Gehbehinderter stürzt bei Kreuzfahrt

OLG Koblenz: Gehbehinderter stürzt bei Kreuzfahrt

Der Kläger macht im vorliegenden Rechtstreit Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte, eine Veranstalterin von Kreuzfahrten, geltend. Er hatte bei dieser eine Kreuzfahrt gebucht. Auf einer Rolltreppe in einem Hafengebäude verletzte sich der schwer gehbehinderte Kläger und musste medizinisch behandelt werden. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe ihm gegenüber ihre Obhutspflicht verletzt, weil sich niemand für den Transport des Klägers verantwortlich gefühlt habe, obwohl dieser die Beklagte bei frühzeitiger Buchung über seine schwere Gehbehinderung informiert hatte.

Das Oberlandesgericht in Koblenz hält die Klage für unbegründet und spricht dem Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz zu. Im vorliegenden Sachverhalt habe sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Im zwischen den beiden Parteien geschlossenen Reisevertrag seien keine Ausführungen zu persönlicher Betreuung für den Kläger enthalten gewesen. Folglich sei der Beklagten auch nicht anzulasten, dass er Kläger eine solche Betreuung nicht vorgefunden habe.

OLG Koblenz 10 U 146/11 (Aktenzeichen)
OLG Koblenz: OLG Koblenz, Urt. vom 15.12.2011
Rechtsweg: OLG Koblenz, Urt. v. 15.12.2011, Az: 10 U 146/11
LG Koblenz, Urt. v. 27.01.2011, Az: 4 O 306/10
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Oberlandesgericht Koblenz

1. Urteil vom 15. Dezember 2011

Aktenzeichen: 10 U 146/11

Leitsätze:

2. Ein Reiseveranstalter muss gehbehinderten Menschen keine Betreuung und medizinische Versorgung kostenfrei bereitstellen, wenn sich das Angebot nicht auch explizit an gehbehinderte Menschen richtet.

Zusammenfassung:

3. Der gehbehinderte und auf einen Rollstuhl angewiesene Kläger buchte bei der Beklagten, einer Veranstalterin von Kreuzfahrten, eine Kreuzfahrt. Während der Kreuzfahrt stürzte der Kläger auf einer Rolltreppe in einem Hafengebäude, verletzte sich und musste medizinisch behandelt werden. Im vorliegenden Rechtstreit macht er nun Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Reiseveranstalerin geltend. Diese habe ihre Obhutspflicht verletzt, weil niemand für den Transport des Klägers verantwortlich gewesen sei, obwohl dieser die Beklagte bei frühzeitiger Buchung über seine schwere Gehbehinderung informiert hatte.

Das Oberlandesgericht in Koblenz weist die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz, da sich im vorliegenden Sachverhalt lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe. Im zwischen den beiden Parteien geschlossenen Vertrag waren keine Ausführungen zu persönlicher Betreuung für den Kläger enthalten. Folglich sei der Beklagten auch nicht anzulasten, dass er Kläger eine solche Betreuung nicht vorgefunden habe. Der Kreuzfahrtenveranstalter muss generell keine besondere Betreuung und medizinische Hilfe für gehbehinderte Menschen anbieten, wenn im Angebot keine Anmerkungen über die Behindertengerechtigkeit enthalten sind.

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 27. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe:

I.

5. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend im Zusammenhang mit einem während einer Reise, die er bei der Beklagten gebucht hatte, erlittenen Unfall.

6. Der damals 75 Jahre alte Kläger unternahm im Mai 2009 gemeinsam mit seiner Ehefrau eine 15-​tägige Kreuzfahrtreise ab Barcelona, die er zu einem Preis von insgesamt 2.198 € (für 2 Personen) bei der Beklagten gebucht hatte. In diesem Preis war auch die Flugreise nach Barcelona, dem Ausgangspunkt der Kreuzfahrt, enthalten. Der Kläger ist schwer gehbehindert und kann sich nur mit Krücken, einem Rollator oder einem Rollstuhl fortbewegen. Im Hafengebäude von Barcelona war der Aufzug defekt, so dass auch der Kläger zum Erreichen des Schiffes eine Rolltreppe benutzen musste. Auf dieser Rolltreppe kam der Kläger aus einem nicht bekannten Grund, entweder einem Gerangel mit einem anderen Passagier oder einem „Geruckel“ der Rolltreppe, zu Fall.

7. Der Kläger ist der Auffassung, dass es zu diesem Unfall nur kommen konnte, weil die Beklagte ihm gegenüber bestehende Fürsorge- und Obhutspflichten verletzt habe. Er hat geltend gemacht, dass er die Beklagte bei der Buchung darauf hingewiesen habe, dass er schwer gehbehindert sei. Dies sei der Beklagten auch aufgrund einer früheren Buchung einer Reise bei ihr durch ihn bekannt gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, eine Betreuung zur Verfügung zu stellen, die dafür Sorge zu tragen gehabt habe, dass er sicher und unverletzt vom Flugzeug zum Schiff kommen könne.

8. Der Kläger hat beantragt,

9. 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.797,01 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

10. 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.400 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

11. 3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches den Betrag von 12.000 € nicht unterschreiten mag, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen darauf über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

12. 4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen weiteren künftigen materiellen Schaden zu ersetzen aus dem Schadensereignis in der Zeit vom 2.5.2009 bis 16.5.2009, soweit Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden;

13. 5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen weiteren künftigen immateriellen Schaden aus dem zu 4. genannten Schadensereignis zu zahlen.

14. Die Beklagte hat beantragt,

15. die Klage abzuweisen.

16. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem vom Kläger geschilderten Vorfall um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos gehandelt habe und sie, die Beklagte, keine Verantwortung treffe. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass, was so zutreffend ist, eine Reiseleitung durch die Beklagte vertraglich nicht geschuldet gewesen sei.

17. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dargelegt, dass der Beklagten auch unter Zugrundelegung des Vortrages des Klägers eine Pflichtverletzung und insbesondere ein Verstoß gegen die ihr als Reiseveranstalterin allgemein obliegenden Fürsorge- und Obhutspflichten nicht vorzuwerfen sei, so dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustünden.

18. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

19. Der Kläger beantragt,

20. 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.797,01 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

21. 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.400 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

22. 3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches den Betrag von 12.000 € nicht unterschreiten mag, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen darauf über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit;

23. 4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen weiteren künftigen materiellen Schaden zu ersetzen aus dem Schadensereignis in der Zeit vom 2.5.2009 bis 16.5.2009, soweit Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden;

24. 5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen weiteren künftigen immateriellen Schaden aus dem zu 4. Genannten Schadensereignis zu zahlen.

25. Die Beklagte beantragt,

26. die Berufung zurückzuweisen.

II.

27. Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

28. Der Senat hat mit Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom 25. August 2011 darauf hingewiesen, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, auch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordere und die Berufung auch keine Aussicht auf Erfolg habe. Mit weiterem Beschluss vom 3. November 2011 hat er zusätzlich darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Senats die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sei.

29. Der Senat hat hierzu u. a. ausgeführt, dass die Beklagte für die Folgen des Unfalls, den der Kläger im Hafengebäude von Barcelona auf der Rolltreppe erlitten hatte, nicht hafte. Er hat sich insoweit der Auffassung des Landgerichts angeschlossen, dass sich bei dem Sturz des Klägers ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht habe und dass die Beklagte weder für die Rolltreppe im Hafengebäude von Barcelona noch für dort anwesende Angestellte der Reederei, mit deren Schiff der Kläger die Reise unternommen habe, hafte. Zur weiteren Begründung hat der Senat auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen und darüber hinaus ergänzend ausgeführt, dass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, für eine persönliche Betreuung des Klägers während der Reise zu sorgen. Eine solche Verpflichtung könne für die Beklagte auch nicht dadurch begründet werden, dass der Kläger auf seine starke Gehbehinderung hingewiesen habe. Es sei allein Sache des Klägers gewesen zu entscheiden, ob er die Reise, so wie sie von der Beklagten angeboten worden war, habe durchführen können, oder ob sie für ihn nicht geeignet gewesen sei, weil er Betreuung und Hilfe benötigt habe, die für diese Reise von der Beklagten nicht angeboten waren. Weiterhin sei auch seine Behauptung, ihm sei kostenlose ärztliche Hilfe nicht zur Verfügung gestellt worden, nicht geeignet, die geltend gemachten Ansprüche des Klägers zu begründen. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, für kostenlose ärztliche Betreuung zu sorgen.

30. Der Kläger hat Einwendungen gegen die Zurückweisung der Berufung erhoben. Er macht geltend, der Argumentation des Senats, der Kläger habe eine besondere Betreuung nicht erwarten können, weil er eine Pauschalreise gebucht habe, die erkennbar kein besonderes Angebot an behinderte Personen dargestellt habe, sondern im Billigsektor für das allgemeine Publikum bestimmt gewesen sei, sowie weiterhin, dass es unerheblich sei, dass der Kläger bzw. seine Ehefrau bei der Buchung darauf hingewiesen hätten, dass der Kläger stark gehbehindert sei, könne der Kläger nicht folgen. Es könne nicht darauf ankommen, wie hoch der Reisepreis gewesen sei; ob es sich hier um eine Reise im Billigsektor gehandelt habe oder nicht, sei eine Frage des Ermessens. Er halte den Reisepreis für einen durchschnittlichen Reisepreis, der für eine solche Reise zu zahlen sei. In besonderer Weise sei eben hier zu berücksichtigen, dass die Beklagte informiert gewesen sei von der Schwerbehinderung des Klägers. Insoweit sei auch Beweis angeboten gewesen. Nach seiner Auffassung sei demzufolge die Beklagte verpflichtet gewesen, dem Kläger eine besondere Betreuung zukommen zu lassen. Weiterhin hat der Kläger geltend gemacht, dass nach seiner Auffassung die Berufung nicht offensichtlich unbegründet sei. Hiervon seien nur Berufungen erfasst, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar sei, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen könnten.

31. Die Berufung ist zurückzuweisen. Der Senat hält an seinem Hinweis fest und nimmt auf ihn auch zur Begründung seiner abschließenden Entscheidung Bezug (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Änderungen und Ergänzungen der Feststellungen sind nicht geboten. Es bleibt dabei, dass die Beklagte dem Kläger eine besondere persönliche Betreuung nach dem Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages nicht geschuldet hat. Der Umfang der von der Beklagten geschuldeten Leistung ergibt sich aus ihrem Angebot bezüglich der Durchführung der Reise, in dem unstreitig eine besondere persönliche Betreuung nicht enthalten war. Die Beklagte wollte nur die von ihr angebotene Leistung zu dem von ihr geforderten Preis erbringen und dieses Angebot hat der Kläger bei der Buchung der Reise angenommen. Der Umstand, dass der Kläger auf seine schwere Gehbehinderung hingewiesen hat, vermag eine weitergehende Verpflichtung der Beklagten, die sie weder angeboten hat noch übernehmen wollte, nicht zu begründen.

32. Die Berufung des Klägers ist auch offensichtlich unbegründet. Auch nach einer Erörterung in mündlicher Verhandlung käme aufgrund des Sach- und Streitstandes eine Abänderung des angefochtenen Urteils und eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers nicht in Betracht (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 522 Rdn. 36).

33. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

34. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.197,01 € festgesetzt.

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