Maßgeblichkeit der Gesamtstrecke für Ausgleichsansprüche auch bei Umsteigeverbindungen

AG Erding: Maßgeblichkeit der Gesamtstrecke für Ausgleichsansprüche auch bei Umsteigeverbindungen

Der Kläger hatte bei der Beklagten einen Flug mit Zwischenlandung gebucht. Der zweite Teilflug verzögerte sich um mehrere Stunden. Der Kläger verlangt Ausgleichszahlung.

Das Gericht gab der Klage statt. Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs sei bei einer Umsteigeverbindung die Gesamtstrecke zu berücksichtigen, sodass der Kläger hier die höhere Ausgleichszahlung verlangen durfte.

AG Erding 4 C 3715/16 (Aktenzeichen)
AG Erding: AG Erding, Urt. vom 29.03.2017
Rechtsweg: AG Erding, Urt. v. 29.03.2017, Az: 4 C 3715/16
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Amtsgericht Erding

1. Urteil vom 29. März 2017

Aktenzeichen 4 C 3715/16

Leitsatz:

2. Bei der Ausgleichszahlung wegen Verspätung ist bei einem Umsteigeflug die gesamte Strecke zugrunde zu legen.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte bei der Beklagten einen Flug von Delhi nach Dresden mit Zwischenlandung in München gebucht. Der zweite Teilflug verzögerte sich um dreieinhalb Stunden. Der Kläger verlangt Ausgleichszahlung unter Zugrundelegung der Gesamtdistanz.

Das Gericht gab der Klage statt. Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs sei bei einer Umsteigeverbindung die Gesamtstrecke zu berücksichtigen, sodass der Kläger hier die höhere Ausgleichszahlung verlangen durfte. Außerdem habe die Beklagte die Kosten vollumfänglich zu tragen, da sie ihr Minderungsrecht erst im Prozess geltend gemacht hatte.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 50,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2016 zu bezahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Von der Abfassung des Tatbestands wird gem. § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

6. Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

I.

7. Der Kläger kann eine Ausgleichszahlung in Höhe von noch 50,00 € aus Art. 5 Abs. 1 lit.c, 7 Abs. 1 lit. c) der VO (EG) 261/2004 verlangen.

a)

8. Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung ist gem. Art. 3 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit.a VO (EG) 261/2004 eröffnet. Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft. Der Kläger trat den Flug mit Ziel im Gemeinschaftsgebiet an, verfügt über eine Buchungsbestätigung und erschien rechtzeitig zur Abfertigung am Abflughafen.

b)

9. Der Flug der zweiten Teilstrecke von München nach Dresden wurde von der Beklagten, die insoweit als ausführendes Luftfahrtunternehmen vorgesehen war, annulliert, worüber der Kläger erst am Abflugtag informiert wurde.

c)

10. Der angebotene Ersatzflug kam mit einer Verspätung von 3 Stunden und 37 Minuten am Zielflughafen in Dresden an, sodass Ausgleichsansprüche nicht nach Art. 5 Abs. 1 lit.c (iii) VO (EG) 261/2004 ausgeschlossen sind.

d)

11. Die gem. Art. 7 Abs. 1 S.2 VO (EG) 261/2004 zu Grunde zu legende Entfernung zwischen dem Abflughafen Delhi und dem Zielflughafen in Dresden beträgt nach der gem. Art. 7 Abs. 4 VO (EG) 261/2004 maßgeblichen Großkreisberechnungsmethode mehr als 3.500 Kilometer, sodass sich die Anspruchshöhe aus Art. 7 Abs. 1 S.1 lit.c) VO (EG) 261/2004 ergibt und grundsätzlich 600,00 € beträgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann vorliegend für die Berechnung der für die Höhe der Ausgleichsleistung maßgeblichen Flugentfernung nicht lediglich auf die letzte Teilstrecke von München nach Dresden abgestellt werden. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Zubringerflug von Delhi nach München unstreitig pünktlich durchgeführt wurde und dass die Verspätungsursache alleine auf der Strecke zwischen München und Dresden verursacht wurde. Im Falle einer Umsteigeverbindung ist für die Berechnung der maßgeblichen Entfernung nach Art. 7 Abs. 1 S.2 VO (EG) 261/2004 jedoch ausdrücklich der letzte Zielort zu Grunde zu legen. Aus dieser Formulierung folgt, dass für die Entfernungsberechnung ausschließlich die Ankunftsverspätung am Endziel in Relation zur vertraglich vereinbarten Ankunftszeit an diesem letzten Zielort maßgeblich ist, vgl. Keiler in Staudinger/Keiler, Fluggastrechteverordnung, Handkommentar, 1.Auflage 2016, Art. 7 Rn.19. Dies bedeutet aber auch, dass für einheitlich gebuchte Flüge, die aus mehreren Abschnitten bestehen, Ausgleichsleistungen für die gesamte Strecke, und nicht für jeden von einer Leistungsstörung betroffenen Flugabschnitt selbstständig gegeben sind. Unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe (1), (2) und (12) der VO (EG) 261/2004 kommt ferner in der Staffelung der Ausgleichsleistung nach Flugentfernung in Art. 7 Abs. 1 VO (EG) 261/2004 zum Ausdruck, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass die auszugleichenden Unannehmlichkeiten einer Flugannullierung oder großen Verspätung für den Passagier mit der Flugentfernung zunehmen. Für den Fluggast spielt es dabei keine Rolle, ob eine große Verspätung auf der ersten oder auf der zweiten Teilstrecke einer Umsteigeverbindung verursacht wird. Die Verspätungsauswirkung auf das Ausmaß der Unannehmlichkeiten in Relation zur Gesamtdauer der Flugreise bleibt dieselbe. Insoweit ist eine Differenzierung zwischen Fluggästen, die ausschließlich die letzte Teilstrecke gebucht haben und den Fluggästen, die von einem Zubringerflug umgestiegen sind, nach Sinn und Zweck von Art. 7 VO (EG) 261/2004 zwingend veranlasst. Auch der EuGH hat in der Rechtssache Folkerts, C-11/11, für die Berechnung der maßgeblichen Entfernung nicht auf einzelne Teilstrecken, sondern ausdrücklich auf den Begriff der „Reise“, bestehend aus mehreren Anschlussflügen, umfassend Bezug genommen. Zur Überzeugung des Gerichts sind deshalb zur Entfernungsberechnung im Falle einer Umsteigeverbindung im Rahmen einer einheitlichen Flugbuchung der Startflughafen der ersten Teilstrecke und der Flughafen am Reiseziel auch dann maßgeblich, wenn die Verspätungsursache erst während der letzten Teilstrecke auftritt. Unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der Buchungsbestätigung (Anlage K1) hat das Gericht keinen Zweifel am Vorliegen eines einheitlich gebuchten Fluges von Delhi nach Dresden in Form einer Umsteigeverbindung über München. Bereits die Buchungsüberschrift lautet auf DELHI -> DRESDEN. Die Umsteigezeit beträgt lediglich 2 Stunden und 20 Minuten. Beide Teilstrecken werden mit einer LH – Flugnummer ausgewiesen. Angesichts dieser Umstände muss von einem vertraglich einheitlich gebuchten Flug von Delhi nach Dresden ausgegangen werden, dessen Entfernung für die Berechnung der Ausgleichsleistung maßgeblich ist.

e)

12. Nachdem die Beklagte im Prozess berechtigter Weise eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs um 50% nach Art. 7 Abs. 2 lit.c) VO (EG) 261/2004 geltend machte, beläuft sich der Ausgleichsanspruch auf 300,00 €. Abzüglich des vorgerichtlich von der Beklagten bezahlten Betrages kann der Kläger noch Zahlung in Höhe von 50,00 € verlangen.

I.

13. Die Verurteilung zur Zahlung der Zinsen gründet sich unter Verzugsgesichtspunkten auf §§ 286, 288 BGB.

II.

14. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91a ZPO. Auch im Umfang der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung waren der Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Denn die Kürzung des Ausgleichsanspruchs um 50% nach Art. 7 Abs. 2 lit.c) VO (EG) 261/2004 ist nicht von Amts wegen ipso iure zu berücksichtigen, sondern nur für den Fall, dass das Luftfahrtunternehmen vom Kürzungsrecht Gebrauch macht und eine entsprechende Erklärung abgibt, wie aus der Formulierung „kann das Luftfahrtunternehmen“ in der Vorschrift folgt, vgl. Führich, Reiserecht, 7.Auflage 2015, § 42 Rn.5 m.w.N. Die Kürzungserklärung der Beklagten ist erst nach Rechtshängigkeit erfolgt und begründete deshalb das erledigende Ereignis, ohne welches die ursprüngliche Klage in voller Höhe Erfolg gehabt hätte.

III.

15. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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