Beweislast des Versicherers für Zugang der qualifizierten Mahnung nach Folgeprämienverzug

OLG Koblenz: Die Beweislast des Versicherers für Zugang der qualifizierten Mahnung nach Folgeprämienverzug

Ein Versicherungsnehmer verklagte ein Versicherungsunternehmen auf Erstattung der in Folge eines Arbeitsunfalls entstandener Heilbehandlungskosten. Das Versicherungsunternehmen verweigerte aufgrund des § 39 II VVG (Leistungsfreiheit) die Zahlung. Das Versicherungsunternehmen trug vor, dass es den Versicherungsnehmern eine Frist zur Zahlung gesetzt habe, diese ließ der Versicherungsnehmer verstreichen, sodass die Voraussetzungen für die Leistungsfreiheitgegeben seien. Das Zustellungsdatum des Mahnbescheids konnte das Versicherungsunternehmen jedoch nicht nachweisen.

Das Gericht verurteilte das Versicherungsunternehmen zur Erstattung der Behandlungskosten.

OLG Koblenz 10 U 1192/99 (Aktenzeichen)
OLG Koblenz: OLG Koblenz, Urt. vom 28.07.2000
Rechtsweg: OLG Koblenz, Urt. v. 28.07.2000, Az: 10 U 1192/99
LG Mainz, Urt. v. 25.06.1999, Az: 9 U 226/00
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Oberlandesgericht Koblenz

1.Urteil vom 28.07.2000

Aktenzeichen 10 U 1192/99

Leitsatz:

2. Beweislast für Zugang der qualifizierten Mahnung nach Folgeprämienverzug liegt beim Versicherer

Zusammenfassung:

3. Ein Versicherungsnehmer verklagte ein Versicherungsunternehmen auf Erstattung der in Folge eines Arbeitsunfalls entstandener Heilbehandlungskosten. Das Versicherungsunternehmen verweigerte aufgrund des § 39 II VVG (Leistungsfreiheit) die Zahlung. Das Versicherungsunternehmen trug vor, dass es den Versicherungsnehmer durch eine qualifizierte Mahnung in Verzug gesetzt habe und eine Frist zur Zahlung gesetzt habe, diese ließ der Versicherungsnehmer verstreichen, sodass die Voraussetzungen für die Leistungsfreiheit gegeben seien. Das Zustellungsdatum des Mahnbescheids konnte das Versicherungsunternehmen jedoch nicht nachweisen, deshalb konnte nicht festgestellt werden, ob die Zweiwochenfrist tatsächlich verstrichen war.

Das Gericht verurteilte das Versicherungsunternehmen zur Erstattung der Behandlungskosten. Der Versicherer trägt die Beweislast für das Zustellungsdatum der Mahnung. Im Zweifel ist die Frist nicht verstrichen.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 25. Juni 1999 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 41.118,32 DM nebst 4 % Zinsen p.a. seit 19. November 1997 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Krankenkosten, die ihm in Zukunft aus dem Unfallereignis vom 30. November 1996 in I noch entstehen, zu ersetzen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Der Kläger beansprucht aus der bei der Beklagten unterhaltenen Krankenversicherung Erstattung der aufgrund des Arbeitsunfalles vom 30. November 1996 entstandenen unstreitigen Aufwendungen für seine Heilbehandlung in Höhe von 41.118,32 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit und die Feststellung der Erstattungspflicht für künftige Krankenkosten.

6. Die Parteien streiten darüber, ob sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit nach § 39 Abs. 2 VVG berufen kann.

7. Die Beklagte hatte mit einfachem Brief vom 7. November 1996 (Bl. 55) unter Bestimmung einer „Frist von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens“ rückständige Krankenversicherungsprämien nebst Kosten in Höhe von 696,80 DM angemahnt; dem Schreiben war ein Überweisungsvordruck beigefügt. Am 3. Dezember 1996, also drei Tage nach dem Unfallereignis, hatte die Zeugin G an den örtlich zuständigen Versicherungsagenten der Beklagten in bar einen Betrag von 1.264,49 DM auf die von dem Kläger geschuldeten Rückstände gezahlt (Bl. 16).

8. Der Kläger, der seit dem 4. Dezember 1996 unter Betreuung steht (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB), hat wegen behaupteter Geschäftsunfähigkeit seit 1996 die Wirksamkeit der Mahnung bestritten und sich — in der Berufungsinstanz — wegen des genauen Zugangsdatums mit Nichtwissen erklärt.

9 Die Beklagte hat Geschäftsunfähigkeit des Klägers bestritten und — in der Berufungsinstanz — einen Zugang der am 7. November 1996 auf dem Postweg abgesandten Mahnung innerhalb von drei Tagen nach der Absendung, mindestens jedoch drei Wochen vor Zahlung der Zeugin G, behauptet.

10. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

11. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.

12. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen (ab Bl. 186 ff.). Der Senat hat über das Zugangsdatum Beweis erhoben durch Vernehmung des Klägers als Partei auf Antrag der Beklagten sowie durch uneidliche Vernehmung der Zeugin H G.

Entscheidungsgründe:

13. Die Berufung hat Erfolg.

14. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Klage begründet, denn die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Erstattung der bedingungsgemäßen (unstreitigen) Krankenbehandlungskosten aufgrund des Unfallereignisses vom 30. November 1996 nicht nach § 39 Abs. 2 VVG leistungsfrei geworden.

15. Die in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegte Mahnung genügt zwar den formellen Anforderungen des § 39 Abs. 1 VVG.

16. Die Beklagte hat indessen die weiteren Voraussetzungen zur Leistungsfreiheit nach § 39 Abs. 2 VVG nicht nachweisen können. Aufgrund der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme hat sich nicht feststellen lassen, ob und gegebenenfalls unter welchem Datum die Mahnung vor Eintritt des Versicherungsfalles (30. November 1996) dem Kläger zugegangen ist; damit ist nicht bewiesen, dass die von der Beklagten bestimmte Frist bei Eintritt des Versicherungsfalles bereits abgelaufen war.

17. Leistungsfreiheit nach § 39 Abs. 2 VVG tritt nur ein, wenn der Versicherungsfall nach Ablauf der in der Mahnung bestimmten Frist (§ 39 Abs. 1 VVG) eintritt und der Versicherungsnehmer zur Zeit des Eintritts mit der Zahlung der Prämie oder der geschuldeten Zinsen oder Kosten in Verzuge ist. Der für die Leistungsfreiheit maßgebende „Ablauf der Frist“ richtet sich nach dem Zugangsdatum des Mahnschreibens. Darlegungsunfähig beweisbelastet für die Voraussetzung des § 39 Abs. 2 VVG unter Einschluss des Zugangs und des Zugangsdatums ist der Versicherer. Die Beklagte hat — nach rechtlichem Hinweis — ihr zunächst unvollständiges Vorbringen über das Zugangsdatum der qualifizierten Mahnung in der Berufungsinstanz unter entsprechenden Beweisantritten ergänzt.

18. Aufgrund der Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass die als einfacher Brief abgesandte Mahnung vom 7. November 1996 — wie von der Beklagten behauptet — dem Kläger innerhalb von drei Tagen nach dem 7. November oder mindestens drei Wochen vor der Zahlung der Zeugin G vom 3. Dezember 1996 zugegangen war.

19. Die zuerst beantragte Parteivernehmung des Klägers — er hatte unfallbedingt ein Koma erlitten — hat zu dem Ergebnis geführt, dass er keine Erinnerung mehr an das Unfallereignis vom 30. November 1996 hat und er auch nichts mehr dazu sagen kann, welche Briefe in der Zeit vor dem Unfall an ihn gegangen waren.

20. Die Vernehmung der Zeugin G hat ergeben, dass sie das — in der mündlichen Verhandlung vorgelegte — Mahnschreiben vom 7. November 1996 nebst Überweisungsvordruck vorher noch nie gesehen hat. Die Zeugin hatte eine eigene Wohnung; mit dem Kläger ist sie damals befreundet gewesen; eine Postvollmacht oder sonstige Vollmachten des Klägers hatte sie nicht. Ihre Zahlung nach dem Unfallereignis vom 30. November 1996 beruhte, wie sie weiter schilderte, ausschließlich auf der ihr damals schon länger bekannten Tatsache, dass der Kläger in Zahlungsangelegenheiten etwas lasch war und sie nach dem Unfall dachte, dass es für den Kläger Schwierigkeiten geben könne, wenn Versicherungsbeträge nicht bezahlt seien. Sie hat sich daher aus eigenem Antrieb bei dem örtlichen Versicherungsagenten der Beklagten nach Beitragsrückständen des Klägers erkundigt und den von dem Versicherungsagenten angegebenen Betrag von zuletzt 1.264,49 DM in bar gegen Quittung bezahlt.

21. Das von der Beklagten behauptete Zugangsdatum folgt auch nicht aus sonstigen Indiztatsachen.

22. Aus der zugestandenen Tatsache, dass die damalige Betreuerin des Klägers das Mahnschreiben der Beklagten zufällig nach dem 4. Dezember 1996 in der Wohnung des Klägers entdeckt hatte, lässt sich nicht herleiten, unter welchem genauen Datum vor dem 4. Dezember 1996 das betreffende Mahnschreiben dem Kläger zugegangen sein könnte.

23. Aus dem von der Beklagten angegebenen Absendedatum (7. November 1996) lässt sich ebenfalls nicht herleiten, wann das als einfacher Brief auf dem Postweg abgesandte Schreiben dem Kläger zugegangen sein könnte. Es gibt keinen anerkannten Erfahrungssatz dafür, dass eine (einfache) Postsendung nach einer bestimmten Zeit beim Empfänger abgeliefert wird. Dem Kläger, der keine Erinnerung mehr an postalische Briefsendungen aus der Zeit vor dem Unfall hat, kann im Übrigen keine Substantiierungslast für solche Tatsachen auferlegt werden, die einen späteren Zugang plausibel machen. Der Empfänger einer Postsendung kann nichts über den postalischen Weg und über die möglichen Gründe sagen, die zu einer postalischen Verzögerung des Zuganges führen.

24. Es besteht schließlich auch keine Veranlassung, dem Versicherer Beweiserleichterungen im Rahmen des § 39 Abs. 2 VVG zukommen zu lassen. Denn er hat es selbst in der Hand, diese voraussehbaren Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, indem er statt eines (kostengünstigen) einfachen Briefes die qualifizierte Mahnung gegebenenfalls durch Einschreiben gegen Rückschein oder mittels eines anderen geeigneten Zustellungsnachweises an den Versicherungsnehmer versendet.

25. Der Senat kann damit zusammengefasst den behaupteten Zeitpunkt für den Zugang der Mahnung nicht feststellen. Nach der Beweislage ist lediglich feststellbar, dass das Mahnschreiben dem Kläger zu einem nicht mehr näher aufklärbaren Zeitpunkt in der Zeit nach dem 7. November 1996 und vor dem 4. Dezember 1996 zugegangen ist. Damit hat die Beklagte aber nicht beweisen können, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles (30. November 1996) die mit dem — unbekannten — Zugangsdatum ihres Mahnschreibens begonnene Frist („nach Erhalt dieses Schreibens“) bereits abgelaufen war.

26.  Ob der Kläger seit 1996 geschäftsunfähig gewesen ist, wie er in der Berufungsinstanz mittels zusätzlicher Anknüpfungstatsachen behauptet hat, ist daher nicht mehr ergänzend aufklärungsbedürftig.

27.  Mangels Leistungsfreiheit der Beklagten hat der Kläger folglich Anspruch auf Erstattung der unstreitigen Versicherungsleistungen.

28. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.

29. Das angefochtene Urteil ist somit antragsgemäß zugunsten des Klägers abzuändern.

30. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

31. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

32. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 51.118,32 DM festgesetzt.

33. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

34. Zahlungsantrag: 41.118,32 DM,

35. Feststellungsantrag: 10.000 DM.

36. Die Beschwer der Beklagten beträgt 51.118,32 DM.

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