Terrorgefahr kein Rücktrittsgrund

LG Arnsberg: Terrorgefahr kein Rücktrittsgrund

Ein Ehepaar tritt wegen eines terroristischen Anschlags im Urlaubsland vom Reisevertrag zurück. Der klagende Reiseunternehmer verlangt von ihnen nun die Gebühren für den Reiserücktritt. Die Beklagten weigern sich der Zahlung, da in dem Terroranschlag ein zulässiger und gebührenfreier Kündigungsgrund zu sehen sei.

Das Landgericht Arnsberg hat der Klage stattgegeben. In einem Terroranschlag sei keine höhere Gewalt, sondern vielmehr ein allgemeines Lebensrisiko zu sehen, das keinen wirksamen Kündigungsgrund darstelle.

LG Arnsberg 12 S 470/03 (Aktenzeichen)
LG Arnsberg: LG Arnsberg, Urt. vom 11.03.2004
Rechtsweg: LG Arnsberg, Urt. v. 11.03.2004, Az: 12 S 470/03
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Landgericht Arnsberg

1. Urteil vom 11. März 2004

Aktenzeichen: 12 S 470/03

Leitsatz:

2. Ein terroristischer Anschlag ist kein Reiserücktrittsgrund.

Zusammenfassung:

3. Wegen eines Terroranschlags auf Bali, beschließt ein Ehepaar seine geplante Reise nicht anzutreten und tritt vom Reisevertrag zurück. Der Reiseveranstalter verlangt in der Folge die Zahlung einer Reiserücktritts-Pauschale. Diese wird von den Beklagten verweigert. Sie sind der Ansicht, bei dem Terroranschlag handele es sich um höhere Gewalt. Aus diesem Grund hätten sie das Recht, gebührenfrei vom Reisevertrag zurückzutreten.

Das Landgericht Arnsberg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Grundsätzlich sei in einem Terroranschlag ein Ereignis zu sehen, das weder vorhersehbar noch kontrollierbar sei. In seiner Ursprungsform handele es sich dabei somit um höhere Gewalt.

Im konkreten Fall seien die unmittelbaren Folgen des Anschlags jedoch als weitestgehend ungefährlich eingestuft worden. Es habe keine Aufstände oder Ausschreitungen im Volk gegeben. Auch eine Warnung durch das Auswertige Amt in Berlin sei nicht erfolgt.

Terroristische Einzelakte, die weder auf flächendeckenden Unruhen beruhen noch diese hervorrufen, stellen keine höhere Gewalt dar, die eine Reise an sich erheblich erschweren, gefährden oder beeinträchtigen würde. Sie sind vielmehr Teil des von jedermann zu tragenden allgemeinen Lebensrisikos.
Die Beklagten seien demnach verpflichtet, die Stornierungspauschale des Klägers zu zahlen.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Schwandorf, Zweigstelle Oberviechtach, vom 11.04.2003, Az. 1 C 3/03, aufgehoben.

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin jeweils 115,– EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.12.2002 zu bezahlen.

Die Kosten der I. Instanz werden gegeneinander aufgehoben, die Kosten der Berufungsinstanz haben die Beklagten jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

5. Von der Darstellung der Tatsachengrundlagen wird abgesehen (§ 540 Abs.2 ZPO).

6. Das Amtsgericht Schwandorf, Zweigstelle Oberviechtach, erließ am 11.04.2003 Endurteil mit folgendem Inhalt:

7. Die Klage wird abgewiesen.

8. Die Berufungsklägerin beantragt nunmehr:

9. Unter Abänderung des Urteils des Amtsgericht Schwandorf, Zweigstelle Oberviechtach, vom 11.04.2003 werden die Beklagten verurteilt, an die Klägerin jeweils 115,– EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 06.12.2002 zu bezahlen.

10. Die Berufungsbeklagten beantragt,

11. die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.

12. Die zulässige Berufung ist begründet.

13. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von je 115,– EUR gegen die Beklagten gem. §§ 651 i Abs.2 und 3 BGB in Verbindung mit Ziff.6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zu.

14. Auch die Beklagte zu 1) ist insoweit passivlegitimiert. Aus der vorgelegten Reiseanmeldung vom 11.06.2002 ergibt sich, daß auch die Beklagte zu 1) diese mitunterschrieben hat. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sie durch diese Unterschrift selbst Partei des Vertrages geworden oder dem Vertrag auf Seiten des Beklagten zu 2) im Wege des Schuldbeitritts beigetreten ist.

15. Die Voraussetzungen für die Kündigung des Vertrages nach § 651 j Abs.1 BGB lagen nicht vor.

16. Nach § 651 j Abs.1 BGB kann der Vertrag nur gekündigt werden, wenn die Reise infolge nicht vorhersehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt ist.

17. Als solche Ereignisse sind insbesondere Krieg oder Kriegsgefahr, innere Unruhen und Naturkatastrophen angesehen worden.

18. Höhere Gewalt wird dabei definiert als ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch die äußerste vernünftiger Weise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis (vgl. BGHZ 100, 185). Auch wenn der Anschlag vom 12./13.10.2002 diese Definition erfüllt, so wurde die Reise an sich dadurch aber nicht erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt. Aus der Berichterstattung bis zur Kündigung der Reise waren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß es seitens der Bevölkerung Balis zu Kundgebungen oder Aktionen gegen einzelne Touristen gekommen war. Die Presse- und Filmberichte gaben vielmehr die Betroffenheit der friedliebenden Bevölkerung Balis wieder. Man mußte daher davon ausgehen, daß es sich um den terroristischen Akt einzelner Personen gehandelt hat.

19. Auch wurde laut Auskunft des auswärtigen Amtes in Berlin vom 04.11.2003 für den Zeitraum 02.10. bis 24.10.2002 eine Reisewarnung für Bali nicht ausgesprochen.

20. Terroristische Einzelakte, die weder auf flächendeckenden Unruhen beruhen noch diese hervorrufen, stellen jedoch keine höhere Gewalt dar, die die Reise an sich erheblich erschweren, gefährden oder beeinträchtigen. Sie sind vielmehr Teil des von jedermann zu tragenden allgemeinen Lebensrisikos.

21. Ein Rücktritt vom Reisevertrag war danach im vorliegenden Fall nur nach § 651 i Abs.1 BGB möglich mit der Konsequenz, daß der Klägerin ein Anspruch auf pauschalierten Schadensersatz nach § 651 i Abs.2, 3 BGB i.V. mit Ziffer 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zusteht.

22. Da der geltend gemachte Betrag in Höhe von 115,– EUR für jeden der Beklagten unterhalb des nach Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässigen Prozentsatzes des Reisepreises liegt, war der Klage in vollem Umfange stattzugeben.

23. Der Zinsausspruch ergibt sich aus §§ 284, 288 BGB.

24. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 269 Abs.3, 91 ZPO.

25. Soweit in der Berufungsinstanz nunmehr der Antrag gestellt worden ist, die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin jeweils 115,– EUR zu bezahlen, liegt im Vergleich zum Klageantrag (Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 230,– EUR als Gesamtschuldner) eine Klagerücknahme vor. Insoweit hat die Klägerin die Kostens des Verfahrens gem. § 269 Abs.2 ZPO zu tragen.

26. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

27. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes fordert.

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