Technischer Defekt ist kein Entlastungsgrund

AG Köln: Technischer Defekt ist kein Entlastungsgrund

Ein Fluggast nimmt ein eine Fluggesellschaft auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch. Der Flug von Boston nach Frankfurt am Main wurde zunächst annulliert und später mit einer 33 stündigen Verspätung durchgeführt. Ursache war hier, laut der Beklagten ein technischer Defekt am Triebwerk. Die Beklagt weist daraufhin, dass es sich hierbei um ein außergewöhnlichen Umstand handelt.

Das Gericht entschied das es kein außergewöhnlichen Umstand gab und sprach der Klägerin eine Entschädigung auf Grund er Verspätung zu.

AG Köln 132 C 304/07 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 10.03.2010
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 10.03.2010, Az: 132 C 304/07
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen

Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 10.03.2010

Aktenzeichen: 132 C 304/07

Leitsatz:

2. Es ist unerheblich ob eine Verspätung oder eine Annullierung zu Grunde liegt, es muss eine Entschädigung in Abhängigkeit der Entfernung von Start- und Zielort gezahlt werden.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte die Klägerin eine Hin – und Rückreise von Frankfurt am Main nach Boston mit einer Fluggesellschaft. Die Beklagte wollte den Rückflug am 12.09. 2007 um 16.20 Uhrzeit durchführen. Durch einen technischen Defekt am Triebwerk 2 kam es dazu aber nicht. Die Fluggesellschaft behauptet, dass der Grund für die Verspätung ein unerwartet eingetretener Strömungsabriss an der Maschine sei. Hierbei handele es sich um einen unerwarteten Umstand.

Die Klägerin konnte dadurch ihre Rückreise nicht pünktlich antreten und bei Nachfrage bei dem zuständigen Personal gab man ihr die Auskunft dass dieser Flug gestrichen sei. Der Flug MI223 startete schließlich mit einer Verspätung von 33 Stunden. Die Klägerin fordert nun eine Schadensersatzzahlung nach der Verordnung 261/2004 von der Fluggesellschaft.

Das Gericht entschied der Klage stattzugeben, da es unerheblich ist ob eine Verspätung oder eine Annullierung vorliegt. Die Beklagte muss der Klägerin eine Entschädigung in Höhe  von 600 € zahlen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 18% und die Beklagte zu 82%.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

7. Die Parteien sind über einen Flugbeförderungsvertrag miteinander verbunden. Die Klägerin buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Hin- und Rückflug von Frankfurt am Main nach Boston (USA) zum Preis von 885,34 Euro.“

8. Der Rückflug, der am 12.09.2007 um 16:20 Uhr Ortszeit mit der Flugnummer MI223 erfolgen sollte, wurde am 14.09.2007 um 01:00 Uhr Ortszeit mit 33 Stunden Verspätung durchgeführt. Die Klägerin wurde auf den Flug MI221 umgebucht, der am 13.09.2007 um 21:45 Uhr Ortszeit durchgeführt wurde.

9. Mit der Klage macht die Klägerin einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und der Rates vom 11.02.2004 (im Folgenden: VO) sowie einen vertraglichen Anspruch wegen Minderung geltend. Zudem verlangt sie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

10. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.10.2007 hat die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31.10.2007 zur Zahlung des Klageanspruchs aufgefordert.

11. Die Klägerin behauptet, ihr sei auf dem Flughafen von Mitarbeitern der Beklagten mitgeteilt worden, dass der Flug MI223 gänzlich gestrichen worden sei. Daher geht sie von einer „Annullierung“ im Sinne von Art. 5 der VO aus. Jedenfalls sei ihrer Ansicht nach eine 33-stündige Verspätung hinsichtlich der Rechtsfolgen wie eine „Annullierung“ nach Art. 5 der VO zu behandeln.

12. Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an sie 732,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2007 sowie außergerichtliche Nebenkosten in Höhe von 120,66 Euro zu zahlen.

13. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14. Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin im Falle einer Verspätung kein Ausgleichsanspruch zustehe, da Art. 6 der VO nicht auf Art. 7 der VO verweise. Jedenfalls aber sei ein Anspruch der Klägerin nach Art. 5 Abs. 3 der VOausgeschlossen, da die Verspätung auf einen nicht zu vermeidenden, außergewöhnlichen Umstand zurückgehe. Hierzu behauptet sie, dass Grund für die Verspätung ein unerwartet eingetretener Strömungsabriss (sog. Stall) am Triebwerk 2 der Maschine gewesen sei. Dieser Defekt ließe sich auch nicht durch die lückenlos und in den jeweils vorgesehenen Intervallen von der Beklagten durchgeführten Wartungsarbeiten ausschließen. Auch habe das Triebwerk vorab keinerlei Auffälligkeiten gezeigt.

15. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

16. Die von der Beklagten angeregte Aussetzung des Rechtsstreits analog §148 ZPO kam jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil das Gericht die Bedenken der Beklagten an der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07 (Condor Flugdienst GmbH), C-432/07 (Société Air France S.A.) nicht teilt.

17. Die zulässige Klage hat in der Sache nur in der tenorierten Höhe Erfolg.

18. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 600,00 EUR gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) der VO zu.

19. Die Anwendbarkeit der VO ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 der VO.

20. Die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) der VO liegen vor.

21. Dabei kann zunächst offen bleiben, ob der Rückflug Nr. MI223 im Sinne von Art. 5 der VO annulliert oder im Sinne von Art. 6 der VO verspätet durchgeführt wurde. Denn nach der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07 (Condor Flugdienst GmbH), C-432/07 (Société Air France S.A.), der sich das Gericht anschließt, können auch Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der VO vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen, wenn sie – wie hier die Klägerin – wegen eines solchen Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden (Urteil EuGH v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, Tz. 61). Hierfür spricht insbesondere, dass die Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge vergleichbar ist: Beide erleiden einen Schaden in Form von Zeitverlust, der mit Ärgernissen und Unannehmlichkeiten einhergeht.

22. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen Anspruchsausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 der VO berufen.

23. Zwar ist Art. 5 Abs. 3 der VO nicht nur im Falle einer Annullierung sondern auch dann anwendbar, wenn ein Ausgleichsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verspätung geltend gemacht wird (Urteil EuGH v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, Tz. 71), weshalb auch insoweit die Frage offen bleiben kann, ob der Flug der Klägerin annulliert oder verspätet durchgeführt wurde.

24. Jedoch sind die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 der VO nicht gegeben.

25. Nach dieser Vorschrift ist ein Luftfahrtunternehmen nur dann nicht zur Leistung von Ausgleichszahlungen verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung (bzw. Verspätung) auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07, Tz. 20) sowie des BGH (Urteil v. 12.11.2009, Xa ZR 76/07, Tz. 13), ist der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 der VO eng auszulegen.

26. Sind Grund der Annullierung – wie hier – technische Mängel des Flugzeugs, so können diese nur dann (als „unerwarteter Flugsicherheitsmangel“ im Sinne von Erwägungsgrund 14 der VO) als „außergewöhnlicher Umstand“ qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07, Tz. 23; BGH a.a.O., Tz. 13). Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn das technische Problem auf einem in Erwägungsgrund 14 genannten Umstand, z.B. versteckten Fabrikationsfehlern, Sabotageakten oder terroristischen Angriffen, beruht (EuGH, a.a.O., Tz. 26).

27. Hingegen gehört zur normalen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sowohl die Behebung eines technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung einer Maschine zurückzuführen ist als auch das Auftreten technischer Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen. Demnach ändert die Einhaltung der Wartungsintervalle nichts daran, dass ein technischer Defekt zu den Ereignissen gehört, die beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens typischerweise auftreten können und deshalb Teil des betrieblichen Alltags sind (BGH a.a.O., Tz. 14).

28. Das Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an. Es verkennt dabei nicht, dass die vorgenannten Entscheidungen jeweils den Fall einer Annullierung zum Gegenstand hatten. Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH (EuGH Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07 (Condor Flugdienst GmbH), C-432/07 (Société Air France S.A.)) sind die gleichen Maßstäbe aber auch im Falle von verspäteten Flügen anzulegen.

29. Hieran gemessen stellen die von der Beklagten angeführten technischen Probleme des Flugzeugs keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der VO dar: Für das Vorliegen eines versteckten Fabrikationsfehlers oder eines Sabotageaktes gibt der Vortrag der Beklagten keinen Anhaltspunkt. Ob die Wartungsarbeiten – wie von der Beklagten behauptet – lückenlos und in den jeweils vorgesehenen Intervallen durchgeführt wurden, kann nach dem oben gesagten offen bleiben.

30. Offen bleiben kann aber auch, ob es sich bei dem gezeigten technischen Problem – wie die Beklagte weiter behauptet – um einen solchen Schaden gehandelt hat, der (auch) durch die regelmäßig zu erfolgenden Wartungsarbeiten nichtausgeschlossen werden kann.

31. Zwar verhalten sich die genannten Entscheidungen des EuGH (Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07, Tz. 25) sowie des BGH (a.a.O., Tz. 14) auf den ersten Blick nicht zu technischen Mängeln, die sich auch bei ordnungsgemäßer Wartung nicht zeigen. Denn sie stellen auf technische Probleme ab, „die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten“.

32. Jedoch kann den Entscheidungen gleichwohl entnommen werden, dass auch solche technischen Mängel nicht zu den „außergewöhnlichen Umständen“ gehören sollen: Denn sie haben ihre Ursache nicht in einem in Erwägungsgrund 14 der VO aufgeführten Umstand. Zwar ist die Aufzählung in Erwägungsgrund 14 der VO – wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt – nicht abschließend. Jedoch haben die in Erwägungsgrund 14 angeführten Umstände zur Gemeinsamkeit, dass sie „von außen“ auf die Durchführung des Fluges einwirken. Es werden Konstellationen erfasst, die nicht in der Verantwortungs- und Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt sind (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 07.05.2009, 22 S. 215/09, Tz. 35). Technische Probleme eines Flugzeuges sind aber untrennbar mit dessen Betrieb verbunden und fallen daher – unabhängig von der Erkennbarkeit oder Vermeidbarkeit – in den Verantwortungs- und Risikobereich des Luftfahrtunternehmens.

33. Der weiter geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 132,80 EUR unter dem Gesichtspunkt der Minderung, §§634 Nr. 3, 638 BGB, steht der Klägerin nicht zu.

34. Dabei kann dahinstehen, ob die Regelungen des BGB-Werkvertragsrechts neben der VO überhaupt zur Anwendung gelangen können oder ob die VO die Rechtsfolgen einer Verspätung – vorbehaltlich Art. 12 VO – abschließend regelt. Denn die Verspätung des Fluges stellt jedenfalls keinen Mangel der Beförderungsleistung im Sinne von §633 BGB dar (BGH Urteil v. 28.05.2009, Az: Xa ZR 113/08= NJW 2009, 2743, 2744).

35. Den Ersatz außergerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,66 Euro kann die Klägerin von der Beklagten ebenfalls nicht verlangen.

36. Ihr steht kein materieller Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

37. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus §§280 Abs. 1, 2, 286 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verzugs. Denn zum Zeitpunkt des Tätigwerdens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin befand sich die Beklagte nicht bereits in Verzug. Der klägerische Vortrag, wonach sich die Klägerin vertreten durch ihren Ehemann, „nach Ankunft in Deutschland an die Beklagte gewandt und Ansprüche angemeldet habe“, reicht nicht zur substantiierten Darlegung der Voraussetzungen einer Mahnung. Mit dem weiteren Vortrag, dass daraufhin „eine befriedigende Reaktion der Beklagten“ nicht erfolgt sei, ist eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten nach §286 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht schlüssig dargetan.

38. Der nachfolgende Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20.10.2007 enthält zwar die verzugsbegründende Mahnung, da die Beklagte in diesem Schreiben unter Fristsetzung zur Leistung aufgefordert wurde. Die Kosten dieser verzugsbegründenden Mahnung sind jedoch kein kausaler Verzugsschaden und aus diesem Grunde von der Beklagten nicht zu ersetzen.

39. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus §§288 Abs. 1, 286 BGB.

40. Durch das oben angeführte Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin befand sich die Beklagte seit dem 01.11.2007 in Verzug.

41. Die Kostenentscheidung beruht auf §92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

42. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 732,80 Euro.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem Forum.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: Technischer Defekt ist kein Entlastungsgrund

Verwandte Entscheidungen

AG Frankfurt, Urt. v. 14.04.2011, Az: 29 C 2034/10 (21)
AG Hannover, Urt. v. 31.01.2011, Az: 426 C 12868/10

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Technischer Defekt kein Entlastungsgrund
Passagierrechte.org:Kein Entlastungsgrund ist ein technischer Defekt

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte.