Ausgleichsleistung trotz technischem Defekt

LG Köln: Ausgleichsleistung trotz technischem Defekt

Ein Fluggast nimmt eine Fluggesellschaft auf Ausgleichszahlung in Anspruch aufgrund einer Flugannullierung wegen technischen Defekt.

Das Gericht entschied, dass der Kläger einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. b) der EG-Verordnung Nr. 261/2004 hat.

LG Köln 10 S 391/06 (Aktenzeichen)
LG Köln: LG Köln, Urt. vom 19.03.2008
Rechtsweg: LG Köln, Urt. v. 19.03.2008, Az: 10 S 391/06
AG Köln, Urt. v. 07.11.2006, Az: 111 C 260/06
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Landgericht Köln

1. Urteil vom 19.03.2008

Aktenzeichen: 10 S 391/06

Leitsatz:
2. Es handelt sich um keinen außergewöhnlichen Umstand, wenn der Defekt sich hätte vermeiden lassen können, indem alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchten der Kläger und seine Ehefrau einen Flug, der am 16.02.2006 um 15.30 Uhr von Düsseldorf nach Madrid starten sollte. Der Flug wurde jedoch am 16.02.2006 nicht durchgeführt. Stattdessen wurden der Kläger und seine Ehefrau auf einen anderen Flug mit einer anderen Maschine umgebucht, und sodann mit dieser anderen Maschine über eine andere Flugroute, nämlich über Barcelona nach Madrid befördert. Der Kläger kam erst 4 Stunden nach geplanter Ankunftszeit an seinem Reiseziel an.

Der Kläger begehrt eine Ausgleichszahlung für die Verspätung.

Das Gericht entschied, dass dem Kläger einen Anspruch auf die Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. b) der EG-Verordnung Nr. 261/2004 zusteht. Es konnte nicht festgestellt werden, ob es möglich gewesen wäre, den Defekt rechtzeitig vor dem Check-In zu beheben. Eine Verspätung von mehr als 3 Stunden ist jedoch ersatzpflichtig und wird wie eine Annullierung gehandhabt. Es konnte kein außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen werden, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das am 07.11.2006 verkündete Urteil des AGs Köln – Az.: 111 C 260/06 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800.- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. den §§ 540 II, 313 a I 1, 542 I, 543, 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

5. Die zulässige Berufung des Klägers gegen das oben genannte klageabweisende Urteil des AGs hat in der Sache Erfolg.

6. Dem Kläger steht der eingeklagte Anspruch auf Zahlung von 800.- EUR aus eigenem Recht sowie aus von seiner Ehefrau abgetretenem Recht als Ausgleichsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. b) der EG-Verordnung Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 zu.

7. Der vom Kläger und seiner Ehefrau gebuchte Flug LHX am 16.02.2006 von Düsseldorf nach Madrid ist im Sinne der vorgenannten Verordnung „annulliert“ worden. Der Begriff der Annullierung ist in Art. 2 lit. l) der Verordnung legal definiert, als die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.

8. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:

9. Der Kläger und seine Ehefrau waren im Besitz bestätigter Buchungen für den Flug LHX, der am 16.02.2006 um 15.30 Uhr von Düsseldorf nach Madrid starten sollte. Der Flug LHX wurde jedoch am 16.02.2006 nicht durchgeführt. Statt dessen wurden der Kläger und seine Ehefrau auf einen anderen Flug mit einer anderen Maschine umgebucht, und sodann mit dieser anderen Maschine über eine andere Flugroute, nämlich über Barcelona nach Madrid befördert.

10. Sind damit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Annullierung erfüllt, so ist letztlich unerheblich, dass es durch die Annullierung des vom Kläger und seiner Ehefrau gebuchten Fluges im Ergebnis – nur – zu einer Ankunftsverzögerung von 4 Stunden gekommen, wie im Tatbestand des angefochtenen Urteils – für die Kammer bindend – festgestellt.

11. Die oben genannte EG-Verordnung differenziert gerade zwischen der „Annullierung“ eines Fluges einerseits und der in Art. 6 geregelten Verspätung eines Fluges andererseits. Diese Differenzierung ist auch – entgegen der Auffassung der Beklagten – durchaus trennscharf durchzuführen.

12. Entscheidender Unterschied ist, dass bei der Annullierung der geplante Flug nicht stattfindet, bei der Verspätung indes sehr wohl, wenn auch verspätet. Zu Unrecht, nämlich entgegen der vorerörterten Legaldefinition des Begriffs der „Annullierung“, hebt die Beklagte darauf ab, dass eine „Annullierung“ – erst – dann vorliege, wenn die Beförderung der Passagiere überhaupt nicht stattfinde, das heißt auch nicht nach einer Umbuchung mit einer anderen Maschine. Der Begriff der Annullierung bezieht sich nämlich nach der oben zitierten Legaldefinition nicht auf die Beförderung, sondern auf den konkret geplanten Flug. Daraus ergibt sich zugleich auch, dass es nicht darauf ankommt, ob das Luftfahrtunternehmen anstelle des annullierten Fluges zeitnah einen Ersatzflug anbieten kann oder nicht.

13. Zutreffend hat der Kläger in diesem Zusammenhang bereits in erster Instanz auf die Regelungen in Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Verordnung verwiesen; danach entfällt der wegen der Annullierung an sich gegebene Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung, wenn das Luftfahrtunternehmen anstelle des annullierten Fluges eine ersatzweise Beförderung anbietet, die es den Fluggästen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

14. Aus dieser Regelung folgt zwingend, dass für die Frage, ob die Annullierung eines Fluges tatbestandlich gegeben ist, die Möglichkeit und das Angebot einer ersatzweisen Beförderung durch das Luftfahrtunternehmen unbeachtlich sind. Bei alldem ist auch kein Raum für die von der Beklagten vertretene Auffassung, der Verordnungsgeber habe den Begriff der Annullierung ungewollt zu weit gefasst.

15. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem streitgegenständlichen Ausgleichsanspruch auch nicht die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung entgegen. Deren Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Beklagte hat nämlich nicht „nachgewiesen“, dass die Annullierung des Fluges LHX am 16.02.2006 auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

16. Die Beklagte hat in erster Instanz, wie auch im Berufungsverfahren in tatsächlicher Hinsicht vorgetragen, Grund für die Annullierung des vorgenannten Fluges sei gewesen, dass an der einzusetzenden Maschine, dem Canadair Jet mit dem Kennzeichen D-ACLT, die Notbeleuchtung teilweise defekt gewesen sei, nämlich die Beleuchtung des Notausgangsschildes an der vorderen rechten Tür ausgefallen gewesen sei. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, dieser Defekt sei im Rahmen der Übernahme des Flugzeugs durch die neue, für den Flug LHX eingeteilte Besatzung festgestellt worden. Bei dem letzten planmäßigen S-Check des Flugzeugs, der am 13.02.2006 in Mailand erfolgt sei, und zu dem auch die Überprüfung der Notbeleuchtung gehört habe, habe es hinsichtlich der Notbeleuchtung keine Beanstandung gegeben.

17. Dieser Tatsachenvortrag genügt nicht, um die oben zitierten engen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung auszufüllen. Es kann anhand dieses Vortrags nämlich nicht festgestellt werden, ob der am 16.02.2006 zeitlich kurz vor dem für 15.30 Uhr geplanten Start des Fluges LHX von der Besatzung festgestellte Defekt der Notbeleuchtung nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte vermieden werden können.

18. Die Beklagte trägt nämlich nicht vor, wann der Defekt im Zeitraum nach dem S-Check vom 13.02.2006 erstmals auftrat. Ebenso wenig trägt die Beklagte vor, wann und von wem der Defekt im Zeitfenster zwischen dem S-Check vom 13.02.2006 und der Zeit unmittelbar vor dem geplanten Start des Fluges LHX am 16.02.2006 erstmals festgestellt wurde. Schließlich trägt die Beklagte auch nicht vor, wie lange es dauerte, bis der am 16.02.2006 zugezogene Techniker die Ursache des Defekts festgestellt und den Defekt behoben hatte. Dementsprechend kann nicht festgestellt werden, ob es nicht möglich gewesen wäre, den Defekt rechtzeitig vor dem Start des Fluges LHX am 16.02.2006 festzustellen und zu beheben, namentlich während einer der Zeitphasen, als das Flugzeug zwischen zwei Flügen am Boden war.

19. Hierbei kommt es nicht einmal entscheidend auf den – erstmals im Berufungsverfahren erfolgten – Vortrag des Klägers an, wonach bereits am 16.02.2006 um 8.14 Uhr in Manchester Probleme mit der Notbeleuchtung festgestellt worden seien und der an diesem Vormittag durchgeführte Flug von Manchester nach Düsseldorf mit (teilweise) defekter Notbeleuchtung absolviert worden sei. Die Beklagte, die für die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig ist, war nämlich – unabhängig vom Vortrag des Klägers – gehalten, von sich aus lückenlos dafür vorzutragen, dass sich der für die Annullierung maßgebliche technische Defekt nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte vermeiden lassen. Hierauf hat der Kläger bereits in erster Instanz – dem Sinne nach – hingewiesen.

20. Der Ausspruch zur Verzinsung ergeht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges.

21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, (711 S. 1), 713 ZPO.

22. Streitwert für das Berufungsverfahren: 800.- EUR

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