Pilotenstreik ist kein außergewöhnlicher Umstand

AG Köln: Pilotenstreik ist kein außergewöhnlicher Umstand

Ein Ehepaar kommt wegen eines Pilotenstreiks erst mit zweitägiger Verspätung in ihrem Urlaubsort an. Sie verlangen nun eine Ausgleichszahlung vom betroffenen Luftfahrtunternehmen.

Das Amtsgericht Köln hat den Klägern Recht zugesprochen. Wegen der immensen Flugverspätung stehe ihnen eine Ausgleichszahlung nach Art. 5 der EU VO 261/2004 zu.

AG Köln 142 C 153/10 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 25.10.2010
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 25.10.2010, Az: 142 C 153/10
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 25. Oktober 2010

Aktenzeichen: 142 C 153/10

Leitsatz:

2. Ein Pilotenstreik ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der EU VO 261/2004.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug vonAmerika nach Düsseldorf. Vor dem geplanten Abflug kündigte das Luftfahrtunternehmen einen Pilotenstreik an, wegen dem der Flug in der Folge annulliert wurde. Die Kläger buchten einen späteren Flug und kamen mit einer zweitägigen Verspätung in Düsseldorf an.
Aus diesem Grund verlangen die Kläger von dem beklagten Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1  EU VO 261/2004. Die Airline weigert sich der Zahlung und begründet den Flugausfall mit dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

Das Amtsgericht in Köln hat den Klägern die Zahlung zugesprochen. Ein außergewöhnlicher Umstand, der das Luftfahrtunternehmen von der Haftung befreien könnte, liege im aktuellen Fall nicht vor. Es sei dem Luftfahrtunternehmen zwar nur schwer möglich, einen Pilotenstreik abzuwenden, jedoch wäre die Verweigerung der Ausgleichszahlung nicht im Sinne des Montrealer Übereinkommens.

Nach diesem sind außergewöhnliche Umstände nur Risiken, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Zu einem Streik führende Tarifstreitigkeiten innerhalb des Luftfahrtfahrtunternehmens seien erkennbar innerbetrieblichen Ursprunges und lägen folglich im Handlungsradius der Airline.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2010 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe geleistet hat.

Tatbestand:

5. Die Klägerin nimmt die Beklagte, ein Luftfahrtunternehmen, auf Ausgleichszahlungen wegen der Annullierung eines Fluges aus eigenem und abgetretenem Recht in Anspruch.

6. Die Klägerin buchte bei der Beklagten für sich und ihren Lebensgefährten LI einen Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Miami/ Florida/USA und retour. Der Hinflug erfolgte am 10.02.2010. Der Rückflug war für den 22.02.2010 18.30 Uhr ab Miami mit Ankunft in Düsseldorf am 23.02.2010 um 9.25 Uhr vorgesehen. Am 17.02.2010 gab die Pilotenvereinigung Cockpit das Ergebnis ihrer Urabstimmung über die Durchführung eines Streiks ihrer u.a auch bei der Beklagten beschäftigten Piloten bekannt. Es wurde angekündigt, dass der Streik am 22.02.2010 0.00 Uhr beginnen sollte. Der Rückflug der Klägerin am 22.02.2010 wurde von der Beklagten annulliert, was sie der Klägerin mit E-Mail vom 19.02.2010 mitteilte und als Ursache den angekündigten Streik angab. Am 22.02.2010 wurde von der Vereinigung Cockpit der Streik begonnen. Die Beklagte buchte die Klägerin und ihren Lebensgefährten auf einen Flug am 24.02.2010 um 20.45 Uhr von Miami über London nach Düsseldorf um. Die Klägerin kam mit ihrem Lebensgefährten am 25.02.2010 um 15.35 Uhr in Düsseldorf an. Herr I trat ihm gegen die Beklagte wegen der Annullierung zustehende Ansprüche im März 2010 schriftlich an die Klägerin ab.

7. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr aus eigenem und abgetretenem Recht auf Grundlage von Art. 7 der EU VO 261/2004 ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von jeweils 600,00 Euro, insgesamt 1.200,00 Euro, zustehe.

8. Sie beantragt,

9. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2010 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage abzuweisen.

12. Sie ist der Ansicht, dass sich die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände im Sinne der EU VO 261/2004 zurückführen lasse, was einen Ausgleichsanspruch entfallen lasse. Bei einem Streik der Piloten der Piloten der Beklagten handele es sich um einen Umstand, der nicht Teil der normalen Tätigkeit der Beklagten sei und von ihr auch nicht zu beherrschen sei. Es sei ein Sonderflugplan erstellt worden, in dessen Rahmen eine Annullierung des Fluges der Klägerin beschlossen worden sei. Es sei der Beklagten weder zumutbar noch möglich gewesen, sich auf den Streik durch Beschaffung von Ersatzpersonal vorzubereiten; Dies auch unter Berücksichtigung, dass bei der Bedienung moderner Flugzeugtypen spezielle Schulungen und Zuverlässigkeitsüberprüfungen erforderlich sind und aus arbeitsrechtlichen Gründen auch kein beliebiger Einsatz von Luftpersonal anderer Unternehmen möglich ist. Schließlich könne in Hinblick auf die Arbeitskampffreiheit auch von der Beklagten nicht verlangt werden, die Tarifverhandlungen schneller zu Ende zu bringen.

13. Es wird weiter auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist begründet.

15. Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht des Herrn H. ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 1.200,00 Euro gemäß Art. 7 Abs. 1 lit.c), Art. 5 Abs. 1 lit.c) EU VO 261/2004 (VO) zu.

16. Es liegt eine zu Ausgleichszahlungen verpflichtende Annulierung des von der Klägerin bei der Beklagten gebuchten Fluges vor.

17. Unstreitig hat die Beklagte den für den 22.02.2010 vorgesehenen Rückflug der Klägerin und ihres Lebensgefährten von Miami nach Düsseldorf mit der Kennzeichnung MI … gestrichen und damit annulliert. Da die Klägerin nach Umbuchung durch die Beklagte erst zwei Tage später Düsseldorf erreichte, liegt eine anderweitige einen Ausgleichsanspruch ausschließende Beförderung nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 1 lit. c) i) – iii) VO nicht vor.

18. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Annullierung gemäß Art. 5 Abs. 3 VO wegen des Streiks ihrer Piloten auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

19. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Streik des eigenen Personales, hier der bei der Beklagten beschäftigten und in der Pilotenvereinigung Cockpit organisierten Piloten einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO darstellt. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass nach dem Erwägungsrund 14 als Beispiel für außergewöhnliche Umstände den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks angegeben werden. Es ist auch richtig, dass keine Differenzierung zwischen externen und internen Streiks vorgenommen wird. Dies bedeutet indes nicht zwingend, dass der Verordnungsgeber damit alle Streiks ohne Rücksicht auf ihre Ursache als außergewöhnlichen Umstand erachtet. Dagegen spricht bereits der Verweis in dem Erwägungsgrund auf das Montrealer Übereinkommen: Für den Anwendungsbereich des Montrealer Übereinkommens ist indes anerkannt, dass ein Streik des eigenen Luftpersonals den Luftfrachtführer nicht entlastet (Giemulla/Schmid MÜ Art. 19, 57). Dadurch dass die VO nicht nur das ausdrücklich erwähnt, sondern auch den Haftungsausschluss aus Art. 19 MÜ nahezu wörtlich in Art. 5 Abs. 3 VO übernimmt spricht nach Auffassung des Gerichtes mehr dafür als dagegen, dass ein interner Streik den Luftfrachtführer im Rahmen der VO nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht entlastet. In diese Richtung weist auch die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der außergewöhnlichen Umstände im Rahmen der VO. Nach dem Urteil vom 22.11.2008 (RRa 2009, 35) sind außergewöhnliche Umstände nur Risiken, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Zu einem Streik führende Tarifstreitigkeiten innerhalb des Luftfahrtfahrtunternehmens lassen sich – da erkennbar innerbetrieblichen Ursprunges – kaum unter diese Auslegung fassen.

20. Letztlich kann diese Frage, die zudem zur abschließenden Klärung auch dem EuGH vorzulegen wäre, offenbleiben; denn die Beklagte hat – selbst wenn man den vorliegenden Streik als außergewöhnlichen Umstand ansehen wollte – trotz Hinweises des Gerichtes nicht substantiiert dargetan, dass sie alles Zumutbare im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO veranlasst hat, um die Annullierung im konkreten Fall zu vermeiden.

21. Die Beklagte genügt ihrer Darlegungslast nicht, wenn sie lediglich allgemein darauf hinweist, sie habe in Hinblick auf den Streik einen Sonderflugplan erstellt, bei dem entschieden wurde, den Flug der Klägerin zu streichen und im übrigen pauschal Gründe nennt, die ein Ausweichen auf Ersatzpersonal erschwert. Ohne nähere Darlegung zu dem Inhalt dieses Planes in Hinblick auf den konkreten Flug der Klägerin, dem hierfür ursprünglich vorgesehenen Personal, dem in Betracht kommenden Ersatzpersonal sowie der Darlegung der konkreten Kriterien, nach denen der vorliegenden Flug letztlich gestrichen werden musste, bleibt die Behauptung der Beklagte, sie habe alles Zumutbare zur Aufrechterhaltung des Fluges unternommen ohne eine für die Klägerin einlassungsfähige Substanz. Dabei ist für die Frage der Zumutbarkeit gerade im konkreten Streikfall auch von Bedeutung welchen Vorlauf die Beklagte hatte, um sich auf den Streik und seine voraussichtlichen Auswirkungen einzustellen ( vgl. AG Frankfurt, NJW-RR 2006, 1559 ff). Abgesehen von der Frage, ob es für die Beklagte nicht bereits zumutbar ist bereits ohne konkreten Streik ein Notfallmanagement für diesen Fall vorzuhalten, war für die Beklagte eine Vorbereitung auf den Streik jedenfalls seit Bekanntwerden des Ergebnisses der Urabstimmung spätestens zum 17.02.2010 möglich. Die Beklagte ist erkennbar nicht von dem Streik überrascht worden. In einer solchen Situation ist indes auch zu fordern, dass die Beklagte darlegt, welche Maßnahmen sie in der zur Verfügung stehenden Zeit in Bezug auf den Flug der Klägerin in Erwägung gezogen hat, um ihn durchzuführen, und aufgrund welcher Abwägung sie letztlich zu dem Ergebnis gekommen ist, den konkreten Flug doch annullieren zu müssen.

22. Da sich die Beklagte jedenfalls nicht entlastet hat, ist die Klage begründet, wobei sich die Höhe der Ausgleichszahlung angesichts der über 3500 km liegenden Entfernung auf 600,00 Euro pro Person beläuft.

23. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 286, 288 BGB.
24. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.
25. Streitwert: 1.200,00 Euro.

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