Randalierender Passagier auf dem Vorflug

AG Frankfurt: Ein randalierender Passagier auf dem Vorflug

Zwei Fluggäste forderten von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung. Die Kläger buchten bei der betroffenen Fluggesellschaft einen Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main. Aufgrund einer Zwischenlandung durch einen randalierenden Passagier erreichte das Flugzeug Frankfurt am Main mit einer Verspätung von 17 Stunden.

Das Amtsgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen und entschied, dass ein randalierender Passagier eine Ausnahmesituation für die Fluggesellschaft darstellt, welche nicht kontrollierbar ist. Ein solches Ereignis stellt keine typische Betriebssphäre des Luftfahrtunternehmens dar.

AG Frankfurt 32 C 4265/14 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 19.06.2015
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 19.06.2015, Az: 32 C 4265/14
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 19. Juni 2015

Aktenzeichen 32 C 4265/14

 

Leitsatz:

2. Ein randalierender Passagier in einem Flugzeug stellt einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 der FluggastrechteVO dar, welcher für ein Luftfahrtunternehmen nicht kontrollierbar ist und somit zu keiner Ausgleichszahlung wegen Verspätung führt.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger, welche einen Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main bei der betroffenen Fluggesellschaft gebucht haben, fordern eine Ausgleichszahlung in Höhe von je 600 EUR. Der Pilot entschied sich eine Zwischenlandung einzulegen, da an Bord ein randalierender Passagier war. Aufgrund Dessen verspätete sich der Flug um mehr als 17 Stunden.

Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) der Europäischen Verordnung (EG) Nr. 261/2004 steht allen Fluggästen ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zu, wenn sich der Abflug, von mindestens 1500 km Entfernung, um mehr als 2 Stunden verspätet. Die Flugdistanz im vorliegenden Fall lag bei weit mehr als 1500 km, so dass dem Grunde nach den Klägern eine Ausgleichszahlung zustehen würde.

Gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO entfällt diese Ausgleichszahlung für das Luftfahrtunternehmen, wenn es nachweisen kann, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorlag, welcher sich durch das Ergreifen aller zumutbarer Maßnahmen nicht hätte abwenden lassen.

Das Amtsgericht (kurz: AG) Frankfurt sah diesen Tatbestand der außergewöhnlichen Umstände erfüllt. Der randalierende Passagier stand unter Alkohol- und Drogeneinfluss, was ein nicht vorhersehbares Verhalten bedingt. Dieses Sicherheitsrisiko stellt laut AG einen außergewöhnlichen Umstand dar, wonach das betroffene Luftfahrtunternehmen keine Ausgleichszahlung an die Kläger erbringen musste.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 1.200,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen das beklagte Luftfahrtunternehmen auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung (EG) Nr. 261/2004 in Anspruch.

6. Die Kläger buchten für den 18./19.10.2011 jeweils einen von der Beklagten auszuführenden Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main. Der Flug DE 2233 sollte am 18.10.2011 planmäßig um 21.50 Uhr in Punta Cana starten und um 13.10 Uhr des folgenden Tages in dem 7.522 Kilometer entfernten Frankfurt am Main landen. Die Kläger erreichten Frankfurt am Main erst am 20.10.2011 um 6.28 Uhr, mithin mit einer Verspätung von 17 Stunden 18 Minuten. Mit Schreiben der f. GmbH vom 11.08.2014 forderten die Kläger die Beklagte zu einer Zahlung von Höhe von insgesamt 1.200,00 EUR auf. Die Beklagte leistete keine Zahlung.

7. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger je 600,00 EUR, insgesamt 1.200,00 EUR, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 26.08.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8. Die Beklagte behauptet, der unmittelbare Vorflug des streitgegenständlichen Fluges, der Flug DE 2232 vom 18.10.2011 von Frankfurt am Main nach Punta Cana, habe aufgrund eines randalierenden Passagiers am Flughafen Terziera auf den Azoren zwischenlanden müssen. Der Passagier S. R. sei ca. 2 Stunden nach dem Start zunächst auf dem Gang herumgetorkelt und habe mit einem gegen einen anderen Passagier gerichteten Faustschlag das Display eines Laptops zerstört. Nachdem sich der Passagier R. zunächst wieder beruhigt und ca. eineinhalb Stunden geschlafen habe, habe dieser erneut begonnen, die Kabinenbesatzung körperlich zu bedrängen und zu beschimpfen, und dieses Verhalten trotz des Anlegens von Handschellen fortgesetzt. Da der Eindruck gewonnen worden sei, dass der Passagier R. nicht nur unter Alkohol, sondern auch unter Drogeneinfluss stehe, habe sich der Luftfahrzeugführer aus Sicherheitsgründen zu der Zwischenlandung zwecks Übergabe des Passagiers an die örtliche Polizei entschlossen. Da innerhalb der verbleibenden Zeitspanne von 1 Stunde 39 Minuten die Zwischenlandung einschließlich des Auffinden des Koffers des Passagiers nicht durchgeführt hätte werden können, habe der Flug zum Zwecke der Einhaltung der Mindestruhezeit der Besatzung unterbrochen werden müssen. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verspätung des streitgegenständlichen Fluges habe daher auf einem außergewöhnlicher Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 beruht.

9. Die Akte 29 C 326/14 (85) einschließlich der schriftlichen Aussage der Zeugin K. (Bl. 76 d.A.) und des Zeugen F. (Bl. 77 ff. d.A.) war beigezogen. Auf die Ausführung des Beweisbeschlusses vom 23.01.2015 (Bl. 50 f. d.A.) wurde verzichtet, nachdem die Klägerseite ihr Einverständnis mit der beklagtenseits hilfsweise beantragten Verwertung der schriftlichen Aussagen der Zeugen F. und K. in diesem Verfahren erklärt hat. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.01.2015 (Bl. 46 f. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

10. Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

11. Den Klägern steht gegen die Beklagte kein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c), 7 Abs. 1 Buchst. c) VO (EG) Nr. 261/2004 zu.

12. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen nach Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 befreit. Gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 der Verordnung zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung bzw. im Falle der erheblichen Verspätung diese auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Befreiungsvorschrift des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ist eng auszulegen, da die Ziele der Verordnung entsprechend ihres ersten und zweiten Erwägungsgrunds darin liegen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen (EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-​549/07, NZV 2009, 435). Gemäß des 14. Erwägungsgrunds der VO (EG) Nr. 261/2004 können solche von Art. 5 Abs. 3 umfassten außergewöhnlichen Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten. Demgegenüber können unerwartete Sicherheitsmängel oder sonstige Defekte nur dann als außergewöhnlich i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und auf Grund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (BGH, Urteil vom 12.11.2009 – Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070).

13. Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen beruht die Verspätung des streitgegenständlichen Fluges vorliegend auf einem außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund der schriftlichen Aussagen der Zeugen K. und F. in hinreichendem Maße gemäß § 286 ZPO überzeugt, dass der unmittelbare Vorflug des streitgegenständlichen Fluges aufgrund eines randalierenden Passagiers zwischenlanden musste, hierdurch die erhebliche Verspätung des von den Klägern gebuchten Fluges verursacht worden ist und die Beklagte keine zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung unterlassen hat. Das Gericht verwertet auf Antrag der Beklagtenseite und im Einverständnis der Klägerseite die im Verfahren zu Az. 29 C 326/14 (85) erhobenen schriftlichen Zeugenaussagen der auch im hiesigen Verfahren benannten Zeugen K. und F. im Wege des Urkundenbeweises. Solch eine Verwertung der Ergebnisse der Beweisaufnahme eines anderen Verfahrens im Wege des Urkundenbeweises ist vorliegend zulässig, da keine der Parteien die Anhörung der Zeugen beantragt, sondern diese sich in Kenntnis von deren schriftlichen Aussagen im Parallelverfahren mit der Verwertung einverstanden erklärt bzw. diese beantragt haben (vgl. Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage, 2012, § 355 Rn. 10). Die Zeugin K., die Purserin des Vorfluges DE 2232, bestätigte im Rahmen ihrer schriftlichen Aussage, dass der Passagier R. aufgrund erheblichen Alkoholeinflusses und möglicherweise Drogenkonsums ein nicht mehr kontrollierbares und aggressives Verhalten an den Tag gelegt habe, die Zeugin selbst von dem Passagier angegriffen worden sei und aufgrund dieses Sicherheitsrisikos der Flugkapitän eine Zwischenlandung auf den Azoren beschlossen und durchgeführt. habe. Trotz der nicht verkannten Nähebeziehung der Zeugin zu der Beklagten als deren Mitarbeiterin bestehen keine Anhaltspunkte, an dem Wahrheitsgehalt der schriftlichen Aussage der Zeugin K. zu zweifeln. Dieses die Flugsicherheit gefährdende und einen Flugabbruch rechtfertigende eigenverantwortliche Verhalten eines Passagiers, welcher den Anordnungen des Kabinenpersonals keine Folge leistet, begründet einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004. Es handelt sich nicht um ein typisches der Betriebssphäre des Luftfahrtunternehmens zuzuordnendes Ereignis. Während typischerweise davon ausgegangen werden kann, dass die Passagiere den Anweisungen des Kabinenpersonals Folge leisten und aufgrund ihres Eigenverhaltens gerade keine Gefahr für die Durchführung des Fluges darstellen, ist das die Flugsicherheit gefährdende Verhalten eines Passagiers, begründet auf vorangegangenen Alkohol- oder Drogenkonsum, vielmehr eine von der Beklagten nicht kontrollierbare Ausnahmesituation vergleichbar mit einem von außen kommenden und nicht im Einfluss- und Verantwortungsbereich des Luftfahrtunternehmens liegenden Ereignis (vgl. AG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.06.2014 – 29 C 326/14 (85) zum streitgegenständlichen Flug; AG Rüsselsheim, Urteil vom 11.07. 2012 – 3 C 497/12 (36), juris).

14. Maßnahmen, welche die Beklagte zwecks Vermeidung der erheblichen Verspätung nach dem Auftreten des außergewöhnlichen Umstandes auf dem Vorflug des streitgegenständlichen Fluges hätte ergreifen können, sind unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen F. nicht ersichtlich. Das Bereithalten einer Ersatzcrew in Terceira war der Beklagten nicht zumutbar, zumal eine planmäßige Zwischenlandung in Terceira bereits nicht vorgesehen gewesen ist. Der Beklagten zumutbare Maßnahmen hätten nicht zu einer Vermeidung der erheblichen Verspätung des Fluges DE 2233 geführt. Der Zeuge F. stellte anhand der ihm aus dem elektronischen System der Beklagten zur Verfügung stehenden Unterlagen und Informationen dar, dass aufgrund der Zwischenlandung in Terceira die maximal zulässige Dienstzeit der Crew trotz deren Verlängerung um zwei Stunden mittels Kommandobescheids überschritten gewesen sei, so dass eine Weiterführung des Fluges nicht möglich gewesen sei. Der letztmögliche Abflugzeitpunkt in Terceira hätte um 10.25 Uhr UTC erfolgen müssen. Dies sei jedoch nicht möglich gewesen, da das Gepäck des randalierenden Passagiers zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefunden gewesen sei. Auch bei Einsatz eines Ersatzfluggeräts wäre im Falle einer erteilten Ausnahmegenehmigung für einen Start in Frankfurt am Main eine erhebliche Verspätung des streitgegenständlichen Fluges von jedenfalls 5.45 Stunden eingetreten. Der Einkauf eines Subcharter hätte nach Aussage des Zeugen zu einer Verspätung von mindestens 12 Stunden geführt. Auch der Einsatz einer Ersatzcrew wäre nicht geeignet gewesen, die erhebliche Verspätung des Fluges DE 2233 zu vermeiden.

II.

15. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III.

16. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

IV.

17. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

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