Haftung für ehrenamtliche Reiseleiter

LG Stuttgart: Haftung für ehrenamtliche Reiseleiter

Vorliegend verbrachte die 16 jährige Klägerin einige Zeit in einer Surf-Jugendfreizeit, welche von den Beklagten beaufsichtigt wurde. Dort bekam sie schlimme Magen-Darm-Probleme bis sie schließlich kollabierte. Da die Beklagte daraufhin keinen Arzt riefen und sich ansonsten ebenso wenig um ihre Befindlichkeit gekümmert haben verlangt sie Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht Stuttgart hält die Klage für unbegründet. Die Klägerin sei schließlich bereits 16 Jahre alt gewesen und damit selbst in der Lage, einen Arzt zu fordern. Mithin ist kein fahrlässiges bzw. vorsätzliches Verhalten der Beklagten erkennbar.

LG Stuttgart 25 O 68/05 (Aktenzeichen)
LG Stuttgart: LG Stuttgart, Urt. vom 28.04.2005
Rechtsweg: LG Stuttgart, Urt. v. 28.04.2005, Az: 25 O 68/05
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Landgericht Stuttgart

1. Urteil vom 28. April 2005

Aktenzeichen 25 O 68/05

Leitsatz:

2. Für fahrlässiges Handeln genügt die allgemeine Vorhersehbarkeit eines schädigenden Erfolges, der konkreten Ablauf braucht in seinen Einzelheiten nicht vorhersehbar gewesen zu sein.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall nahm die Klägerin, welche 16 Jahre alt war, an einer von der Beklagten Surf-Jugendfreizeit teil. Die Beklagten Ziffer 2 bis 4 waren die für die streitgegenständliche Jugendfreizeit verantwortlichen Leiter. Dort bekam sie Magen-Darm-Probleme.

Sie behauptet, dies lag an den dort gegebenen unhygienisches Zuständen. Sie litt unter schweren rezidivierenden wässrigen Diarrhöen, Erbrechen und Schwindelzuständen was sie der Beklagten 2-4 auch mitgeteilt hat. Diese hätten ihr geraten sich, trotz hoher Temperaturen, sich im Bett zuzudecken bis sie schwitze. Ebenso wenig hätte sich keiner darum bemüht, ihr Essen oder ausreichend Flüssigkeit zur Verfügung zu stellen. Mithin wurde kein Arzt konsultiert, selbst als sie kollabierte. Dadurch entstanden bei der Klägerin dauerhafte gesundheitliche Schädigungen. Sie verlangt folglich Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Das Landgericht Stuttgart entschied, dass ihr ein solcher Anspruch nicht zusteht. Die Beklagten haben weder fahrlässig, noch vorsätzlich gehandelt. Ebenso wenig ist es bewiesen, dass die Magen-Darm-Infektion, auf die hygienischen Zustände Vorort zurückzuführen sind. Des Weiteren war die Klägerin bereits 16 Jahre alt und damit selbst in der Lage nach ärztlicher Hilfe zu verlangen. Die Klage ist damit unbegründet.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert:

Klageantrag Ziffer 1: 30.000,00 EUR

Klageantrag Ziffer 2: 2.500,00 EUR

Insgesamt: 32.500,00 EUR

Tatbestand:

5. Mit ihrer vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung eines Schmerzensgeldes zuzüglich Zinsen sowie außerdem Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der Folge der Ereignisse der Jugendfreizeit vom 24.07. bis 08.08.2003 sei, soweit sie für die Klägerin gesundheitliche Folgen gehabt hätten.

6. Bei der am 24.10.1987 geborenen Klägerin handelt es sich um eine Schülerin, welche an einer von der Beklagten Ziffer 1 bzw. dessen rechtlich unselbständigem … Ferienwerk im vorerwähnten Zeitraum am Comer See veranstalteten Surf-Jugendfreizeit teilnahm. Die Beklagten Ziffer 2 bis 4 waren die für die streitgegenständliche Jugendfreizeit verantwortlichen Leiter.

7. Anfang August 2003 kam es bei einigen Teilnehmern der vorerwähnten Jugendfreizeit zu Magen-Darm-Problemen.

8. Die Klägerin behauptet, dass es sich hierbei um einen gastro-intestinalen Infekt – in Gestalt einer Campylobacter-Enteritis – gehandelt habe, welcher auf mangelhafte hygienische Vorsorge der Beklagten im Rahmen der streitgegenständlichen Jugendfreizeit – vermutlich im Rahmen der Essenszubereitung – zurückzuführen sei. Die Symptome dieses Infekts hätten sich in der Nacht vom 04.08. auf den 05.08.2003 auch bei der Klägerin gezeigt. Diese habe ab dem Morgen des 05.08.2003 unter schweren rezidivierenden wässrigen Diarrhöen, Erbrechen und Schwindelzuständen gelitten, was sie den Beklagten Ziffer 2 bis 4 auch mitgeteilt habe. Diese hätten trotz Temperaturen von 40 Grad Celsius angeordnet, dass insoweit „starkes Schwitzen“ helfen würde und hätten die Klägerin mit vielen Decken in ihrem Bett abgedeckt, ohne für die notwendige Essens- und Flüssigkeitszufuhr sowie für einen Elektrolyt-Ausgleich der Klägerin zu sorgen. In diesem Zusammenhang hätten die Beklagten Ziffer 2 bis 4 außerdem grob fahrlässig gehandelt, indem sie entgegen der ausdrücklichen Anweisung der Mutter der Klägerin, keinen Arzt verständigt hätten. Im „Ausweis für Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ der Klägerin sei unter „Besonders beachten!“ ausdrücklich seitens der Mutter der Klägerin folgendes vermerkt worden (Anlage K 2):

9. „Bei Durchfall u. Magenerkrankung kollabiert schnell !!! z. b. Magen-Darm Grippe, bitte einen Arzt verständigen! Medikamente liegen bei.“

10. In der Nacht vom 05.08. auf den 06.08.2003 habe die Klägerin dann kollabiert, als sie versucht habe, die Toilette aufzusuchen. Hierbei sei sie gestürzt, wobei sie sich ein ausgeprägtes Monokelhämatom links und eine ausgeprägte infraorbitale Schwellung links – die deutlich sichtbar gewesen sei – zugezogen habe. Nach diesem Sturz habe die Klägerin die Augenlider des linken Auges nur mühsam und geringfügig öffnen können, habe mit dem linken Auge nur noch verschwommen sehen können und habe Doppelbilder gesehen. Trotzdem sei die Klägerin auch weiterhin in keiner Weise medizinisch versorgt und insbesondere auch keinem Arzt vorgestellt worden.

11. Bei Vorliegen einer derartigen starken infraorbitalen Schwellung hätten eine möglichst unmittelbare posttraumatische operative Versorgung der Orbitabodenfraktur sowie abschwellende Maßnahmen erfolgen müssen, da jede Verzögerung die Gefahr von irreparablen Schäden im Augenbereich erhöhe. Wäre im vorliegenden Falle unmittelbar nach dem Trauma eine adäquate medizinische Versorgung erfolgt, so wären der Klägerin folgende immer noch anhaltende und möglicherweise dauerhafte Beeinträchtigungen erspart geblieben: u. a. Akkomodationsstörungen, Lähmung der äußeren Augenmuskulatur links mit der Folge, dass das Gesichtsfeld nach oben sehr stark eingeschränkt sei und es beim Blick nach oben stets zu Doppelsehen komme, Schiefhals, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sowie posttraumatische Belastungsstörungen.

12. Die Klägerin sei bei Reiseantritt vollständig gesund gewesen. Zwar habe sie im Kindesalter einige Male zu Kreislaufproblemen geneigt – dies jedoch jeweils nur bei Vorliegen einer Enteritis. Hierbei sei jedoch nie zu Synkopen gekommen. Lediglich zwei Jahre vor dem streitgegenständlichen Vorfall sei es bei der Klägerin – ebenfalls im Rahmen einer schweren Enteritis – zu einer Synkope gekommen.

13. Zwar habe die Mutter der Klägerin seinerzeit den der Anmeldung beizufügenden „Fragebogen zu gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen“ (Anlage B 3) nicht ausgefüllt. Die Mutter der Klägerin und die Klägerin selbst hätten sich jedoch an den dort aufgezeigten Krankheitsbildern orientieren dürfen. Derartige gesundheitliche Beeinträchtigungen (Herzfehler, Diabetes, Allergien) hätten bei der Klägerin nicht vorgelegen. Auch aus der Tatsache, dass es Raum für weitere Eintragungen gebe, habe für die Klägerin und ihre Mutter keine Veranlassung bestanden, hier alle gesundheitlichen Probleme, die möglicherweise irgendwann ein Mal aufgetreten seien, aufzuzeigen.

14. Bei den Beklagten Ziffer 2 bis 4 handele es sich in jedem Fall um Erfüllungshilfen der Beklagten Ziffer 1, deren diese sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben – welche sie gegenüber den minderjährigen Teilnehmern der Reise übernommen habe – bedient habe. Im Übrigen hafteten die Beklagten Ziffer 2 bis 4 aus eigenem Verschulden bzw. eigener Fahrlässigkeit, da sie es übernommen hätten, die minderjährigen Teilnehmer der Reise zu betreuen.

15. Die Klägerin beantragt zuletzt,

 die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld für die Folgen der Ereignisse während der Jugendfreizeit vom 24.07. bis 08.08.2003, soweit sie für die Klägerin gesundheitliche Folgen hatten, zu zahlen, dessen Höhe ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2003, bezogen auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz;

festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der Folge der Ereignisse der Jugendfreizeit vom 24.07. bis 08.08.2003 sei, soweit sie für die Klägerin gesundheitliche Folgen gehabt hätten, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien.

16. Die Beklagten beantragen,

Klagabweisung.

17. Hervorzuheben sei, dass seitens der Klägerin bzw. ihrer Mutter – unstreitig – im Rahmen der Reiseanmeldung im Anmeldeformular (Anlage B 2) keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin mitgeteilt worden seien.

18. Bei dem „Ausweis für Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ (Anlage K 2) handele es sich nicht um eine Beifügung zur Reiseanmeldung oder irgendein Dokument, das im Rahmen des Vertragsabschlusses vorgelegt oder in Bezug genommen worden wäre. Vielmehr werde dieser „Ausweis“ dem Teilnehmer – so auch der Klägerin – erst mit einem Informationsbrief vor Reiseantritt übermittelt, wobei dieser „Ausweis“ vom Teilnehmer bei der Reise mitgeführt werde. Außerdem sei ausdrücklich zu bestreiten, dass der „Ausweis für Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ – welchen die Klägerin unstreitig nach Ende der Jugendfreizeit zurückerhalten habe – bei dessen Übergabe durch die Klägerin im Rahmen des Antritts der Freizeit die weitere Eintragung „z. b. Magen-Darm Grippe, bitte einen Arzt verständigen! Medikamente liegen bei“ enthalten habe.

19. Bei den Beklagten Ziffer 2 bis 4 handele es sich – unstreitig – um ehrenamtlich tätige Betreuer, welche lediglich eine Aufwandsentschädigung erhielten. Sie seien – unstreitig – nicht beruflich als Reiseleiter tätig und bei der Beklagten Ziffer 1 bzw. deren Ferienwerk nicht angestellt. Sie seien mithin vom Ferienwerk der Beklagten Ziffer 1 bzw. dieser selbst nicht sozial abhängig. Bei den Beklagten Ziffer 2 bis 4 handele es sich damit nicht um Verrichtungsgehilfen der Beklagten Ziffer 1 im Sinne von § 831 BGB.

20. Ein eigenes Verschulden der Beklagten Ziffer 1 bzw. ihres Ferienwerks sei weder schlüssig dargetan noch gegeben. Ebensowenig sei eine Verantwortlichkeit und Haftung der Beklagten Ziffer 2 bis 4 gegeben. Insbesondere sei auch der Arzt Dr. A S hinzugezogen worden, welcher die Klägerin untersucht und entsprechende Anordnungen getroffen habe, die von den Beklagten Ziffer 2 bis 4 umgesetzt worden seien. Insbesondere habe dieser Arzt die Klägerin am 07.08.2003 für reisefähig erklärt (vgl. Anlage K 13).

21. Abgesehen davon werde bezüglich vertraglicher Ansprüche ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhoben. Der Feststellungsantrag Ziffer 2 sei gleichfalls bereits aus Rechtsgründen abzuweisen, da substantiierter Vortrag dazu fehle, welche immateriellen oder materiellen Schäden seitens der Klägerin konkret zu erwarten seien.

22. Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 17.03.2005 (Blatt 72 bis 87 der Akten) verwiesen.

23. Das Gericht hat die Akten der Staatsanwaltschaft R … Js … zu Informationszwecken beigezogen.

Entscheidungsgründe:

24. Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

25. Der Klägerin steht der gegen die Beklagten als Gesamtschuldner geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch für die Folgen der Ereignisse während der Jugendfreizeit vom 24.07. bis 08.08.2003 nicht zu – insbesondere nicht gemäß §§ 823 Abs. 1, 89, 31 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB, §§ 823 Abs. 2, 89, 31 BGB, 229 StGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB, §§ 831 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 253 Abs. 3 BGB, §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1, Abs. 2, 278 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB oder § 651 f Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB (Beklagte Ziffer 1) wie auch nicht aus §§ 823 Abs. 1 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB (Beklagte Ziffer 2 bis 4).

26. Zum einen sind hinsichtlich der Beklagten Ziffer 1 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 89, 31 BGB bzw. des §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB i. V. m. §§ 89, 31BGB bereits nicht gegeben, da vorliegend weder seitens der Klägerin vorgetragen noch ersichtlich ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten Ziffer 1 vorsätzlich oder fahrlässig den Körper oder die Gesundheit der Klägerin widerrechtlich verletzt hätte.

27. Denn verfassungsmäßig berufener Vertreter ist derjenige, welcher durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person bzw. Körperschaft zur selbständigen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person bzw. Körperschaft insoweit repräsentiert (vgl. nur Heinrichs in: Palandt, BGB, 64. Aufl., § 89 Rn. 4 m. w. N.).

28. Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB ,89, 31 BGB bzw. aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB , 89, 31BGB scheiden daher in Ansehung der Beklagten Ziffer 1 als Grundlage für einen Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB aus.

29. Auch sind Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte Ziffer 1 gemäß §§ 831 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB nicht gegeben.

30. Nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB ist derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.

31. Zu einer Verrichtung bestellt ist, wem von einem anderen, in dessen Einflussbereich er sich allgemein oder im konkreten Fall befindet und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden ist; wobei der Bestellte bei Ausführung der Verrichtung vom Willen des Bestellenden abhängig sein muss (vgl. nur Sprau in: Palandt, a. a. O., § 831 Rn. 6 m. w. N.).

32. Hinsichtlich der Beklagten Ziffer 2 bis 4 sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, da diese unstreitig nicht hauptberuflich – sondern nur ehrenamtlich – als Reiseleiter tätig sind und insbesondere auch bei der Beklagten Ziffer 1 bzw. deren Ferienwerk nicht angestellt sind. Vor diesem Hintergrund sind sie von der Beklagten Ziffer 1 bzw. von deren Ferienwerk nicht sozial abhängig und weisungsgebunden.

33. Auch eine Haftung der Beklagten Ziffer 1 gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 1, Abs. 3, 278 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB ist nicht gegeben, selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellte, dass es sich bei den Beklagten Ziffer 2 bis 4 um Erfüllungsgehilfen der Beklagten Ziffer 1 im Sinne von § 278 Abs. 1 Satz 1 BGB handelte.

34. Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Schuldner ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, im gleichen Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden.

35. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten Ziffer 2 bis 4 eine Pflicht der Beklagten Ziffer 1 aus dem mit der Klägerin bestehenden Schuldverhältnis verletzt hätten, aufgrund derer der Klägerin adäquat kausal ein Schaden entstanden wäre.

36. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellte, dass im vorliegenden Fall Ansprüche der Klägerin gemäß §§ 280, 281, 278 BGB trotz Bestehens eines Reisevertrages im Sinne von § 651 a BGB grundsätzlich nicht ausgeschlossen seien (vgl. Sprau in: Palandt, a. a. O., Vorbemerkungen vor §§ 651 c bis 651 g, Rn. 9 f.), wäre vorliegend gleichwohl eine anspruchsbegründende Pflichtverletzung der Beklagten Ziffer 2 bis 4 nicht gegeben.

37. Was zunächst die Behauptung der Klägerin betrifft, dass die Magen-Darm-Erkrankung der Klägerin auf mangelhafte hygienische Vorsorge der Beklagten im Rahmen der streitgegenständlichen Jugendfreizeit zurückzuführen sei – „vermutlich im Rahmen der Essenszubereitung“ – so vermochte die Klägerin diese Behauptung nicht näher zu substantiieren. Insbesondere sagte die Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung im Termin vom 17.03.2005 gar aus, dass das Essen „ganz okay und immer lecker“ gewesen sei.

38. Dass in dem – den Beklagten Ziff. 2 bis 4 erst bei Reiseantritt übergebenen – „Ausweis für Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ der Klägerin unter „Besonders beachten!“ außer dem Passus „bei Durchfall und Magenerkrankung kollabiert schnell !!!“ zusätzlich noch handschriftlich seitens der Mutter der Klägerin der Passus „z. b. Magen-Darm Grippe, bitte einen Arzt verständigen! Medikamente liegen bei“ vermerkt gewesen wäre und dieser Passus seitens der Beklagten missachtet worden wäre, haben die Beklagten bestritten. Die Klägerin, welche den vorerwähnten „Ausweis für Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ nach der streitgegenständlichen Jugendfreizeit wieder zurückerhalten hat und nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen dafür beweispflichtig ist, dass der Passus bereits zu Beginn der Jugendfreizeit in jenem „Ausweis“ vermerkt gewesen war, hat insoweit keinen Beweis angetreten.

39. Abgesehen davon ist jedoch in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Mutter der Klägerin in der Anmeldung vom 10.01.2003 das Feld „Gesundheitliche Einschränkung“ sowie den der Anmeldung beizufügenden „Fragebogen zu gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen“ nicht ausgefüllt hat. Zwar sind in diesem letztgenannten Fragebogen spezielle Krankheitsbilder (Herzfehler, Diabetes, Allergien) aufgeführt, es ist jedoch neben einem leeren Kästchen genügend Raum vorhanden, um andere gesundheitliche Einschränkungen dort ebenfalls aufzuführen. In diesem Zusammenhang kann der Klägerin nicht gefolgt werden, wenn sie ausführt, dass aufgrund der Tatsache, dass es Raum für weitere Eintragungen gebe, für die Klägerin und ihre Mutter keine Veranlassung bestanden habe, hier alle gesundheitlichen Probleme, die möglicherweise irgendwann ein Mal aufgetreten seien, aufzuzeigen. Insbesondere hat sich die Klägerin bzw. deren Mutter durch den Passus „Besonders beachten!“ im Teilnehmerausweis veranlasst gefühlt, dort zumindest „Bei Durchfall und Magenerkrankung kollabiert schnell !!!“ einzutragen, obwohl dort gleichermaßen anderslautende gesundheitliche Beeinträchtigungen („z. B. Spange tragen, Bettnässer, Herzfehler, Medikamente einnehmen, Hitzeempfindlichkeit, Verhalten usw.“) aufgeführt sind.

40. Vor diesem Hintergrund hatten die Beklagten insbesondere auch keinen Anlass, bereits vor Antritt der Reise durch die Klägerin besondere Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen.

41. Auch der weitere Vorwurf der Klägerin, dass es zum Sturz der Klägerin in der Nacht vom 05. auf den 06.08.2003 nicht gekommen wäre, wenn ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ein ausreichender Elektrolytausgleich erfolgt wären, ist nach der eigenen Einlassung der Klägerin im Termin vom 17.03.2005 nicht begründet. Die Klägerin hat selbst ausgeführt, dass sie zu der Zeit so schwach gewesen sei, dass sie von sich aus gar nichts habe essen oder trinken wollen; sie habe nur dagelegen „und mehr nicht“.

42. Dass die Klägerin in Decken gehüllt geworden sei, erklärte der Beklagte Ziffer 4 bei seiner informatorischen Anhörung im Termin vom 17.03.2005 – klägerseits unwidersprochen – schlüssig damit, dass das Zudecken deshalb erfolgte, da die Klägerin immer so spärlich bekleidet gewesen sei und weil es nachts kühler gewesen sei – wobei man hinsichtlich der Decken sagen müsse: „Wie eine Decke in Südeuropa eben aussieht: Das ist so ein Tuch“. Es habe sich mithin um keine dicken Daunendecken gehandelt.

43. Eine Pflichtverletzung der Beklagten ist insoweit ebenfalls nicht zu erkennen.

44. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellte, dass ihr immer noch anhaltende und möglicherweise dauerhafte Beeinträchtigungen erspart geblieben wären, wenn unmittelbar nach dem Trauma eine adäquate medizinische Versorgung erfolgt wäre, so kann den Beklagten Ziffer 2 bis 4 und mithin der Beklagten Ziffer 1 hieraus kein Pflichtverletzungsvorwurf gemacht werden, da es im Hinblick auf die erforderliche Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB – für Vorsatz ist nichts klägerseits vorgetragen oder sonstwie ersichtlich – an der hierfür notwendigen Vorhersehbarkeit durch die Beklagten fehlte.

45. Gemäß § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. In diesem Zusammenhang ist Voraussetzung der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit der entsprechenden Gefahr, welche sich allerdings nur auf den Haftungstatbestand, jedoch nicht auf die weitere Schadensentwicklung bezieht (vgl. nur Heinrichs in: Palandt, a. a. o. § 276 Rn. 20). Das heißt, es genügt die allgemeine Vorhersehbarkeit eines schädigenden Erfolges, der konkreten Ablauf braucht in seinen Einzelheiten nicht vorhersehbar gewesen zu sein – wobei die Frage der Bejahung der Vorhersehbarkeit von den Umständen des Einzelfalles abhängt (Heinrichs, a. a. O. m. w. N.). In diesem Zusammenhang können Vorkehrungen für alle abstrakt denkbaren Schadensrisiken in der Regel nicht verlangt werden; es muss vielmehr die nicht ganz fern liegende Möglichkeit einer Schädigung bestehen (Heinrichs, a. a. O. m. w. N.).

46. Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung im Termin vom 17.03.2005 dahin eingelassen, dass sie sich bei dem Sturz an das Jochbein gestoßen habe; es sei ganz angeschwollen gewesen. Sie habe das gesamte Auge nicht „aufgekriegt“. Als sie nach dem Sturz in den Spiegel geschaut habe, sei um das Auge herum alles so blau gewesen.

47. Die Beklagte Ziffer 3 ließ sich im Termin vom 17.03.2005 informatorisch dahingehend ein, dass sie sich zwar an die Bläue um das Auge der Klägerin erinnern könne; dies sei für sie jedoch nicht außergewöhnlich gewesen, weil ihr das selbst so auch schon ein Mal passiert sei. Der Beklagte Ziffer 2 ergänzte in diesem Zusammenhang, dass das Auge „schon angeschwollen“ gewesen sei.

48. Vor diesem Hintergrund ist jedoch zur Überzeugung des Gerichts nicht ersichtlich, dass die Beklagten Ziffer 2 bis 4 unter Vorhersehbarkeitsgesichtspunkten veranlasst gewesen wären, sofort ärztliche Hilfe zu Gunsten der Klägerin herbei zu holen. Abgesehen davon ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Klägerin – selbst wenn sie krankheitshalber geschwächt gewesen wäre – selbst hätte darauf drängen können, dass ärztliche Hilfe unverzüglich herbei geholt werde oder zumindest ihre Mutter umgehend verständigt werde; insbesondere war sie zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls immerhin bereits 16 Jahre alt. Auch ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend nicht um eine Freizeit für kranke Kinder handelte, welche eine besonders intensive Betreuung durch die Reiseleitung veranlasst hätte.

49. Nach alledem ist eine Pflichtverletzung der Beklagten Ziffer 2 bis 4 – und damit letztendlich auch eine Pflichtverletzung der Beklagten Ziff. 1 – nicht gegeben, wobei das Gericht – dies sei außerhalb der rechtlichen Würdigung des Falles angemerkt – nicht verkennt, dass es sich vorliegend um einen zu Lasten der Klägerin sehr tragischen Fall handelt.

50. Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß §§ 651 f Abs. 1 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB sind bereits deswegen nicht gegeben, da die Beklagte Ziff. 1 nach alledem keinen Reisemangel zu vertreten hat.

51. Vor diesem Hintergrund sind mangels Fahrlässigkeitsvorwurfs auch gegenüber den Beklagten Ziffer 2 bis 4 keine Schmerzensgeldansprüche – insbesondere auch nicht gemäß §§ 823 Abs. 1 i. V. m. 253 Abs. 2 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB i. V. m. 253 Abs. 2 BGB – gegeben.

52. Mithin ist der Klagantrag Ziffer 1 sowohl hinsichtlich der gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gerichteten Hauptforderung als auch hinsichtlich der hierzu akzessorischen Verzugszinsforderung unbegründet, weswegen die Klage insoweit abzuweisen war.

53. Auch die begehrte Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der Folge der Ereignisse der Jugendfreizeit vom 24.07. bis 08.08.2003 sei, soweit sie für die Klägerin gesundheitliche Folgen gehabt hätten, war vorliegend – aufgrund fehlenden Verschuldens – mangels (insbesondere nach den oben erwähnten Vorschriften – hinsichtlich des immateriellen Schadens: i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB) dem Grunde nach gegebenen Schadenersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruchs der Klägerin nicht auszusprechen, weswegen die Klage auch hinsichtlich des Klagantrags Ziffer 2 abzuweisen war.

54. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

55. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 Satz 2 i. V. m. Satz 1 ZPO.

56. Die Streitwertfestsetzung erfolgte auf der Grundlage des klägerseits entsprechend bezifferten Interesses (vgl. § 3 ZPO).

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