Nicht geprüfter Koffer an Bord – kein außergewöhnlicher Umstand

AG Hannover: Nicht geprüfter Koffer an Bord – kein außergewöhnlicher Umstand

Ein Fluggast verklagt ein Luftfahrtunternehmen, weil er mit einer mehr als 3-stündigen Verspätung an seinem Zielflughafen ankam. Die Beklagte begründet die Verspätung mit dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands. An Bord der Maschine sei ein nicht kontrollierter Koffer gewesen, wegen dem das Flugzeug zwischenlanden musste.
Das Amtsgericht Hannover verneint das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes und spricht dem Kläger die Ausgleichszahlung zu.

AG Hannover 532 C 7883/12 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 30.09.2013
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 30.09.2013, Az: 532 C 7883/12
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Amtgericht Hannover

1. Urteil vom 30.09.2013

Aktenzeichen: 532 C 7883/12

Leitsatz:

2. Eine Zwischenlandung wegen eines nicht geprüften Koffers stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dar.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug. Dieser kam erst mit einer Verspätung von rund vier Stunden am Zielflughafen an. Grund hierfür war, dass sich an Bord des Flugzeuges ein noch nicht geprüfter Koffer befand. Die Maschine musste, auf Anordnung der Bundespolizei, zwischenlanden.
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung, im Sinne des Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Die Beklagte verweigert die Zahlung und erwidert, dass es sich bei diesem Vorfall um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 handele, welcher sie von der Haftung befreie.
Das Amtsgericht Hannover hat dem Kläger die begehrte Ausgleichszahlung zugesprochen. Außergewöhnliche Umstände seien nur solche, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Vorliegend lag es jedoch im Machtbereich des Unternehmens alle Koffer zu überprüfen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 400,-​- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2012 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

6. Die Klage ist begründet.

7. Der Kläger kann von der Beklagten gem. Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 b FluggastrechteVO Nr. 261/2004 die Ausgleichszahlung von 400,-​- € verlangen.

8. Der Kläger buchte den Flug Nr. …, der laut Buchungsbestätigung am 10.09.2011 um 09.50 Uhr von Hannover starten und am gleichen Tag um 14.00 Uhr auf der griechischen Insel Kos, die mehr als 1.500 Kilometer und weniger als 3.500 Kilometer entfernt ist, landen sollte. Die Beklagte war ausführendes Flugunternehmen.

9. Der Abflug in Hannover am genannten Tag erfolgte erst um 13.45 Uhr. Der Kläger kam mit dem gebuchten Flug erst um 17.45 Uhr und mithin mehr als 3 Stunden verspätet auf der Insel Kos an.

10. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die vorgenannten Vorschriften auf verspätete Flüge nicht anzuwenden sind, da die Regelungslücke dem gesetzgeberischen Willen entspreche. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 23.10.2012 zu diesem Problemkreis entschieden, die Artikel 5 – 7 der FluggastrechteVO Nr. 261/2004 seien dahin auszulegen, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung zusteht, wenn sie aufgrund dieser Flüge einen Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als 3 Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

11. Die von dem Europäischen Gerichtshof in seiner Entscheidung genannte Ausnahme, eine solche Verspätung begründe jedoch dann keinen Ausgleichsanspruch der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind, ist vorliegend nicht gegeben.

12. Der Kläger bestreitet nicht, dass die Maschine, auf die der Kläger gebucht war, am 10.09.2011 den Flugumlauf … HAJ-​PMI, … PMI-​HAJ und … HAJ-​KGS hatte und dass während des Fluges … HAJ-​PMI dem Piloten über Bordfunk von der Bundespolizei die Anordnung erteilt wurde, auf dem nächstgelegenen Flughafen Basel zu landen, weil ungecheckte Koffer an Bord seien, der Pilot der Anordnung Folge leistete und der Flug nach Durchsuchen des Gepäcks um 05.31 Uhr wieder starten konnte mit der Folge, dass der Flug … mit 3 Stunden und 41 Minuten Verspätung in HAJ landete und der streitgegenständliche Flug ebenfalls mit einer Verspätung von 3 Stunden und 52 Minuten auf Kos landete. Der Kläger bestreitet auch nicht, dass der Beklagten trotz Suche bei sämtlichen deutschen und schweizerischen Fluggesellschaften ein Subchartergerät nebst Crew für 189 Fluggäste nicht zur Verfügung stand und im Idealfall mindestens 4 Stunden Vorlaufzeit benötigt werden, um eine pünktliche Subcharter zu bekommen, was von 05.31 Uhr, dem Start in Basel, bis 09.50 Uhr, dem geplanten Abflug in Hannover zeitlich grundsätzlich möglich gewesen wäre.

13. Wenn nach dem Vorbringen der Beklagten der Vorflug mit Verspätung von 3 Stunden 41 in Hannover landete und der streitgegenständliche Flug mit Verspätung von 3 Stunden 52 gestartet wurde, kann die geringfügige größer gewordene Verspätung nur dahin verstanden werden, dass seitens der Beklagten keinerlei Zeitreserve eingeplant war, um unvorhergesehene Ereignisse bei vorangehenden Flügen aufzufangen. Wenn sich ein ungechecktes Gepäckstück an Bord einer Maschine befindet und die Maschine auf Anweisung der Bundespolizei zu Kontrollzwecken deswegen landen muss, ist auch dies kein Umstand, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Es ist Sache der Beklagten dafür Sorge zu tragen, dass kein ungechecktes Gepäck an Bord ihrer Flugzeuge kommt.

14. Dem Kläger stehen Prozesszinsen auf die Ausgleichzahlung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 291 BGB seit Zustellung der Klage an die Beklagte am 24.08.2012 zu.

15. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

16. Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach § 713 ZPO.

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