeben. Dass diese den streitgegenständlichen Transport betrifft, ergibt sich zum einen aus dem in der Abtretungserklärung selbst angegebenen Übernahmedatum, zum anderen aus dem der Abtretungserklärung beigefügten Anschreiben der … vom 6.4.2009, in dem die Daten von Auftragserteilung sowie Ausstellung der Rechnung und des Lieferscheins genannt sind. Die Annahme der Abtretungserklärung seitens der Klägerin ist jedenfalls durch Vorlage dieser Erklärung im Prozess erfolgt.

15. Auf den von der Beklagten übernommenen Transport sind die Vorschriften des Montrealer Übereinkommens (MÜ) anzuwenden. Sowohl Deutschland als auch die USA sind Vertragsstaaten. Nach Art. 1 MÜ gelten die Bestimmungen dieses Abkommens, wenn die Parteien einen Vertrag schließen, der auf eine internationale Beförderung mittels Luftfahrzeugen gerichtet ist. Dies war hier der Fall. Dafür spricht allein schon die Tatsache, dass ein Luftfrachtbrief ausgestellt wurde (Art. 11 MÜ). An der Annahme eines Luftfrachtvertrages ändert sich auch nichts dadurch, dass die Abholung der Sendung und deren Auslieferung notwendigerweise per Lkw erfolgte bzw. erfolgen sollte. Bei Abholung und Auslieferung handelt es sich, wie aus Art. 18 Abs. 4 MÜ hervorgeht, um sog. Annex-Transporte, die grundsätzlich der Luftbeförderung zuzurechnen sind. Dies gilt jedenfalls solange, wie nicht der Anspruchsteller nachweist, dass ein Schaden während des Landtransportes eingetreten ist (vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 19.12.2007 – 13 U 136/06; LG Darmstadt, Urteil vom 21.10.2008 – 12 O 201/08). Davon, dass die Vermutung des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ nur zugunsten des Geschädigten gilt, kann nicht ausgegangen werden. Dagegen spricht zum einen der Wortlaut der Regelung, dem eine solche Einschränkung nicht zu entnehmen ist. Zum anderen bestimmt Art. 18 Abs. 4 Satz 3 MÜ, dass der Luftfrachtführer auch dann nach Art. 18 MÜ haftet, wenn er die vereinbarte Luftbeförderung ganz oder teilweise ohne Zustimmung des Absenders durch eine andere Art der Beförderung ersetzt. Wenn aber der Luftfrachtführer selbst bei Vertragsbruch und ungenehmigtem Luftfrachtersatzverkehr nur nach Art. 18 MÜ haftet, so besteht kein Grund, die Regelung des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ im Falle von Annex-Transporten nicht eingreifen zu lassen (so auch LG Heidelberg, Urteil vom 30.1.2007 – 11 O 22/06, Anlage B 9; LG Frankenthal, Urteil vom 21.12.2007 – 1 HK. O 39/07, Anlage B 5).

16. Die Klägerin hat nicht dargelegt und nachgewiesen, dass der Verlust während des Landtransportes eingetreten ist. Im Hinblick darauf, dass es grundsätzlich Sache des Anspruchstellers ist, die Anspruchsvoraussetzungen bzw. die Anwendbarkeit ihm günstiger Normen darzulegen und zu beweisen, genügt jedenfalls nach Darlegung des Transportverlaufs durch die Beklagte das bloße pauschale Bestreiten dieses Vorbringens durch die Klägerin nicht. Insbesondere genügt es nicht, zu bestreiten, dass die Sendung den Flughafen Hannover (? – gemeint wohl: Köln) erreichte. Anhaltspunkte dafür, dass dies so gewesen sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

17. Die Beklagte haftet somit gemäß Art. 18 Abs. 1 MÜ auf Ersatz des durch Verlust der Sendung entstandenen Schadens, allerdings nur in Höhe der summenmäßigen Beschränkung des Art. 22 Abs. 3 MÜ, d. h. in Höhe von 17 Sonderziehungsrechten pro Kilogramm der Sendung. Das Gewicht der Sendung betrug hier ausweislich des Luftfrachtbriefes – auch hierfür gilt die Vermutung des Art. 11 Abs. 2 MÜ – sowie ausweislich des Lieferscheins 39 Kilogramm, so dass der Gegenwert von 663 Sonderziehungsrechten zu erstatten ist. Die Umrechnung hat gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 MÜ nach dem Wert im Zeitpunkt der Entscheidung zu erfolgen.

18. Auf Inhalt und Wert der Sendung sowie ein eventuelles Mitverschulden kommt es hierbei nicht an.

19. Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin gemäß Art. 22 Abs. 6 MÜ schon deshalb nicht verlangen, weil die Beklagte bereits mit Schreiben vom 27.6.2008, also innerhalb von 6 Monaten seit dem Schadensereignis, eine entsprechende Zahlung angeboten hat.

20. Die Beklagte war daher unter Abweisung der Klage im Übrigen wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich zu verurteilen.

21. Die Klägerin hat als Unterlegene die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Eine Kostentragungspflicht der Beklagten besteht gemäß Art. 22 Abs. 6 MÜ nicht.

22. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

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