Keine Mehrfachzahlung von Entschädigungen bei Reisemangel
AG Rostock: Keine Mehrfachzahlung von Entschädigungen bei Reisemangel
Die Kläger hatten bei der Beklagten, einer Reiseveranstalterin, eine Pauschalreise gebucht. Der Rückflug dieser Reise verspätete sich jedoch um ca. 25 Stunden, woraufhin die Kläger vom betreffenden Luftfahrtunternehmen Ausgleichszahlungen im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 erhielten. Nun fordern die Kläger von der beklagten Reiseveranstalterin zusätzlich eine Reisepreisminderung von 5% aufgrund der Verspätung des streitgegenständlichen Fluges.
Das Amtsgericht Rostock weist die Klage ab und spricht den Klägern keinen zusätzlichen Anspruch auf eine Reisepreisminderung wegen der Flugverspätung zu. Reisende sollten nach Einschätzung des AG Rostock nicht verschiedene Schadensersatzzahlungen für ein- und denselben Reisemangel fordern können. Die Kläger hatten jedoch bereits Ausgleichzahlungen für die Flugverspätung im Sinne Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 erhalten. Ausgleichszahlungen nach Artikel 7 Fluggastrechte-VO sind mit Minderungs- und Schadensersatzansprüchen, die nach deutschem Reisevertragsrecht bestehen, zu verrechnen.
AG Rostock | 47 C 256/12 (Aktenzeichen) |
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AG Rostock: | AG Rostock, Urt. vom 14.01.2013 |
Rechtsweg: | AG Rostock, Urt. v. 14.01.2013, Az: 47 C 256/12 |
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Leitsatz:
2. Stehen Reisenden mehrere Schadensersatzansprüche für ein- und denselben Reisemangel zur Verfügung, so wird nur der höchste bewilligt, da sonst eine mehrfache Entschädigungszahlung entstehen würde, welche von deutschen und europäischen Gerichten nicht anerkannt wird.
Zusammenfassung:
3. Erleiden Reisende einen Reisemangel so stehen dieses möglicherweise mehrere Schadensersatzansprüche zu Verfügung. Im vorliegenden Fall begehrten die Kläger von der Beklagten, einer Reiseveranstalterin, eine Reisepreisminderung um 5% nachdem ihr Rückflug eine Verspätung von ca. 25. Stunden gehabt hatt. Eine diesbezügliche Ausgleichszahlung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 hatten die Kläger vom Luftfahrtunternehmen jedoch bereits erhalten.
Das Amtsgericht Rostock weist die Klage ab. Die Kläger, die bereits Ausgleichzahlungen für die Flugverspätung im Sinne Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 1.200 € zugesprochen bekommen hatten, haben keinen Anspruch auf die zusätzlich begehrte Reisepreisminderung in Höhe von 478,17 €.
Grund dafür sieht das AG Rostock darin, dass Reisende nicht mehrere verschiedene Schadensersatzzahlungen für ein- und denselben Reisemangel erhalten sollen. Demnach steht von mehreren möglichen Schadensersatzansprüchen, den Reisenden, nur der höchste zu. Ausgleichszahlungen nach Artikel 7 Fluggastrechte-VO sind folglich mit Minderungs- und Schadensersatzansprüchen, die nach deutschem Reisevertragsrecht bestehen, zu verrechnen, was zu einer Abweisung der Klage führt.
Tenor:
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Die Klägerin fordert eine Reisepreisminderung aufgrund einer Flugverspätung; strittig ist die Notwendigkeit der Anrechnung einer Ausgleichszahlung durch die Fluggesellschaft.
6. Die Klägerin buchte bei der Beklagten als Reiseveranstalterin für sich und ihren Ehemann eine Kreuzfahrt für den Zeitraum vom 24.02. bis 02.03.2012. Der Gesamtreisepreis betrug 3.188,00 €. Der Rückflug von Dubai nach Düsseldorf verspätete sich um 25 Stunden. Hierfür erhielt die Klägerin für sich und ihren Ehemann durch die Fluggesellschaft auf Grundlage der Verordnung(EG) Nr. 261/2004 eine Ausgleichsleistung in Höhe von insgesamt 1.200,00 €.
7. Mit der Klage fordert die Klägerin eine Minderung des Tagesreisepreises in Höhe von 5 % ab der fünften Verspätungsstunde, d.h. einen Betrag in Höhe von insgesamt 478,17 €.
9. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 478,17 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.03.2012 zu zahlen.
12. Sie ist der Auffassung, die Ausgleichszahlung der Fluggesellschaft sei auf den Minderungsanspruch der Klägerin anzurechnen.
Entscheidungsgründe:
13. Die zulässige Klage ist unbegründet.
14. Die Klägerin hat gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Flugverspätung bei der Rückreise von der bei der Beklagten gebuchten Kreuzfahrtreise keinen auf einen Minderungsanspruch zurückzuführenden teilweisen Rückzahlungsanspruch des Reisepreises.
15. Die Klägerin muss sich einen gegenüber der Beklagten bestehenden Minderungs- und damit Rückzahlungsanspruch gemäß § 12 Abs. 1 Verordnung(EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden Fluggastrechte-VO) die von der Fluggesellschaft erhaltene Ausgleichszahlung, die den hier geltend gemachten Minderungsbetrag übersteigt, anrechnen lassen.
16. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 Fluggastrechte-VO können die nach der vorgenannten Vorschrift gewährten Ausgleichszahlungen auf einen weitergehenden Schadensersatzanspruch des Fluggastes angerechnet werden. Diese Anrechnung hat hier zu erfolgen, weil sich die Beklagte darauf beruft.
17. Die – im Übrigen unstrittig – bestehenden Minderungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aufgrund der 25-stündigen verspäteten Rückreise unterfallen dem Begriff „weitergehender Schadensersatzanspruch“ im Sinne der oben genannten Regelung.
18. Maßgebend hierfür ist insbesondere die Tatsache, dass mit der Fluggastrechte-VO „Ärgernisse“ und „große Unannehmlichkeiten“ abgegolten werden sollen, die im Zusammenhang mit verspäteten oder ausgefallenen Flügen entstehen. Eine Unterscheidung zwischen verschuldensunabhängige bzw. verschuldensabhängige Ansprüche wird nicht vorgenommen. Die Bedeutung des Wortes „Schadensersatz“ in der Fluggastrechte-VO geht über die im deutschen Recht gebräuchliche Verwendung des Wortes Schadensersatz hinaus und umfasst alle Formen des Ausgleichs. Auch in der Pauschalreise-Richtlinie (Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen) erfolgt keine Unterscheidung von Reisepreisminderung und Schadensersatz wegen eines Reisemangels. Dies zeigt, dass mit Schadensersatzansprüchen in der FluggastrechteVO allgemeine Entschädigungsansprüche ohne weitere Differenzierungen gemeint sind (zu den vorstehenden Argumenten ausführlich Staudinger/Staudinger 2011, § 651 d Rn. 8; Leffers, Reisepreisminderung und Ausgleichsleistung nach der Verordnung (EG-Nr. 261/2004), RRa 2008, S. 258 ff.).
19. Nach deutschem Recht bestehen Minderungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund von Mängeln bei der Durchführung des Reisevertrages nebeneinander. Beide Ansprüche dienen der Kompensation von Unannehmlichkeiten und Schäden, die aufgrund der mangelhaften Durchführung der Reiseleistung entstanden. Neben der Herabsetzung des Reisepreises aufgrund eines Minderungsanspruches und dem Ausgleich eventuell entstandener materieller Schäden sieht das deutsche Reisevertragsrecht zur weiteren Kompensation mangelbedingter Unannehmlichkeiten bei erheblichen Mängeln einen Entschädigungsanspruch für entgangene Urlaubsfreude vor. Es besteht demzufolge ein umfassendes Regularium zum Ausgleich der gegenseitig erbrachten Leistungen (Reisepreis und mangelhafte Reiseleistung) sowie aller materiellen und immateriellen Schäden. Die Betonung liegt auf dem Wort „alle“. Eine Verneinung der Ausgleichsbzw. Anrechnungsmöglichkeit entsprechend Artikel 12 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO hätte zur Folge, dass der Reisende für den selben Mangel mehrfach Ausgleichs- bzw. Entschädigungszahlungen erhalten würde. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Ausgleichs- und Kompensationsleistungen höher wären, als dies nach dem Gemeinschaftsrecht oder dem nationalen Recht jeweils vorgesehen ist. Es liegt auf der Hand, dass dies weder vom deutschen noch vom europäischen Gesetzgeber beabsichtigt ist.
20. Zusammenfassend werden mit der Regelung in Artikel 12 Abs. 1 Fluggastrechte-VO Überkompensationen verhindert. Ausgleichszahlungen nach Artikel 7 Fluggastrechte-VO sind deshalb mit Minderungs- und Schadensersatzansprüchen, die nach unmittelbaren deutschem Reisevertragsrecht bestehen, zu verrechnen (a.a.O.; Führich Reiserecht 6. Auflage, Rn. 1065 a; Tonner VuR 2009, 212; Bollweg, RRa 2009, 10; grundsätzlich wohl auch AG Bremen VuR 2007, 235; hinsichtlich der Anrechnung auf Schadensersatzansprüche LG Frankfurt RRa 2011, 134).
21. Mangels berechtigter Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen.
22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
23. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
24. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 ZPO liegen nicht vor. Vorliegend fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung. Ein solche liegt vor, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist ein Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (Zöller/Heßler ZPO 29. Aufl., § 543 Rn. 11 m.w.N.). Hier fehlt es insbesondere – soweit ersichtlich – an gegenteiligen Auffassungen in der Rechtsprechung und Literatur.
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