Haftung für Gepäckverlust

OLG Frankfurt: Haftung für Gepäckverlust

Eine Reisende übergab ihrem Luftfrachtführer ihr Reisegepäck. Weil ein Großteil des Gepäcks am Zielflughafen nicht mehr aufzufinden war, verklagt sie die Airline nun auf Ersatz des entstandenen Schadens.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat der Klägerin Recht zugesprochen. In die Risikosphäre der Airline übergeben, wird bei Beschädigung oder Verlust des Gepäcks von einem Verschulden des Luftfahrtunternehmens ausgegangen.

OLG Frankfurt 13 U 215/02 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 30.08.2004
Rechtsweg: OLG Frankfurt, Urt. v. 30.08.2004, Az: 13 U 215/02
LG Darmstadt, Urt. v. 24.09.2002, Az: 18 O 68/01
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 30. August 2004

Aktenzeichen: 13 U 215/02

Leitsatz:

2. Airline trifft Verschuldensvermutung bei Gepäckverlust.

Zusammenfassung:

3. Eine Reisende buchte bei einer privaten Fluggesellschaft einen Linienflug. Ihre Gepäckstücke übergab sie dem Airlinepersonal zum sicheren Transport. Am Zielflughafen angekommen musste die Klägerin jedoch feststellen, dass ein Großteil ihres Gepäcks nicht mehr aufzufinden war. In der Folge verlangt  sie von dem Unternehmen einen Ausgleich des ihr hierdurch entstandenen Schadens.

Die Fluggesellschaft weigert sich der Zahlung. Es könne nicht zweifelsfrei dargelegt werden, dass das Gepäck während des Beförderungsvorgangs abhandengekommen sei.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat dem Begehren der Klägerin entsprochen. In der Flugreise sei ein einfacher Beförderungsvertrag zu sehen, der den Transport des Gepäcks als Nebenleistung mit einschließe. Somit gelte Artikel 18 III WA 1955 mit der Folge, dass widerleglich vermutet wird, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis entstanden ist.

Da die Schadensursache nicht in der Sphäre der Klägerin liegt, und da in der Sphäre der Beklagten unklärbar geblieben ist, wo die Luftfracht abhanden kam, bleibt es folglich zunächst bei der generell begründeten und grundsätzlich beschränkten Einstandspflicht der Beklagten aufgrund vermuteten Verschuldens.
Der Klägerin stehe folglich ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Wertes der abhandengekommen Fracht zu.

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des LGs Darmstadt vom 24.09.2002 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des zweiten Rechtszuges tragen.

Gründe:

5. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

6. Sie eignet sich nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

7. Die Berufung der Beklagten ist auch unbegründet, weshalb sie gemäß §522 II ZPO ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen war.

8. Der Senat hält – entsprechend seinem Hinweisbeschluss vom 05.07.2004, auf den verwiesen wird – daran fest, dass die Beklagte aufgrund des im internationalen Luftfrachtbrief vom 23.11.2000 dokumentierten Transportauftrages zu Recht zur Zahlung von 21.153,68 € (vormals 41.373,00 DM) nebst Zinsen verurteilt worden ist. Dieser Zahlungsanspruch steht der Klägerin – deren Aktivlegitimation im zweiten Rechtszug nicht mehr im Streit steht – unter Berücksichtigung einer außergerichtlichen Zahlung der Beklagten von 850,00 DM gemäß Artikel 18 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr in der Fassung von Den Haag 1955 (im folgenden Text kurz WA 1955) zu.

9. Das WA 1955 greift vorliegend ein, nachdem neben Deutschland auch die USA 1998 zum Vertragsstaat geworden sind (Deutschland seit der Ratifizierung am 01.08.1963 und die USA seit der Ratifizierung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 im Jahre 1998, vgl. dort Artikel XIX Absatz II; vgl. Giemulla/Schmid/von Elm, Recht der Luftfahrt, 4. Aufl., 2003, Seite 115; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Protokoll Nr. 4, Stichwort: „Vertragsstaaten“).

10. Darüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.

11. Da nach dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien davon auszugehen ist, dass die von der Beklagten neben dem durch Luftbeförderung zu gewährleistenden Transport von Deutschland nach USA auch erbrachten Zu- und Ablieferungsdienste von ihrer Bedeutung her neben der Luftbeförderung reinen Annexcharakter hatten, und da der am 23.11.2000 ausgestellte internationale Luftfrachtbrief gemäß Artikel 11 I WA 1955 für den Abschluss eines internationalen Luftvertrages im Sinne des Artikel 1 WA 1955 streitet, ist nicht von einer multimodalen, also gemischten oder kombinierten Beförderung im Sinne des Artikel 31 I WA 1955 auszugehen (Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, lose Blattsammlung, Stand Dezember 2003, Artikel 18 WA 1955, Rz 22 ff. mit Artikel 31 WA 1955 Rz. 1 a f.; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., 2004, Artikel 5 bis 11 WA 1955, Rz 13 ff.; BGH TranspR 2001, 29 f.; OLG Report München 1999, 192).

12. Soweit es die sich als bloßes „Akzessorium der Luftbeförderung“ und nicht etwa als Bestandteil einer gemischten Beförderung darstellenden Zulieferdienste der Beklagten betrifft, gilt somit Artikel 18 III WA 1955 mit der Folge, dass widerleglich vermutet wird, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis entstand. Auch hiergegen richtet sich die Berufung nicht.

13. Da die Schadensursache nicht in der Sphäre der Versicherungsnehmerin der Klägerin liegt, und da in der Sphäre der Beklagten unklärbar geblieben ist, wo die Luftfracht abhanden kam, bleibt es folglich zunächst bei der generell begründeten und grundsätzlich beschränkten Einstandspflicht der Beklagten aufgrund vermuteten Verschuldens (Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, lose Blattsammlung, Stand 12/2003, Artikel 18 WA, Rz 23 d; Münchener Kommentar-Kronke, HGB, Transportrecht, 1997, Artikel 18 WA 1955, Rz 18, 45 mit Artikel 25 WA 1955, Rz 1).

14. Mit dem LG ist davon auszugehen, dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin der Beklagten das zu befördernde Gut – wie es für die Anwendung des Artikel 18 III WA 1955 vorausgesetzt wird – in einwandfreiem Zustand übergeben hat.

15. Dafür spricht bereits die Gewichtsangabe im internationalen Luftfrachtbrief (0,5 Kilogramm).

16. Nach Artikel 11 II WA 1955 gilt dieses Gewicht bis zum Beweis des Gegenteils als richtig (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., 2004, Artikel 5 bis 11 WA 1955, Rz 18 f.). Wäre das Paket – äußerlich nicht erkennbar – leer gewesen, also ohne die streitgegenständlichen Ringe an die Beklagte übergeben worden, wäre das Gewicht nicht zu erklären. Es ist nicht behauptet oder gar bewiesen, dass das Paket mittels eines anderen Gegenstandes beschwert gewesen wäre. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es „leer“ angekommen ist.

17. Überdies hat die Beklagte über ihre Schreiben vom 19.12.2000 (vgl. Bl. 19 d. A.; „wir bedauern außerordentlich, dass Ihre Sendung… offenbar leer angekommen ist… Wir haben inzwischen die Schadensregulierung in die Wege geleitet; ein Scheck über 850,00 DM ist bereits beantragt“) und ihr Schreiben vom 20.12.2000 (vgl. Bl. 60 d. A.; „zur Regulierung des mit obiger Frachtbriefnummer bezeichneten Schadens erhalten Sie anbei einen Verrechnungsscheck in Höhe von 850,00 DM. Wir bedauern die Unannehmlichkeiten, die Ihnen bezüglich der o. g. Frachtbriefnummer entstanden sind und bitten hierfür um Entschuldigung…“) Beweiszeichen gegen sich selbst gesetzt (vgl. zum Beweiszeichen allgemein Palandt/Sprau, 63. Aufl., § 781 BGB, Rz 6 m. w. N.; vgl. ferner OLG München TranspR 2000, 133 ff.).

18. Vor diesem Hintergrund bleibt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und in Anbetracht der von den Zeuginnen Z 1 und Z 2 beschriebenen Verpackungs- und Kontrollmechanismen bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin und den weiteren Bekundungen der Zeugin Z 2 kein vernünftiger Zweifel daran, dass die sechs Ringe ordnungsgemäß verpackt an die Beklagte übergeben wurden (vgl. das Vernehmungsprotokoll vom 03.09.2002, Bl. 155 – 158 d. A.). Die Zeugin Z 2 konnte sich aufgrund der Rechnung und aufgrund der „ausgefallenen Stücke“ an die Ringe erinnern. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeuginnen die Unwahrheit gesagt haben könnten oder dass den Mitarbeitern der Versicherungsnehmerin der Klägerin bei der Verpackung/Versendung jemals Unregelmäßigkeiten vorgeworfen worden wären, sind nicht erkennbar.

19. Soweit die Beklagte den Hinweisbeschluss des Senats vom 05.07.2004 zum Anlass genommen hat, mit Schriftsatz vom 16.08.2004 auf eine Divergenz zwischen ihrem Vorbringen auf Seite 3 der Klageerwiderung und den Ausführungen auf Seite 8 des angefochtenen Urteils hinzuweisen, kann sie damit nicht gehört werden.

20. Das LG ist im Urteil ausdrücklich davon ausgegangen, dass das Paket bei dem Empfänger in den USA leer angekommen ist. Diesen – und nur diesen – Sachverhalt hatte und hat der Senat seiner Würdigung zugrunde zu legen.

21. Dies folgt bereits aus der Beweiskraft des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO, die sich auch auf die Wiedergabe von Tatsachenvortrag in den Entscheidungsgründen erstreckt. Die Sitzungsprotokolle ergeben keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Tatbestandes. Einen Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO hat die Beklagte nicht gestellt.

22. Danach war eine Berücksichtigung ausgeschlossen, weil das neue Vorbringen weder innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen noch eine Entschuldigung dafür dargelegt worden ist.

23. Die Wertangaben im internationalen Luftfrachtbrief betreffen ausschließlich den „gesamten Transportversicherungswert“ (von der Versicherungsnehmerin der Klägerin mit 850,00 DM beziffert) und den „Zollwert“ (von der Versicherungsnehmerin der Klägerin mit 42.223,00 DM beziffert).

24. Sie stellen sich somit nicht als besondere Deklaration des Interesses an der Lieferung im Sinne des Artikel 22 II a Satz 2 WA 1955 dar (Münchener Kommentar-Kronke, HGB, TranspR, 1997, Artikel 22 WA 1955, Rz 25; Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, lose Blattsammlung, Stand 12/2003, Artikel 22 WA 1955, Rz 9; OLG Report Frankfurt 1996, 218 = TransR 1998, Seite 213). Die Beklagte haftet danach zwar grundsätzlich nur im Rahmen der summenmäßigen Grenze des Artikels 22 II a Satz 1 WA 1955 (insofern durch Zahlung des Versicherungswertes von 850,00 DM ausgeglichen).

25. Vorliegend ist die Haftungsbeschränkung des Artikels 22 jedoch gemäß Artikel 25 WA 1955 ausgeschlossen, weil von dem Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens der Beklagten auszugehen ist.

26. Nach Artikel 25 WA 1955 gilt die Haftungsbeschränkung des Artikel 22 dann nicht, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden durch eine Handlung oder ein Unterlassen des Luftfrachtführers oder seiner „Leute“ verursacht worden ist, die leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Dabei ist allgemein anerkannt, dass sich dieses qualifizierte Verschulden auch aus einer mangelhaften Organisation der Betriebsabläufe ergeben kann und dass es insoweit im Rahmen sekundärer Darlegungslast – wie im Bereich der ADSp – Aufgabe des Luftfrachtführers ist, Informationsdefizite des Geschädigten zum Ablauf des Betriebes und den ergriffenen Sicherungsmaßnahmen durch detaillierten Sachvortrag zum konkreten Sendungsverlauf zu kompensieren.

27. Insoweit reicht es nicht aus, wenn allgemein zu den Abläufen vorgetragen wird. Erforderlich ist vielmehr – worauf der Senat im Hinweisbeschluss vom 05.07.2004 aufmerksam gemacht hat – Vortrag zu den konkreten Abläufen und den konkret eingerichteten Kontrollen, damit für den Anspruchsteller und das Gericht erkennbar wird, ob und wie die einzelnen Maßnahmen in der Praxis geordnet, überschaubar und zuverlässig ineinander greifen und welche Maßnahmen getroffen worden sind, um sicherzustellen, dass die theoretisch vorgesehenen Organisationsmaßnahmen auch praktisch durchgeführt werden, ob also ein funktionierendes und nicht nur ein rein theoretisch nahezu geschlossenes System existiert (BGH TranspR 1997, Seite 67 ff. sowie Seite 291 ff. und 1998, Seite 78 f.).

28. Mit Rücksicht auf diese der Beklagten bereits in 1. Instanz bekannten Anforderungen hat die Beklagte zwar schon in ihrer Klageerwiderung Vortrag zu den Abläufen in ihrer Sphäre gehalten und dabei zwischen dem „üblichen Transportweg“ und dem „konkreten Sendungsverlauf“ unterschieden. Mit diesem erstinstanzlichen Vorbringen ist die Beklagte jedoch den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast gleichwohl nicht gerecht geworden, weshalb von grobem Organisationsverschulden auszugehen ist (vgl. BGH VersR 1995, 604, 606; BGH TranspR 1997, 67 ff., 70; OLG Report Köln, 2002, 390 ff.; OLG Düsseldorf TranspR 1999, 253).

29. Der erstinstanzliche Vortrag der Beklagten lässt die konkreten Abläufe völlig im Unklaren, wodurch es der Klägerin unmöglich ist, sich mit den Organisationsabläufen auseinander zu setzen und zur Frage des qualifizierten Verschuldens weiter vorzutragen.

30. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.05.2001 (Seite 4 ff. = Bl. 37 ff. d. A.) zu den bei ihren internationalen Transporten „üblichen“ Transportwegen Vortrag gehalten hat, ist dieser Teil ihrer Darlegungen sehr allgemein gehalten und könnte auf jedes andere Verfahren betreffend einen Verlust bei der Luftbeförderung übertragen werden. Die Beklagte hat insoweit nicht einmal auf den konkreten Transportweg abgestellt und zum Beispiel ausgeführt (Bl. 46 d. A.):

31. „Soweit die Beklagte Subunternehmer einschaltet, gelten die vorstehenden Grundsätze fort. Lediglich soweit nach dem jeweiligen Stand der Technik die Verwendung von elektronischen Handlesegeräten noch nicht möglich ist, erfolgt die Kontrolle der Sendungen über Eingangs- und Ausgangs-Ladelisten.“

32. Was die Beklagte zum „konkreten Sendungsverlauf“ vorgetragen hat, ist ebenfalls unergiebig. Dieses Vorbringen erschöpft sich im Kern (vgl. den Schriftsatz vom 23.05.2001, Seite 16 = Bl. 49 d. A.) in der Wiedergabe zu Orten und Zeitpunkten der einzelnen Stationen/Umschlagplätze. Zu den einzelnen Örtlichkeiten, den technischen Vorrichtungen, dem Personal und den Überwachungsmaßnahmen fehlte jedoch jede Detailangabe, obwohl die Beklagte dazu ersichtlich bereits im 1. Rechtszug in der Lage gewesen wäre.

33. Soweit die Beklagte den Hinweisbeschluss des Senats vom 05.07.2004 mit Schriftsatz vom 16.08.2004 (Bl. 305 ff. d.A.) zum Anlass genommen hat, eine Verletzung der Hinweispflicht des LGs zu rügen und ihr Vorbringen erster Instanz zu vertiefen, ändert dies an der Rechtslage nichts.

34. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass es entgegen der Auffassung der Beklagten eines erstinstanzlichen Hinweises schon deshalb nicht bedurfte, weil die Beklagte ausweislich ihres differenzierenden, wenn auch unsubstantiierten Vortrages in der Klageerwiderung bestens über ihre sekundäre Darlegungslast informiert war; die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 16.08.2004 bestätigen auch, dass ihr konkrete Darlegungen möglich sind. Denn auch das neue Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 16.08.2004 genügt den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast nicht.

35. Eines weiteren richterlichen Hinweises bedurfte die informierte Beklagte nicht. Ihr Vorbringen zu den Sicherheitsvorkehrungen in ihrem Umschlagslager am … Flughafen belegt deutlich, dass sie weiß, welche Anforderungen an ihren Vortrag gestellt werden.

36. Es belegt ferner, dass die Beklagte in der Lage ist, auch für die anderen Stationen des Transportweges substantiiert vorzutragen.

37. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Klärung der Frage, ob der Beklagten allein deshalb der Vorwurf leichtfertigen Verhaltens zu machen ist, weil sie ausweislich ihrer eigenen Darlegungen im Schriftsatz vom 23.05.2001 den für die jeweilige „Sendung ausgeschriebenen Luftfrachtbrief physisch auf der Sendung befestigt“, was gerade in Fällen der vorliegenden Art (kleines Paket mit geringem Gewicht, jedoch hoher Zollwert) Anreiz zu Diebstahl sein kann.

38. Den Einwand des Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin der Klägerin gemäß Artikel 21 WA 1955 hat die Beklagte – wenn überhaupt erhoben – nicht hinreichend substantiiert untermauert.

39. Der bloße Hinweis auf die fehlende Deklaration und die Angabe eines Versicherungswertes von 850,00 DM lässt völlig offen, welche Maßnahmen die Beklagte getroffen haben könnte, wenn ein höherer Versicherungswert angegeben worden oder eine Wertdeklaration erfolgt wäre. Das ist deshalb von besonderer Relevanz, weil die realistische Angabe des Zollwertes von immerhin 42.223,00 DM jedenfalls keine besondere Behandlung des Paketes nach sich zog. Zu einer Mithaftung kann eine Obliegenheitsverletzung, wenn sie denn anzunehmen ist, immer nur dann führen, wenn sie für die Entstehung des Schadens auch kausal geworden ist, was der Luftfrachtführer dazulegen und zu beweisen hat (Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Artikel 21 WA 1955, Rz 4; OLG Report Köln 2002, 390 ff.; vgl. auch BGH MDR 2003, 1361).

40. Vor diesem Hintergrund muss nicht überprüft werden, ob der Einwand des Mitverschuldens bereits daran scheitert, dass der streitgegenständliche Luftfrachtbrief keine Spalte für eine besondere Wertdeklaration vorsieht.

41. Üblicherweise ist im Luftfrachtbrief eine Spalte vorgesehen, in der der Vermerk „NVD“ (no value declared) eingetragen werden kann. Gerade das Weglassen dieser Spalte kann dazu führen, dass sich der Absender über die Frage der Deklaration keinerlei Gedanken macht. Insoweit hätte es vorliegend unter Umständen mit Rücksicht auf den hohen Zollwert eines besonderen Hinweises der Beklagten bedurft.

42. Es muss auch nicht näher darauf eingegangen werden, ob mit Rücksicht auf das Wechselspiel zwischen Artikel 22 II a mit Artikel 25 WA 1955 in der fehlenden Deklaration des besonderen Interesses an der Sendung überhaupt ein Mitverschulden des Geschädigten zu sehen sein kann.

43. Zweifelhaft erscheint dies insbesondere deshalb, weil das Warschauer Abkommen die Wertdeklaration als Möglichkeit erkennt, sie aber gleichwohl nicht als vertragliche Pflicht festgeschrieben, sondern im Gegenteil trotz fehlender Deklaration einen Ausschluss der wertmäßigen Haftungsbegrenzung in Artikel 25 WA 1955 begründet hat. Im Übrigen macht ein Hinweis des Geschädigten auf die besonderen Risiken des Transports und die daraus unter Umständen resultierende besondere Schadenshöhe regelmäßig nur dort einen Sinn, wo der Luftfrachtführer unbeschränkt haftet. Dort, wo der Luftfrachtführer – wie nach Artikel 22 II a Satz 1 WA 1955 – generell nur der Höhe nach begrenzt haftet, macht der Hinweis auf einen hohen Schaden keinen besonderen Sinn (vgl. Koller, TranspR, 5. Aufl., Artikel 21 WA 1955, Rz 2 mit Artikel 17 CMR Rz 31). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Luftfrachtführer bei besonderem Hinweis spezielle Sicherungsvorkehrungen getroffen oder den Transport höherwertiger Güter verweigert hätte, wozu hier in Ermangelung entsprechenden Vortrages jeder Anhaltspunkt fehlt.

44. Der nach vorstehenden Ausführungen begründete Anspruch der Klägerin ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin der Klägerin ein Abgeltungsvergleich geschlossen worden wäre.

45. Die Beklagte hat zwar mit Schreiben vom 19.12.2000 avisiert, dass die Schadensregulierung in die Wege geleitet und ein Scheck über 850,00 DM bereits beantragt worden sei. Sie hat ferner mit Schreiben vom 20.12.2000 an die Versicherungsnehmerin der Klägerin einen am 27.12.2000 auch tatsächlich eingelösten Scheck über 850,00 DM übermittelt und dazu klargestellt, „dass mit der Einlösung des Schecks alle Ansprüche aus diesem Schaden abgegolten“ sein sollten.

46. Allein durch die Versendung der genannten beiden Schreiben, durch die Versendung des Verrechnungsschecks und dessen Einlösung ist jedoch zwischen den Vertragspartnern des Luftbeförderungsvertrages keine Abfindungsvereinbarung geschlossen worden.

47. Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass die Beklagte regelmäßig Schreiben mit entsprechendem Text an Geschädigte versendet, weshalb diese als allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des im Jahre 2000 noch gültigen §1 AGBG zu qualifizieren sind.

48. Die hier in Rede stehenden Briefe sind nach den Umständen so ungewöhnlich, dass sie gemäß §3 AGBG keine Geltung haben können.

49. Der Abschluss einer Abfindungsvereinbarung ist auch deshalb zu verneinen, weil die Einlösung des Verrechnungsschecks durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin keine konkludente Erklärung der Annahme eines Abfindungsangebotes darstellt. Zwar kann die Einlösung des mit dem Vorschlag eines Teilerlasses übersandten Schecks bei objektiver Betrachtung aus dem Empfängerhorizont grundsätzlich die Annahme eines Angebotes beinhalten. Ein Erlassvertrag/Abfindungsvertrag kommt allerdings dann nicht zustande, wenn zwischen dem Scheckbetrag und dem zu erlassenden Teil ein krasses Missverhältnis besteht (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 151 BGB, Rz 2 m. w. N.; BGH NJW 2001, 2324 f. und NJW 1990, 1656 f.).

50. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Scheckbetrag von 850,00 DM steht in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu der im Raume stehenden Forderung von über 42.000,00 DM (2,03 %), weshalb die Beklagte nicht ernsthaft annehmen konnte, die Einlösung des Schecks sei auf den Willen des Geschädigten zurückzuführen, sich auf eine derart geringe Entschädigung einzulassen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin ist auf das „hereingefallen“, was man regelmäßig als „Vergleichsfalle“ bezeichnet. Diese Würdigung findet ihre Bestätigung insbesondere in der Schadensmeldung der Versicherungsnehmerin der Klägerin vom 19.12.2000 (Bl. 24 d. A.), in der der Schaden unter anderem nach Abzug des erwarteten Scheckbetrages von 850,00 DM mit 41.373,00 DM beziffert wurde.

51. Soweit die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 16.08.2004 geltend gemacht hat, eine nach Artikel 26 WA 1955 zu fordernde Anzeige sei nicht innerhalb einer 14tägigen Frist schriftlich erfolgt, mag dahingestellt bleiben, ob die Beklagte sich hierauf nach § 530 ZPO und § 531 ZPO noch berufen dürfte.

52. Die in Artikel 26 IV WA 1955 geregelte Ausschlussfrist hindert den Anspruch der Klägerin schon deshalb nicht, weil diese Anzeigepflicht nur bei der Beschädigung (allenfalls noch bei Teil-Verlust oder Teil-Beschädigung, streitig), nicht jedoch bei Totalverlust des Transportgutes besteht (vgl. hierzu Münchener Kommentar, Bd. 7, TransportR, Stand 1997, Art. 26 WA 1955, Rdz. 6, 7; Giemulla/Schmid, lose Blattsammlung, Stand 6/2004, Art. 26 WA 1955, Rdz. 22; Ehlers in TransportR 1996, 183, 185).

53. Von daher muss nicht näher darauf eingegangen werden, dass Anzeigepflichten grundsätzlich keinen Selbstzweck verfolgen und dass die Beklagte ausweislich ihres Schriftsatzes vom 16.08.2004 seit einem Telefonat am 01.12.2000 über den behaupteten Verlust am 27.11.2000 informiert gewesen ist (vgl. auch das Schreiben der Beklagten vom 20.12.2000, Bl. 60 d.A.) und sich in der Folgezeit weder außergerichtlich noch erstinstanzlich und nicht einmal im Berufungsbegründungsschriftsatz, sondern erstmals mit Schriftsatz vom 16.08.2004 auf die fehlende Schriftform der Anzeige berufen hat.

54. Die Beklagte hat die Kosten ihres danach unbegründeten Rechtsmittels nach § 97 I ZPO zu tragen.

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