Schlechtes Wetter und Ermessen der Piloten

AG Geldern: Schlechtes Wetter und Ermessen der Piloten

Der Kläger nahm die Fluggesellschaft in Anspruch, weil sein Flug annulliert wurde. Die Piloten haben wegen dem schlechten Wetter die Entscheidung getroffen den Flug nicht durchzuführen.

Das AG Geldern hat dem Kläger die Zahlung nicht zugesprochen und entschieden, dass Piloten, aufgrund der Wetterlage, Entscheidungen bezüglich der Flugdurchführung treffen dürfen.

AG Geldern 4 C 242/09 (Aktenzeichen)
AG Geldern: AG Geldern, Urt. vom 03.08.2011
Rechtsweg: AG Geldern, Urt. v. 03.08.2011, Az: 4 C 242/09
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Amtsgericht Geldern

1. Urteil vom 03.08.2011

Aktenzeichen: 4 C 242/09


Leitsätze:

2. Schlechtes Wetter begründet einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der FluggastrechteVO.

Piloten haben an Bord des Flugzeugs die Entscheidungsgewalt über die Flugdurchführung im eigenen Ermessen.


Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen, für sich und seine Familie, einen Flug. Zwei Stunden vor Abflug wurde der Flug jedoch annulliert, weil der Pilot des Zubringerflugzeuges eine Landung für zu riskant hielt. Nach seiner Einschätzung war eine Landung wegen einer Gewitterfront und böigen Winden mit Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h zu gefährlich. Die dem Kläger angebotene Beförderung mit Ersatzflügen lehnte er ab und setzte die Reise mit einem Mietwagen fort. Der Kläger verlangt eine Ausgleichszahlung, wegen Flugannullierung, und Aufwendungsersatz für das gemietete Fahrzeug. Die beklagte Fluggesellschaft verweigert die Zahlung mit der Begründung, dass der Flug aufgrund eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne des Art. 5 FluggastrechteVO annulliert wurde.

Das Amtsgericht Geldern hat im Sinne der beklagten entschieden und dem Kläger die Zahlungen nicht zu gesprochen. der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus Art. 7 FluggastrechteVO. Wegen des Wetters konnte das Flugzeug der Beklagten nicht rechtzeitig landen. Die Einschätzung des Piloten über die Möglichkeit der Landung ist grundsätzlich bindend, weil dieser allein die Entscheidungsgewalt über die Führung des Flugzeuges innehat und für dessen Sicherheit verantwortlich ist. Desweitern hat die beklagte Fluggesellschaft, naturgemäß, keinen Einfluss auf das Wetter. Es lag deshalb ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 FluggastrechteVO vor, der die Beklagte von der Haftung und Zahlung befreit. Ein Aufwendungsersatz bezüglich des Mietwagens steht dem Kläger ebenfalls nicht zu, da die Beklagte eine Möglichkeit der Beförderung mit einem Ersatzflug angeboten hat.


Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 41,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2009 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Für den Kläger ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger buchte am 10.03.2008 für sich, seine Ehefrau und seine drei Kinder einen Flug der Beklagten von A… (Spanien) nach B… . Das Flugzeug sollte planmäßig am 11.10.2008 um 14.55 Uhr in A… abheben. Die Beklagte annullierte den Flug Nr. … jedoch, was dem Kläger zwei Stunden vor dem geplanten Start mitgeteilt wurde. Weil der Pilot des Zubringerfluges, Herr P…, der die einzusetzende Maschine gegen 14.20 Uhr in Alicante landen sollte, eine Landung für zu riskant hielt, drehte er nach C… ab, nachdem er zehn Minuten über dem Flughafen A… gekreist hatte. Nach seiner Einschätzung war eine Landung wegen einer Gewitterfront und böigen Winden mit Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h zu gefährlich. Er landete gegen 14.50 Uhr in C… . Weil das Unwetter noch andauerte, wurde auch ein für 15.20 Uhr angesetzter Positionierungsflug von C… nach A… annulliert. Ein Bustransfer der Fluggäste wurde nach der Annullierung des Positionierungsfluges nicht durchgeführt, weil es insgesamt etwa 5 Stunden gedauert hätte, einen solchen zu organisieren und durchzuführen. Das Flugzeug hätte dann von seiner Besatzung nicht nach B… zurückgeflogen werden können, weil diese dann ihre zulässige Höchstdienstzeit überschritten gehabt hätte. Die Maschine flog stattdessen leer nach B… zurück. Die Beklagte bot den wartenden Fluggästen keine Mahlzeiten und Erfrischungen an. Der Kläger lehnte die Beförderung mit den von der Beklagten angebotenen Ersatzflügen am 14.10.2008 oder 18.10.2008 ab. Er fuhr stattdessen mit seiner Familie noch am 11.10.2008 mit einem Mietwagen von A… nach Deutschland zurück, den er anschließend selbst am 15.10.2008 nach F… zurückbrachte, weil die Mietwagenfirma diesen nur in Spanien wieder entgegennahm. Die zunächst beim Landgericht Kleve erhobene Klage verwies jenes mit Beschluss vom 30.06.2009 an das Amtsgericht Geldern.

6. Der Kläger behauptet, die Annullierung beruhe nicht auf einem außergewöhnlichen Umstand, weil die Einschätzung des Piloten „unverständlich“ sei. Zahlreiche andere Maschinen seien gegen 14.49 Uhr und „zu ähnlichen Zeitpunkten“ gestartet und gelandet. Überdies könne dies ohnehin allenfalls eine Annullierung des Zubringerfluges … rechtfertigen, nicht aber des streitgegenständlichen Fluges. Der Flug sei nur wegen eines Organisationsverschuldens der Beklagten annulliert worden, die Überschreitung der Dienstzeiten der Besatzung sei kein außergewöhnlicher Umstand. Die angebotenen Ersatzflüge seien für ihn und seine Familie unannehmbar gewesen, da seine Kinder schulpflichtig seien und die Schule am Montag, den 13.10.2008 bereits wieder begonnen habe. Anders als anderen Passagieren habe die Beklagte ihm keinen Flug für den 12.10.2008 angeboten. Auch sei ihm ein Honorar von 2.500,- € entgangen, da er, von Beruf selbständiger Privatdetektiv, eine für den 12.10.2008 angesetzte 71-Stunden-Observierung nicht habe durchführen können. Das Honorar stelle auch in voller Höhe seinen Gewinn dar, weil es sich bei der vereinbarten Entlohnung um eine Aufwandserstattung handele, die auch etwaige Fahrtkosten beinhalte (Bl. 271 GA). Überdies habe er 155,10 € für Verpflegung aufwenden müssen; für weitere Einzelheiten wird auf die beigebrachten Belege (Bl. 18/19 GA) Bezug genommen.

7.  Der Kläger beantragt,

8. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.665,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

9. Die Beklagte beantragt,

10. die Klage abzuweisen.

11. Sie behauptet, der Flug habe wegen außergewöhnlicher Umstände annulliert werden müssen. Der Beklagten hätten weder eine Ersatzmaschine, noch eine Ersatzbesatzung zur Verfügung gestanden. Die Beklagte bestreitet, dass die Verpflegungsaufwendungen mit der Annullierung zusammenhängen.

12. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen

13. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 25.08.2010 (Bl. 276/277 GA) in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 07.10.2010 (Bl. 285 GA); wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen L… vom 21.02.2011 (Bl. 297-301 GA) verwiesen; auch die Akte Amtsgericht Geldern, Az.: 17 C 192/09 wurde beigezogen.

Entscheidungsgründe:

14. Die zulässige Klage ist größtenteils unbegründet.

I.

15. Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Geldern ist gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b) Spiegelstrich 2 EuGVVO als Gericht des Erfüllungsortes international zuständig. Erfüllungsort eines Luftbeförderungsvertrages ist sowohl der Ort des (beabsichtigten) Abfluges, als auch der Ort der (beabsichtigten) Ankunft (vgl. EuGH NJW 2009, 2801, 2803). Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Geldern jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO aufgrund der Verweisung durch das Landgericht Kleve.

II.

16. Die Klage ist überwiegend unbegründet.

1.)

17. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 2.000,- € aus Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 S. 1 lit. b) FluggastrechteVO gegen die Beklagte. Zwar hat diese unstreitig den Flug … annulliert. Sie annullierte den Flug unstreitig auch nicht so rechtzeitig, dass Ausgleichsansprüche gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) FluggastrechteVO ausgeschlossen wären. Die Annullierung ist aber gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO gerechtfertigt gewesen, weil sie auf Umständen beruht hat, die die Beklagte auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte vermeiden können.

a)

18. Die Annullierung des Fluges … beruhte darauf, dass am Flughafen A… kein Flugzeug der Beklagten vorhanden war, weil der Pilot des Zubringerfluges aus Gründen der Flugsicherheit nicht bereit war, die Maschine in A… zu landen, sondern nach C… abdrehte und dort landete. Kann ein Flug nicht durchgeführt werden, weil das für den Transport vorgesehene Flugzeug den Flughafen wegen ungünstiger Witterung nicht anfliegen kann, begründet dies einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1641, 1641/1642; OLG Koblenz NJW-RR 2008, 1232).

b)

19. Wegen des Wetters konnte die Maschine der Beklagten den Flughafen A… aus Sicherheitsgründen nicht anfliegen. Dies steht bindend fest, weil der Pilot P… eine Landung wegen des Wetters als zu gefährlich eingeschätzt hat und diese Einschätzung nicht grob fehlerhaft gewesen ist. Dass der Pilot dieser Auffassung gewesen ist, ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich auch aus der Vernehmung des Piloten P… im Verhandlungsprotokoll der beigezogenen Akte des AG Geldern, Az.: 17 C 192/09 vom 08.06.2010. Die Einschätzung des Piloten ist grundsätzlich bindend, weil dieser in seiner Eigenschaft als Luftfahrzeugführer gemäß § 3 Abs. 1 LuftVO allein die Entscheidungsgewalt über die Führung des Flugzeuges innehat und für dessen Sicherheit verantwortlich ist. Dabei obliegt ihm ein weiter Ermessensspielraum, der gerichtlich nur eingeschränkt auf grobe Fehler überprüfbar ist (vgl. LG Kleve, Urt. v. 07.04.2011 – 6 S 116/10). Im streitgegenständlichen Fall gilt § 3 Abs. 1 LuftVO zwar nicht direkt, sondern die entsprechende Regelung der spanischen Luftverkehrsordnung, weil es sich um ein Landemanöver im spanischen Luftraum handelte und das Luftverkehrsrecht aufgrund des Territorialitätsprinzips grundsätzlich nur innerhalb der eigenen Staatsgrenzen gilt (vgl. Faber, Rechtsfragen der Planung von Flughäfen, 1. Aufl. 2006, S. 343). Jene spanische Regelung entspricht jedoch sachlich § 3 Abs. 1 LuftVO, da dieser nur die deutsche Umsetzung von Anhang 2 Nr. 2.4 des Chicagoer Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt von 07.12.1944 ist. Alle Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, diese Regeln umzusetzen (vgl. Schleicher/Reymann/Abraham, Das Recht der Luftfahrt, Band 2, 3. Aufl. 1966, S. 350/351). Auch Spanien ist Vertragsstaat des Chicagoer Abkommens (vgl. Schleicher/Reymann/Abraham, Das Recht der Luftfahrt, Band 1, 3. Aufl. 1960, S. 21).

20. Der Pilot P… hat sein Ermessen nicht grob fehlerhaft ausgeübt; seine Entscheidung war vielmehr richtig, wie der Sachverständige L… in seinem Gutachten überzeugend ausführt. Ein Landeanflug von Osten sei wegen der Windgeschwindigkeiten von 20 bis 32 Knoten (= 37 km/h – 60 km/h) nicht möglich gewesen, weil dann die zugelassene maximale Rückenwindkomponente für die eingesetzte Maschine vom Typ Boeing 737 überschritten worden wäre. Ein Landeanflug von Westen sei hingegen wegen der Gewitterfront zu gefährlich gewesen. Wegen der starken Bewölkung des Luftraums in der Höhe von 1.800 bis 7.000 Fuß (= 550 m – 2.150 m) sei allenfalls eine Landung im Instrumentenanflug, nicht aber im Sichtflug möglich gewesen. Die Sichtweite habe nur 4.500 Meter betragen, so dass keine Sichtreferenz zur Landebahn habe hergestellt werden können. Ein Instrumentenanflug sei aber wegen des Gebirges in der Nähe des Flughafens unmöglich gewesen. Für einen sicheren Landeanflug wäre erforderlich gewesen, dass das Flugzeug eine Position in 3.300 Fuß Höhe hätte einnehmen können. Wegen des erforderlichen Sicherheitsabstandes sei jedoch nur eine Flughöhe von 3.900 bis 4.000 Fuß durch das dazu berechtigte Flugsicherheitspersonal des Flughafens A… freigegeben worden. Angesichts dessen, dass die verbliebene Treibstoffmenge nur noch ein kurzes Kreisen über dem Flughafen A… ermöglicht hätte, sei die auch die Entscheidung des Piloten richtig gewesen, nach C… abzudrehen. Es kann zugunsten des Klägers als wahr unterstellt werden, dass Maschinen anderer Fluggesellschaften um 14.49 Uhr und „zu ähnlichen Zeitpunkten“ auf dem Flughafen A… gelandet sind, so dass es keiner Vernehmung der durch den Kläger dafür benannten Zeugen bedarf. Daraus lässt sich jedenfalls nicht ableiten, dass die Einschätzung des Piloten P… grob fehlerhaft gewesen wäre. Wie der Sachverständige L… in seinem Gutachten überzeugend ausführt, kann es sich bei Gewitterfronten usw. um zeitlich und örtlich beschränkte Wetterphänomene handeln, so dass eine sichere Landung eines anderen Flugzeuges zu einem etwas späteren Zeitpunkt durchaus möglich gewesen sein kann.

d)

21. Die Beklagte hätte die Annullierung auch nicht vermeiden können. Auf das Wetter hat sie naturgemäß keinen Einfluss. An die Entscheidung des Piloten P… ist auch die Beklagte gebunden, auch wenn es sich bei diesem um einen ihrer Angestellten handelt, weil dessen Befugnisse aus § 3 Abs. 1 Luft-VO bzw. der entsprechenden ausländischen Regelung hoheitsrechtlicher Natur sind. Daran hat auch die FluggastrechteVO nichts geändert. Deren Zweck ist in der Hauptsache der Schutz der Interessen der Flugreisenden an einem reibungslosen Luftverkehr; nicht hingegen, den Piloten (faktisch) zu riskanten Landemanövern zu verleiten, um seinen Arbeitgeber vor Ausgleichsansprüchen zu bewahren. Dies liefe den berechtigten Sicherheitsinteressen der Flugreisenden gerade entgegen.

e)

22. Ob eine Annullierung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Fluggesellschaft alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Annullierung trotz der außergewöhnlichen unvermeidbaren Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO zu vermeiden, kann hier offenbleiben (ebenfalls offengelassen BGH NJW-RR 2010, 1641, 1642). Die Beklagte konnte die Annullierung durch zumutbare Maßnahmen nicht abwenden. Sie handelte im Rahmen des ihr zustehenden „vernünftigen Ermessens“ (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1641, 1642), als sie versuchte die Annullierung durch den geplanten Positionierungsflug abzuwenden, für den sie auch ein Zeitfenster (sog. „Slot“) für 15.20 Uhr hatte reservieren lassen. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Versuch von vornherein aussichtslos gewesen wäre, da Wetterphänomene wie Gewitter usw. durchaus kurzfristig enden können. Nachdem auch der Positionierungsflug annulliert wurde, verblieben keine zumutbaren Maßnahmen mehr, durch die die Beklagte die Annullierung hätte vermeiden können. Ihr ist nicht zuzumuten, für jeden geplanten Flug an jedem Flughafen jederzeit ein Ersatzflugzeug bereitzuhalten. Angesichts der hohen Kosten für ein Passagierflugzeug ist dies eine allenfalls theoretische Möglichkeit, die in der Wirklichkeit am finanziellen Aufwand scheitern muss. Zumutbar sind aber nur Maßnahmen, die „für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar“ sind (EuGH RRa 2011, 125, 127). Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, die Passagiere in Bussen nach C… zu verbringen. Dadurch hätte sich die Annullierung nicht vermeiden lassen, weil die Beklagte auch dann den „geplanten Flug“ im Sinne von Art. 2 lit. l) FluggastrechteVO nicht durchgeführt hätte. Der Flug hätte mit C… statt A… einen anderen Ausgangspunkt als der geplante gehabt. Er hätte damit allenfalls noch als Flug unter „vergleichbaren Reisebedingungen“ angesehen werden können, wie sie in Art. 8 Abs. 1 lit. b) und c) FluggastrechteVO erwähnt werden. Es hätte sich damit allenfalls um eine Ersatzbeförderung im Sinne von Art. 8 FluggastrechteVO gehandelt, nicht aber als (verspätete) Durchführung des ursprünglich geplanten Fluges.

2.)

23. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.500,- € aus §§ 631, 280, 281, 283, 252 BGB. Die Beklagte hat die Annullierung des Fluges nicht zu vertreten. Die Annullierung erfolgte wegen außergewöhnlicher Umstände, die die Beklagte nicht vermeiden konnte (s. unter II. 1.). Ist eine Annullierung sogar nach dem strengen Maßstab des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO gerechtfertigt, hat die Fluggesellschaft die Annullierung erst recht nicht nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten. Überdies hat der Kläger die Höhe des ihm entgangenen Gewinns trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises nicht hinreichend dargetan. Selbst wenn als wahr unterstellt wird, dass ihm ein Honorar von 2.500,- € entgangen ist, ist damit die Höhe des entgangenen Gewinns nicht dargetan. Die Honorarzahlung bildet nur den entgangenen Umsatz ab, von dem zur Ermittlung des Gewinns noch die anfallenden Kosten, Steuern usw. abzuziehen sind. Dies hat der Kläger nicht dargetan. Sein auf den gerichtlichen Hinweis erfolgter Vortrag, dass kein Abzug vorzunehmen sei, weil die Entlohnung seine Fahrtkosten mit abgelten sollte, spricht entgegen seiner Auffassung gerade dafür, dass abzuziehende Kosten angefallen wären. Auch abzuziehende Steuern fallen für gewerbliche Tätigkeiten stets an.

3.)

24. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.500,- € aus §§ 631, 280 Abs. 1, 252 BGB i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit. b) FluggastrechteVO. Der für eine Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 S. 1 BGB beweisbelastete Kläger (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. 2011, § 280 Rn. 34) hat nicht nachzuweisen vermocht, dass diese ihm nicht die frühestmögliche Ersatzbeförderung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. b) FluggastrechteVO angeboten hätte.

a)

25. Der Kläger hat nicht nachzuweisen vermocht, dass die Beklagte am 11.10.2008 mit dem in C… gelandeten Flugzeug einen Ersatzflug nach B… hätte durchführen können. Sie hätte den Flug mit der vorhandenen Besatzung unbestritten nicht mehr durchführen können, weil diese dann ihre zulässige Höchstdienstzeit überschritten hätte. Dies ist dann ein beachtlicher Einwand, wenn die Fluggesellschaft einen angemessenen zeitlichen Spielraum im Flugplan eingeplant hat, damit nicht jede Störung im Flugbetrieb zwangsweise zu Annullierungen führt (vgl. EuGH RRa 2011, 125, 127/128 = EuZW 2011, 526, 527). Diese Wertung gilt entsprechend bei der Frage, ob mit der andernorts gelandeten Maschine eine Ersatzbeförderung angeboten werden musste. Unbestritten hätte die Maschine wegen des nötigen Bustransfers der Passagiere von A… nach C… erst weit mehr als 5 Stunden nach der geplanten Abflugzeit abheben können. Einen zeitlichen Spielraum von mehr als 5 Stunden braucht eine Fluggesellschaft offensichtlich nicht einzuplanen. Eine solche Pflicht wäre angesichts der festgelegten Höchstdienstzeit von 12 Stunden für eine Flugzeugbesatzung unzumutbar. Der Kläger ist beweisfällig dafür geblieben, dass die Beklagte den Ersatzbeförderungsflug mit einer Ersatzmannschaft hätte durchführen können. Er bietet für seine entsprechende Behauptung keinen Beweis an. Die bloße Tatsache, dass die Beklagte viele spanische Flughäfen anfliegt, bedeutet nicht, dass ihr im streitgegenständlichen Zeitpunkt auch eine Ersatzmannschaft zur Verfügung stand.

b)

26. Der Kläger hat auch nicht nachzuweisen vermocht, dass die Beklagte ihre Verpflichtung dadurch verletzt hätte, dass sie ihm und seiner Familie keinen Ersatzflug für den 12.10.2008 angeboten hat. Die Verpflichtung des Art. 8 Abs. 1 lit. b) FluggastrechteVO trifft eine Fluggesellschaft nur in den Grenzen ihrer eigenen Kapazitäten (Lienhard GPR 2004, 259, 263). Der Kläger hat nicht darzutun vermocht, dass der für den 14.10.2008 angebotene Flug nicht der frühestmögliche (noch) verfügbare gewesen ist. Unstreitig hat die Beklagte anderen Passagieren des annullierten Fluges Plätze für einen Ersatzflug am 12.10.2008 angeboten. Doch sind naturgemäß auch die Kapazitäten der Ersatzflüge begrenzt. Der Kläger hat jedoch nicht einmal ausdrücklich behauptet, dass im Flug am 12.10.2008 noch freie Plätze verfügbar waren, als ihm die Ersatzbeförderung für den 14.10.2008 angeboten wurde. Es lässt sich seinem Vortrag nicht ansatzweise entnehmen, dass Passagieren ein Ersatzflug für den 12.10.2008 angeboten wurde, die erst nach ihm bedient wurden. Dies wäre aber zwingend, um eine Pflichtverletzung anzunehmen. Wurden die Fluggäste hingegen vor dem Kläger bedient, scheidet eine Pflichtverletzung aus. Der Kläger und seine Familie genossen keinen Vorrang vor anderen Passagieren bei der Zuteilung eines Ersatzfluges. Die FluggastrechteVO sieht kein Auswahlverfahren mit Privilegien für bestimmte Passagiere beim Angebot von Ersatzbeförderungen nach Art. 8 FluggastrechteVO vor. Überdies hat der Kläger den von ihm behaupteten entgangenen Gewinn gemäß § 252 BGB nicht hinreichend dargetan (s. unter II. 2.).

4.)

27. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 41,35 € gemäß §§ 631, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. b), 9 Abs. 1 lit. a) FluggastrechteVO.

a)

28. Die Beklagte hat ihre Nebenpflichten aus dem Luftbeförderungsvertrag dadurch verletzt, dass sie keine Erfrischungen und Mahlzeiten angeboten hat, obgleich sie den Flug … annulliert hatte. Die Ansprüche auf Betreuungsleistungen sind als Nebenpflichten des Luftbeförderungsvertrages im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB anzusehen. Die Beklagte hat die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht widerlegt, dass sie die Pflichtverletzung auch zu vertreten hat. Dass sie den Flug gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO annullieren durfte, befreit sie nicht von ihrer Verpflichtung, Betreuungsleistungen zu erbringen, weil diese Pflicht verschuldensunabhängig ist. Es sind auch keine anderen Umstände dargetan oder ersichtlich, warum die Beklagte den wartenden Fluggästen keine Mahlzeiten und Erfrischungen angeboten hat. Es ist nicht dargetan, dass dieses wegen des Gewitters unmöglich gewesen wäre. Dies erscheint innerhalb des Flughafengebäudes auch fernliegend.

b)

29. Ersatzfähig sind aber nur die Kosten für die Nahrungsmittel, die der Kläger und seine Familie ausweislich der vorgelegten Quittungen am 11.10.2008 gegen 13.48 Uhr und 15.32 Uhr auf dem Flughafengelände zu sich genommen haben. Für die weiteren Verpflegungsaufwendungen war nicht ursächlich, dass die Beklagte keine Betreuungsleistungen nach Art. 9 Abs. 1 lit. a) FluggastrechteVO erbracht hat, weil der Kläger beim Kauf jener Lebens- und Genussmittel nicht mehr auf einen späteren Flug gewartet hat. Ausweislich des Erwägungsgrundes 13 der FluggastrechteVO soll die Fluggesellschaft Betreuungsleistungen nur für die Wartezeit bereitstellen. Die am 11.10.2008 gegen 22.00 Uhr erworbenen Lebensmittel erwarb der Kläger an einer Autobahnraststätte, also auf der Rückfahrt nach Deutschland. Die am 15.10.2008 gekauften Lebensmittel verzehrte der Kläger ebenfalls nicht während der Wartezeit auf einen späteren Flug der Beklagten. Diese Mehraufwendungen wurden vielmehr allein durch die vom Kläger selbst verschuldete Notwendigkeit verursacht, den Mietwagen nach Spanien zurückzubringen. Für die Aufwendungen vom 10.10.2008 ist eine Ursächlichkeit offensichtlich ausgeschlossen, weil zu diesem Zeitpunkt keinem der Beteiligten bekannt sein konnte, dass der streitgegenständliche Flug annulliert werden würde.

III.

30. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO analog. Da in der Vorschrift ein allgemeiner Rechtsgedanke zum Ausdruck kommt, ist sie über ihren Wortlaut hinaus auch zugunsten des Beklagten anwendbar, der nur zu einem geringfügigen Teil unterliegt (vgl. RGZ 142, 83, 84). Ein verhältnismä-ßig geringfügiges Abweichen der ergangenen gerichtlichen Entscheidung vom Begehren einer Partei soll dieser im Kostenpunkt nicht zum Nachteil gereichen (RGZ 142, 83, 84). Die Beklagte ist nur zu einem geringen Teil unterlegen. Eine Verurteilung zur Zahlung von 41,35 € ist bei einer Klageforderung von mehr als viereinhalbtausend Euro eindeutig als geringfügig anzusehen.

IV.

31. Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

32. Streitwert: 4.665,10 Euro

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