Schadensersatz wegen nicht zugestellter Reiseunterlagen
LG Zweibrücken: Schadensersatz wegen nicht zugestellter Reiseunterlagen
Eine Reiseunternehmerin wurde auf Schadensersatz verklagt, weil sie die Reisedokumente der Lebensgefährtin des Klägers für eine geplante Reise nicht pünktlich zugesandt hat.
Das Landgericht Zweibrücken hat der Klägerin Schadensersatz in höhe von 1,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.11.2005 zugesprochen jedoch die Klage im Übrigen abgewiesen.
LG Zweibrücken | 3 S 150/06 (Aktenzeichen) |
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LG Zweibrücken: | LG Zweibrücken, Urt. vom 20.02.2007 |
Rechtsweg: | LG Zweibrücken, Urt. v. 20.02.2007, Az: 3 S 150/06 |
AG Zweibrücken, Urt. v. 17.08.2006, Az: 1 C 172/06 | |
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Leitsätze:
2. Erreicht eine Luftfracht nicht das erwünschte Ziel, so kommt das Frachtunternehmen als Schuldner der Leistung in Verzug. Entstehen dem Fluggast Mehrkosten aufgrund der Nichterfüllung, so ist das Frachtunternehmen dem Fluggast zum Ersatz dieser verpflichtet.
Zusammenfassung:
3. In diesem Fall buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug für sich und für seine in der Ukraine lebende Lebensgefährtin. Dabei beauftragte er das Reiseunternehmen die Reisedokumente seiner Lebensgefährtin nach Ukraine zu senden. Jedoch wurden die Reisedokumente an den Kläger zurückgesandt, sodass der Flug nicht stattfinden konnte.
Der Kläger begehrt von dem beklagten Reiseunternehmen einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung.
Das Landgericht in Zweibrücken hat dem Kläger den Mehrkostenersatz zugesprochen. Jedoch entschied es, dass die beiden Parteien einen Luftfrachtvertrag geschlossen hätten, auf den das MÜ anzuwenden sei. Demnach kam der Brief nicht mal annähernd an die ursprüngliche Adressatin. Stattdessen wurde der Brief lediglich von Zweibrücken in das 40 Kilometer entfernte Saarbrücken und von Saarbrücken aus an den Kläger zurückgesandt. Somit kommt das Reiseunternehmen wegen Nichterfüllung in Verzug und macht sich dem Fluggast gegenüber schadensersatzpflichtig.
Tenor:
4. Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.08.2006 verkündete Urteil des AGs Zweibrücken abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 928,04 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 29.11.2005 zu zahlen sowie 87,29 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu zahlen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 931,99 € festgesetzt.
Tatbestand:
5. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen Frachtvertrag in Anspruch.
6. Am 27.06.2005 lieferte der Kläger Reiseunterlagen bei der Filiale der Beklagten in Zweibrücken ein. Er hatte zuvor eine Urlaubsreise in Istanbul für sich und seine in der Ukraine wohnende Lebensgefährtin für den Zeitraum 06.07. bis 11.07.2005 gebucht. Für seine Lebensgefährtin hatte er einen Flug von Simferopol nach Istanbul und zurück zum Preis von 647,04 € sowie einen Hotelaufenthalt für beide in Höhe von 256,- € gebucht. Auf dem Frachtbrief wurde als Inhaltsbeschreibung „Passenger Tickets and Baggage Check“ angegeben. Die Beklagte beschränkt in ihren AGB die Haftung, mit Ausnahme der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes, auf 500,- € und rät für eine weitergehende Haftung zum Abschluss einer Zusatzversicherung.
7. Nachdem die Beklagte in einem von ihr herausgegebenen Prospekt eine Laufzeit von 2 bis 4 Tagen für die Versendung von Dokumenten in die Ukraine angibt, ging der Kläger davon aus, dass er das Flugticket seiner Lebensgefährtin schicken könne und sie sich sodann am Urlaubsort treffen könnten.
8. Die Beklagte lieferte den Brief jedoch nicht an die Lebensgefährtin des Klägers. Dieser gelangte zunächst von Zweibrücken nach Saarbrücken, wo er am 27.06.2005 um 13.54 Uhr einging. Die Sendung verließ die Station Saarbrücken am selben Tag, um an den Kläger (Absender) zurückgegeben zu werden. In den frühen Morgenstunden ging er wieder in der Station Saarbrücken ein. Um 7.00 Uhr morgens sollte der Kläger erneut, diesmal durch einen Kurier, den Brief erhalten. Die Auslieferung scheiterte jedoch. Bis zum 06.07.2005 wurde der wieder nach Saarbrücken verbrachte Brief nicht mehr transportiert, sondern stattdessen an den Kläger an diesem Tag zurückgeliefert.
9. Der Kläger verlangt neben Flug- & Hotelkosten eine Kostenpauschale in Höhe von 30,- €.
10. Der Kläger hat vorgetragen,
ihm stehe ein Schadensersatzanspruch aufgrund der Nichterfüllung der Beklagten zu, da diese den Brief gar nicht befördert habe.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 933,04 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit 29.11.2005 zu zahlen.
Sowie
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 87,29 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen (Anwaltskosten).
12. Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
aufgrund des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28.08.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen; im Folgenden nur noch MÜ), ergebe sich nach dessen Art. 22 eine Haftungshöchstgrenze. Nach dem Gewicht der Sendung belaufe sich der Betrag hier auf 1,05 €.
14. Durch Urteil vom 17.08.2006 hat das AG dem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 1,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.11.2005 zugesprochen; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
15. Zur Begründung führt die Erstrichterin aus, dass die Parteien einen Luftfrachtvertrag geschlossen hätten, auf den das MÜ anzuwenden sei. Nach Art. 19 des MÜ hafte der Luftfrachtführer verschuldensunabhängig für den Schaden, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Gütern entsteht. Der vom Kläger geltend gemachte Schaden betreffe die Verspätung der Beförderung von Gütern. Es handele sich um einen Verspätungs- und nicht um einen Nichterfüllungsschaden. Zwar habe die Beklagte das Frachtgut nicht zu ihrem Bestimmungsort befördert, allerdings habe sie mit dem Beförderungsvorgang als solchem bereits angefangen, da sie die Sendung von Zweibrücken nach Saarbrücken transportiert habe. Gemäß Art. 18 Abs. 4 des MÜ erfasst der Zeitraum der Luftbeförderung auch Beförderungen zu Land, die bei Ausführung des Luftbeförderungsvertrags zum Zwecke der Verladung, der Ablieferung oder der Umladung erfolgen. Genau dieses sei vorliegend der Fall. Indem die Sendung nicht – wie versprochen – binnen 2-4 Tagen nach Einlieferung an die Lebensgefährtin des Klägers ausgeliefert worden sei, sondern vielmehr nach Einlieferung an ihn zurückgesendet worden sei, sei diese Sendung „jedenfalls verspätet“. Gemäß Art. 22 des MÜ sei der Haftungshöchstbetrag bei Verspätung von Gütern nach der Schwere der Sendung zu berechnen, was vorliegend einen Anspruch auf Zahlung von 1,05 € zur Folge hätte.
16. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter.
Es habe keine Verspätung vorgelegen, da die von der Beklagten zu transportierenden Dokumenten nie am Bestimmungsort in der Ukraine angekommen sei. Weiterhin beziehe sich die Haftungsbeschränkung des MÜ, ebenso wie bereits beim Warschauer Abkommen, nur auf Schadensersatzansprüche, die aus dem Luftverkehr typischen Gefahren entstehen können. Ein solcher Fall liege hier ersichtlich nicht vor,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte wie folgt zu verurteilen,
1. an ihn 933,04 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 29.11.2005 zu zahlen;
2. an ihn 87,29 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
die Berufung zurückzuweisen.
20. Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor:
21. Die Auslegung des Klägers, es seien nur typische Gefahren des Luftverkehrs durch das MÜ erfasst, sei ebenso überholt wie das Warschauer Abkommen und die hierzu ergangene Rechtsprechung. Es werde auch der gesamte Zeitraum erfasst, während dessen die Güter in einem außerhalb des Flughafengeländes befindlichen Lagers des Luftfrachtführers zwischengelagert würden. Die Beklagte sammle ihre Luftfrachtgüter, Briefe und Pakete, in Saarbrücken, von wo aus sie unmittelbar zum nächst liegenden Flughafen verbracht würden. Selbst wenn man eine vertragswidrige Straßenbeförderung unterstelle, habe es keine andere Möglichkeit gegeben, da Zweibrücken keinen eigenen Flughafen habe, sodass sie, die Beklagte, gezwungen gewesen sei, den Brief nach Saarbrücken zu bringen.
22. Weiterhin greife zumindest nach dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr (im Folgenden CMR) oder dem HGB eine Haftungsbegrenzung ein. Ein qualifiziertes Verschulden liege nach dem Vortrag des Klägers nicht vor.
Entscheidungsgründe:
23. Die verfahrensrechtlich nicht zu beanstandende Berufung hat weit überwiegend Erfolg.
24. Wegen seines Schadens (Kosten des Flugtickets) hat der Kläger einen Anspruch aus § 280 BGB bzw. aus § 431 oder § 433 HGB auf Ersatz seines gesamten Schadens, da eine Haftungsbegrenzung durch vorrangige Übereinkommen oder HGB vorliegend nicht eingreifen (siehe unten II. 1.-7.).
25. Lediglich bezüglich eines Teil der zusätzlich geforderten Kostenpauschale erweist sich die Klage als unbegründet (siehe unten II. 8.).
26. 1. Im Gegensatz zur Auffassung der Erstrichterin ist das Montrealer Übereinkommen nicht einschlägig.
27. 1.1. Zutreffend ist, dass das MÜ selbst dann gilt, wenn vertragswidrig auf der Straße eine (Teil-)Beförderung stattfindet (vgl. Boettge in VersR 2005, 908, 912). Auf die Tatsache, dass Zweibrücken entgegen der Annahme der Beklagten einen Flughafen besitzt, kommt es deshalb nicht an. Das folgt nämlich aus Art. 18 Abs. 4 Satz 3 des MÜ, nach dem selbst die vertragswidrige Luftfracht-Ersatzbeförderung unter dieses Übereinkommen fällt, weil hiernach nur das Recht des vereinbarten Beförderungsmittels (Luftfahrzeug) entscheidend ist.
28. Aus diesem Grunde trifft es auch zu, dass die früher geforderte eigentümliche Gefahrenlage des Luftverkehrs (so etwa noch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.1996, Az.: 18 U 174/95; zitiert nach Juris) für die Anwendbarkeit des MÜ nicht mehr erforderlich ist.
29. 1.2. Die Vorschriften des MÜ regeln aber, ebenso wie früher die des Warschauer Abkommens, lediglich Ersatzansprüche im Falle einer „Verspätung“ (oder der Zerstörung oder Beschädigung von Transportgut). Eine Definition der „Verspätung“ enthält das Montrealer Übereinkommen allerdings nicht, da eine Einigung insoweit bei der Konferenz nicht erzielt werden konnte (vgl. u.a. Boettge a. a. O.).
30. Ebenso wie im Warschauer Abkommen ist jedoch der Fall der Nichtbeförderung bzw. Nichterfüllung durch das MÜ nicht geregelt. Zum Warschauer Abkommen entsprach es höchstrichterlicher Rechtssprechung, dass deshalb das Warschauer Abkommen für solche Schadensersatzansprüche nicht einschlägig ist (vgl. BGH NJW 1997, 495). Insoweit hat sich durch das MÜ keine Neuerung gegeben, sodass weiterhin davon auszugehen ist, dass das Montrealer Übereinkommen enumerativ – und damit abschließend – die Schadensersatzansprüche regelt und dass, soweit keine Regelung vorliegt, auf allgemeine Vorschriften zurückgegriffen werden muss. Dass das MÜ diesbezüglich keine Änderungen zum Warschauer Abkommen gebracht hat, entspricht (soweit ersichtlich) auch der allgemeinen Auffassung in Literatur und Rechtssprechung (vgl. Giemulla/Schmid, Montrealer Übereinkommen, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Band 3, Stand: Oktober 2006, Art. 19 Montrealer Übereinkommen Rd. 6).
31. 2. Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich hier aber nicht um eine Verspätung, sondern um eine Nichterfüllung .
32. 2.1. Mangels spezieller Definition im MÜ setzt nach der allgemein üblichen Auslegung des Begriffes eine „Verspätung“ voraus, dass das befördernde Luftfahrzeug nicht rechtzeitig, d.h. zu spät am Ziel- bzw. Bestimmungsort eintrifft (vgl. Giemulla/Schmid a. a. O.; Boettge a. a. O. jeweils mit weiteren Nachweisen).
33. Ausgehend hiervon, ist im vorliegenden Fall nach Ansicht der Kammer von einer Nichtbeförderung und nicht lediglich von einer Verspätung auszugehen.
34. Die Beklagte, die ausweislich ihrer Homepage (www.dhl.de) ausdrücklich damit wirbt, dass wichtige Dokumente „schnell, sicher und zuverlässig“ ihr Ziel erreichen (unstreitig war hier eine Laufzeit von 2-4 Tagen zugesagt), muss sich an ihren Maßstäben messen lassen. Die Versandkosten in die Ukraine betrugen immerhin 51,-€.
35. Zwar ist zutreffend, dass der Brief durch den Transport nach Saarbrücken (ca. 40 km weit) befördert wurde im Sinne des Montrealer Übereinkommens, dieses geringe Teilstück der geschuldeten Strecke kann jedoch letztlich nicht ausschlaggebend sein. Nach der Definition wäre es nämlich zumindest erforderlich gewesen, dass der Brief den Adressaten überhaupt erreicht hätte. Das war hier nicht der Fall. Unstreitig gelangte der Brief nämlich nie an die eigentliche Adressatin, sondern wurde vielmehr durch die Beklagte an den Kläger als Absender zurückgegeben. Der Brief hat sich letztlich seinem Ziel in keinster Weise genähert.
36. 2.2. Auch eine analoge Anwendung des Art. 18 des Montrealer Übereinkommens ist nicht möglich. Zum einen ist dieses, wie bereits ausgeführt, enumerativ ausgestaltet; das ergibt sich bereits aus der Überschrift des Abkommens („Übereinkommen vom 28.05.99 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr“). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auf der Konferenz zum Montrealer Übereinkommen der Aspekt der Nichterfüllung nicht behandelt wurde, obwohl erkannt war, dass das Warschauer Abkommen die Fälle der Nichtbeförderung bzw. Nichterfüllung gerade nicht regelte (vgl. auch Giemulla/Schmid a. a. O., Rn. 94). Deshalb kann schon nicht von einer planwidrigen Lücke ausgegangen werden. Vielmehr ist, soweit Regelungen des MÜ nicht eingreifen, auf andere Regelungswerke bzw. die allgemeinen Vorschriften des jeweiligen Staates zurückzugreifen.
37. 3. Auch das CMR führt zu keiner Haftungsbegrenzung.
38. 3.1. Das CMR ist vorliegend nicht einschlägig. Es enthält ein geschlossenes Regelungssystem nur im Hinblick auf Beeinträchtigung des Gutes, Lieferüberschreitungen und auf Ansprüche des Frachtführers wegen Beförderungs- und Ablieferungshindernissen. Ansonsten werden die Folgen von Leistungsstörungen nur punktuell behandelt, sodass die Lücken nach den allgemeinen Regeln zu schließen sind (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl. CMR vor Art. 1 Rd. 22 m. w. N.). Der Fall der Nichtverfüllung ist jedoch durch das CMR nicht erfasst.
39. 3.2. Eine Haftungsbegrenzung aus dem CMR wäre hier ohnehin gemäß Art. 29 CMR ausgeschlossen.
40. 3.2.1. Nach allgemeiner Auffassung steht nämlich zumindest die Leichtfertigkeit dem Vorsatz gleich (vgl. Köller CMR Art. 29 Rn 3a m.w.N.). Leichtfertig handelt derjenige, der grundlegende, auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt, objektiv nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder sich über Bedenken hinwegsetzt, die sich angesichts von Gefahren ohne weiteres hätten aufdrängen müssen. Der Frachtführer darf somit nicht evident das Erfordernis zuverlässig ineinander greifender, verlässlich funktionierender Sicherungsvorkehrungen unbeachtet lassen und/oder evident auf eine sich geschlossene Sicherheitsplanung verzichten (Köller a.a.O.; vgl. auch BGH, Urteil v. 01.12.2005, Az. I ZR 85/04, zitiert nach juris).
41. 3.2.2. Ein solch leichtfertiges Handeln liegt zur Überzeugung der Kammer hier vor.
42. Aus dem durch den Kläger vorgelegten, von der Beklagten inhaltlich nicht angezweifelten, detaillierten Sendungsbericht (Bl. 12 d.A.) geht hervor, dass – beruhend auf einer offensichtlichen Fehleintragung (Herkunfts- und Zielort waren identisch) – der Brief mehrfach zurück an den Absender geliefert werden sollte, sich aber auch über mehrere Tage zur Aufbewahrung lediglich in der Station in Saarbrücken befand.
43. Letztlich ist der Brief nur zwischen Saarbrücken und Zweibrücken „gekreist“. Dies belegt eindeutig, dass die Klägerin keinerlei Kontrollen durchführt, ob ein Brief vertragsgemäß weiter befördert wird. Eine andere Erklärung lässt die Aufbewahrung vom 27.06. bis 06.07.2005 in Saarbrücken bzw. der kurzfristige Transport sogar zurück nach Zweibrücken nicht zu. Die Tatsache, dass – wie ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – die Briefe lediglich durch Scanner, also maschinell eingelesen werden, vermag die Beklagte nicht zu entlasten, da jedenfalls beim zweiten Scannen der Sendung an derselben Station eine automatische Warnfunktion erforderlich gewesen wäre, die zur Entdeckung des (Ursprungs-)Fehlers geführt hätte.
44. Obwohl der Adressat deutlich notiert war und deshalb bekannt sein musste, hat offensichtlich auch keiner der Mitarbeit der Beklagten dies jemals sorgfältig gelesen, hieraus die erforderliche Konsequenz gezogen und die Weiterbeförderung des Briefes über die Station Saabrücken hinaus in Angriff genommen. Dieser Umstand begründet schon für sich allein den Vorwurf der bewussten Leichtfertigkeit im Sinne des § 435 HGB. Hierauf hatte der Kläger bereits in seinen Schriftsätzen hingewiesen, sodass sich ein weiterer Hinweis durch die Kammer erübrigte.
45. 4. Dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch stehen auch nicht die Haftungsbegrenzungen des HGB entgegen.
46. 4.1. Ob es sich vorliegend um einen Frachtvertrag nach § 407 ff HGB oder ein Speditionsvertrag nach § 453 ff HGB, ist im Hinblick auf die Bestimmung des Fixkostenspediteure gemäß § 459 HGB letztlich unerheblich.
47. 4.2. Die zunächst in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des § 425 HGB betrifft lediglich Schäden für den Verlust oder die Beschädigung des Gutes oder Überschreitung der Lieferfristen.
48. Der vorliegende Fall lässt sich jedoch unter keinen dieser Tatbestandvoraussetzungen subsumieren. Auch der einzig in Betracht kommende Fall einer Überschreitung der Lieferfrist ist nicht gegeben. Nach § 407 HGB schuldet der Frachtführer nämlich ein „Werk“ in Form der Ortsveränderung und Ablieferung beim Empfänger.
49. Eine Ablieferung beim Empfänger ist jedoch gerade nicht erfolgt, sodass die Vorschriften des HGB und somit die Haftungsbeschränkung des § 431 HGB nicht einschlägig sind.
50. 4.3. Ein Fall des § 433 HGB ist ebenfalls nicht gegeben, da § 433 HGB nur den Fall beförderungstypischer Nebenpflichtverletzungen regelt (vgl. nur Ebenroth/Boujong/Joost, HGB § 433 Rd. 6).
51. 4.4. Auch eine analoge Anwendung einer dieser Haftungsbegrenzungen scheidet aus.
52. So ist in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 415 HBG festgehalten, dass sich der Absender auf die Rechtsbehelfe des allgemeinen Schuldrechts berufen dürfte (vgl. Koller a. a. O. HGB § 407 Rn. 82). Weiterhin ist zu sehen, dass der Fall des § 425 HGB typische Risiken einer Beförderung erfasst; insoweit besteht auch ein legitimes Interesse des Frachtführers auf Begrenzung seiner Einstandspflicht. Dass er im Fall einer Nichterfüllung ebenfalls privilegiert werden soll, ist fern liegend. Weiterhin ist insbesondere ein Fall der Regelungslücke nicht gegeben, da die allgemeinen Vorschriften des BGB dann zum Zuge kommen und ein unbilliges Ergebnis, etwa aufgrund eines nicht kalkulierbaren Risikos für den Frachtführer, gegebenenfalls durch § 254 BGB zu korrigieren ist.
53. 4.5. Selbst wenn man jedoch die Vorschriften des HGB für einschlägig halten sollte, liegt, wie bereits ausgeführt (vgl. II.3.2.2.) zur Überzeugung der Kammer ein Fall der leichtfertigen Schadensverursachung im Sinne des § 435 HGB vor, sodass die Klägerin unbeschränkt haftet.
54. 5. Aus den obigen Ausführungen folgt auch, dass – selbst wenn die Haftungsbeschränkung entsprechend der allgemeinen Transportbedingungen der Beklagten gültig wären – ein Fall der groben Fahrlässigkeit entsprechend Nummer 12.3 vorliegt, sodass eine Beschränkung der Haftung nicht gegeben ist.
55. 6. Ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB oder gemäß § 425 Abs. 2 HGB muss sich der Kläger vorliegend nicht anrechnen lassen. Durch die eindeutige Deklaration auf dem Frachtbrief musste der Beklagten die Höhe eines möglichen Schadens bewusst sein. Insoweit handelt es sich vorliegend nicht um die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens, vielmehr ist der Wert der Flugtickets und der sich daraus ergebenden Folgekosten eher im unteren Bereich anzusiedeln. Nach der Rechtsprechung des BGH ist regelmäßig die Gefahr eines besonders hohen Schadens bei dem zehnfachen Wert der vom Transporteur festgelegten Haftungshöchstgrenze zu ziehen (vgl. BGH Urteil v. 01.12.05 a.a.O. Rn 39; das wären hier 5000,- €).
56. Der mangelnde Abschluss einer zusätzlichen Versicherung kann dem Kläger nicht als Mitverschulden angelastet werden. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer schon aus der Abwägung zur leichtfertigen Schadensverursachung durch die Beklagte. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Hinweis auf eine mögliche Zusatzversicherung nur in den Transportbedingungen findet und eine entsprechende Belehrung des Klägers nicht einmal behauptet wird. Auch ist nicht ersichtlich, welches Risiko eine solche Versicherung abgedeckt hätte.
57. Vor allem aber kann dem Kunden nicht zugemutet werden, sich gegen leichtfertiges bzw. grob fahrlässiges Verhalten seiner unmittelbaren Vertragspartnerin zu versichern. Das Verlangen nach einer Versicherung gegen eigene Fehler liefe auf eine unzulässige Haftungsfreistellung hinaus und würde einen Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) darstellen.
58. 7. Dem Kläger steht somit Schadensersatz für die unnötig aufgewandten Flugreisekosten sowie für die Hotelkosten zu.
59. 8. Hinsichtlich der Kostenpauschale geht die Kammer jedoch nur von den üblichen 25,- € aus, wie es der immer noch herrschenden Meinung entspricht (vgl. u.a. Rixecker in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24.Auflage, III Rn. 98 m.w.N.).
60. 9. Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie Zinsen ergibt sich aus §§ 280, 286 BGB.
61. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO zu entnehmen.
62. Ein Fall des § 543 Abs. 2 ZPO ist nicht gegeben.
63. Es ist allgemein anerkannt und auch in der Rechtsprechung unumstritten, dass das MÜ für den Fall einer Nichterfüllung nicht anwendbar ist.
64. Gleiches gilt für die Frage der Einschlägigkeit des CMR und des HGB. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass – selbst, wenn man als Anspruchsgrundlage nicht § 280 BGB, sondern § 425 oder § 433 HGB heranzieht – dies im Ergebnis keinen Unterschied macht, da hier leichtfertiges Handeln der Klägerin vorliegt und insoweit kein allgemeines Klärungsbedürfnis gegeben ist.
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