Schadensersatz bei 23-stündiger Verspätung des gebuchten Fluges

LG Darmstadt: Schadensersatz bei 23-stündiger Verspätung des gebuchten Fluges

Ein Fluggast sah in einer 23-stündigen Verspätung eine Annullierung des Fluges und verlangte eine Ausgleichszahlung. Das Gericht entschied, dass er darauf keinen Anspruch hatte, weil nur eine Verspätung und keine Annullierung vorlag, denn der Flug war unter der selben Flugnummer gestartet.

LG Darmstadt 21 S 43/06 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 12.07.2006
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 12.07.2006, Az: 21 S 43/06
AG Rüsselsheim, Urt. v. 21.02.2006, Az: 3 C 1268/05
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 12. Juli 2006

Aktenzeichen 21 S 43/06

Leitsatz:

2. Wird ein Flug um einen Tag verzögert, aber unter gleicher Flugnummer durchgeführt, liegt keine Annullierung vor.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für den 26.05.2008 einen Flug gebucht. Dieser wurde aufgrund eines technischen Defekts erst am Folgetag durchgeführt. Dafür verlangte der Kläger eine Ausgleichszahlung, die Übernahme von Übernachtungskosten und die Erstattung von eingesetzten Flugmeilen, sowie Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude.

Das Amtsgericht Rüsselsheim gab der Klage nur hinsichtlich der Meilen statt. Daraufhin ging der Kläger in Berufung. Er behauptete, der Flug sei annulliert worden, was sich aus der mit 23 Stunden erheblichen Verzögerung ergebe.

Dieser Argumentation folgte das Landgericht Darmstadt nicht. Da der Flug unter der selben Flugnummer durchgeführt worden war, sah es eine Verspätung und keine Annullierung vorliegen. In einem solchen Fall sieht die Fluggastrechteverordnung keine Ausgleichszahlung vor. Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude stand ihm nicht zu, da kein Reisevertrag vorlag.

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 21.02.2006 – Az. 3 C 1268/05 (32) – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 700,00 € festgesetzt.

Gründe:

5. Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung eines Ausgleichsbetrages nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, Ersatz von Taxikosten, Zahlung von Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude analog § 651 f Abs. 2 BGB in Höhe von 100,- € sowie die Gutschrift von 50% der von ihm für ein upgrade in die Comfort-class eingesetzten miles & more-Meilen.

6. Der Kläger buchte für sich und seine Lebensgefährtin Flüge von F. nach H. und zurück bei der Beklagten. Der Rückflug von H. am 26.08.2005 konnte wegen eines technischen Defekts der Maschine nicht zur vorgesehenen Zeit stattfinden, sondern erst mit einer Verzögerung von ca. 23 Std. am Folgetag.

7. Die Beklagte hat vorprozessual eine Minderung des Flugpreises in Höhe von 50% für berechtigt angesehen und dem Kläger den entsprechenden Betrag ausbezahlt.

8. Der Kläger ist der Meinung, es handle sich vorliegend nicht um einen Fall der Verspätung, sondern der Annullierung des Fluges. Bereits der erhebliche Zeitraum von 23 Std. schließe eine Verspätung begrifflich aus. Er bestreitet, dass der Flug am nächsten Tag unter derselben Flugnummer durchgeführt wurde.

9. Die Beklagte hat in der 1. Instanz die Klageforderung hinsichtlich der Taxikosten in Höhe von 50,- € anerkannt, hinsichtlich des geltend gemachten Ausgleichsbetrages jedoch die Auffassung vertreten, dass eine Flugverspätung vorgelegen habe, weshalb die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 c), 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht vorlägen. Auch Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude könne der Kläger nicht verlangen.

10. Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

11. Das Amtsgericht hat der Klage über den anerkannten Betrag hinaus unter Abweisung im Übrigen nur hinsichtlich des Antrages auf Gutschrift eines Teils der eingesetzten miles & more – Meilen stattgegeben. Der Kläger könne Minderung in Höhe von 50% der Flugpreises und damit auch anteilige Rückerstattung der eingesetzten miles & more-Meilen verlangen, weil sich die Schlechtleistung durch die Zeitverzögerung in gleicher Weise auf den gesamten Flug ausgewirkt habe, eine Aufsplitterung in einen Grundpreis und das upgrade sei nicht möglich. Im Übrigen sei die Klage aber unbegründet. Ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bestehe nicht. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Verspätung des Fluges, nicht um eine Annullierung. Denn der Flug sei am Folgetag durchgeführt worden. Eine Umbuchung auf einen anderen Flug der Beklagten, der am nächsten Tag regulär stattgefunden habe, sei nicht erfolgt. Annullierung sei aber die Nichtdurchführung des geplanten Fluges. Allein die Dauer der Verzögerung von 23 Std. spreche nicht notwendig für eine Annullierung. Ein Anspruch wegen entgangener Urlaubsfreude gemäß § 651 f Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil es sich vorliegend nicht um eine Reise i. S. d. Gesetzes gehandelt habe. Eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht.

12. Hiergegen richtet sich allein die Berufung des Klägers, der seinen Klageantrag aus der 1. Instanz in vollem Umfang weiterverfolgt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts durch das Amtsgericht und ist nach wie vor der Auffassung, es habe eine Flugannullierung vorgelegen, weshalb ihm eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 der EG-VO 261/2004 zustehe. Ferner sei die Vorschrift des § 651 f BGB im vorliegenden Fall analog anzuwenden, weil auch der Charterflug dazu diene, Urlaubsgenuss zu vermitteln. Ferner handle es sich bei der Beklagten um die Tochtergesellschaft einer Reiseveranstalterin.

13. Er beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 21.02.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 700,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 16.09.2005 zu zahlen.

14. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

16. Das Amtsgericht ist zur Recht von einer Verspätung des Fluges und nicht von einer Annullierung ausgegangen und hat infolgedessen einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 c, 7 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 verneint.

17. Es handelt sich vorliegend um einen Fall der Verspätung der Luftbeförderung i. S. d. Art. 6 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 und nicht um eine Annullierung i. S. d. Art. 5 der Verordnung.

18. Gemäß Art. 2 Ziffer I) der Verordnung ist unter „Annullierung“ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den mindestens ein Platz reserviert war, zu verstehen. Hiermit kann nicht schon jede Nichtdurchführung zur vorgesehenen Abflugzeit gemeint sein, sondern die endgültige Nichtdurchführung oder eine so große. Verzögerung, dass diese einer endgültigen Nichtdurchführung gleichkommt. Ansonsten gäbe es für den Fall der Verspätung keinen Anwendungsbereich mehr.

19. Die Verordnung enthält keine Definition des Begriffs „Flug“. Sie stellt jedoch darauf ab, dass für den Flug mindestens ein Platz gebucht sein muss. Deshalb kann damit nicht die individuelle Beförderungsmöglichkeit des einzelnen Passagiers gemeint sein, sondern die kollektive Beförderung der Gruppe von Passagieren, die sich bei der Buchung für diesen Transport zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem Ort zum anderen entschieden haben. Der Begriff des Fluges kann sich daher weder nach der Flugnummer noch nach dem Fluggerät bestimmen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Gruppe von Passagieren, welche nach der ursprünglichen Buchung transportiert werden sollte, im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert wird, mag dies auch zu einem anderen Zeitpunkt als ursprünglich vorgesehen erfolgen. Ob es eine maximale zeitliche Grenze für die Verspätung gibt, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, weil eine Verzögerung des Starts um 23 Std. jedenfalls eine Verspätung begrifflich noch nicht ausschließt. Dies ergibt sich aus dem Vorwort der Verordnung Abs. 15, in welchem ausdrücklich von einer Verspätung bis zum nächsten Tag gesprochen wird. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob der Flug am nächsten Tag unter derselben Flugnummer durchgeführt wurde oder nicht – unabhängig davon, ob das pauschale Bestreiten des Klägers überhaupt als zulässig anzusehen ist -, weil es für die Abgrenzung der Verspätung zur Annullierung keinen Unterschied macht, ob die Fluggesellschaft den Flug um 23 Std. verschiebt und ihn unter der bisherigen Flugnummer am nächsten Tag durchführt, oder ob der Flug gestrichen wird und alle Passagiere als einheitliche Gruppe am nächsten Tag unter einer anderen Flugnummer befördert werden.

20. Aus dem Vorwort Abs. 12 und Art. 5 Abs. 1 c) folgt weiterhin, dass mit „Annullierung“ solche Fälle gemeint sind, bei denen die Fluggesellschaft sich aus eigenem Willen, z.B. aus wirtschaftlichen Gründen, entschließt, einen Flug nicht durchzuführen. Die Flugunternehmen sollen durch die Verordnung veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten. Dies setzt aber voraus, dass die Fluggesellschaft überhaupt in einem nennenswerten Zeitraum vor der geplanten Abflugzeit Kenntnis davon hat, dass sie den Flug nicht durchführen wird. Im vorliegenden Fall war Grund für die Streichung jedoch ein plötzlich und unvorhergesehen eingetretenes Ereignis, welches zu einer so großen Verzögerung geführt hat, dass der Flug letztlich am 26.08.2005 nicht mehr durchgeführt werden konnte, obwohl die Beklagte dies grundsätzlich wollte.

21. Schließlich folgt die Kammer der Meinung des Amtsgerichts, dass eine analoge Anwendung von § 651 Abs. 2 BGB auf den Fall einer isolierten Buchung eines Charterfluges nicht stattfindet. Eine unbeabsichtigte Regelungslücke ist nicht erkennbar. Insbesondere sah der Gesetzgeber bei der umfassenden Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 offenbar keinen Handlungsbedarf, die Regelungen des Reisevertragsrechts auch auf solche Fälle auszuweiten, bei denen eine isolierte Reiseleistung Vertragsgegenstand ist. Der Minderwert der Vertragsleistung kann über die Gewährleistungsrechte des Werkvertragsrechts ausreichend geregelt werden.

22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.

23. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 GKG.

24. Die Kammer hat gemäß § 543 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Auslegung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 hinsichtlich des Begriffs der Annullierung und der Abgrenzung zur Verspätung hat für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung, eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu ist bislang noch nicht ergangen.

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