Insekten im Pitot-Rohr; außergewöhnlicher Umstand

AG Rüsselsheim: Insekten im Pitot-Rohr; außergewöhnlicher Umstand

Die Parteien streiten um Ansprüche auf Ausgleichszahlungen i. S. d. Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004. Die Kläger hatten beim beklagten  Luftfahrtunternehmen einen Flug gebucht, der wegen eines Insekts im sog. Pilot-Rohr erst mit einer Verspätung von rund 7,5 Stunden durchgeführt werden konnte. Die Kläger sehen darin einen technischen Defekt für den die Beklagte zu haften habe. Diese beruft sich jedoch auf einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand.

Das Amtsgericht Rüsselsheim weist die Klage ab. Entgegen der Ansicht der Kläger liege ein außergewöhnlicher Umstand gem. Art. 5. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vor. Ein Insekt in einem Pitot-Rohr sei ein derart seltenes Phänomen, dass das beklagte Luftfahrtunternehmen die daraus resultierende Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden können, wenn es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte.

AG Rüsselsheim 3 C 2159/12 (36) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 24.07.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 24.07.2013, Az: 3 C 2159/12 (36)
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Hessen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 24. Juli 2013

Aktenzeichen: 3 C 2159/12 (36)

Leitsätze:

2. Insekten im Pitot-Rohr begründen einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004.

Bei der Beurteilung, ob es sich um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, müssen eher die Ursachen, als auf die Folge betrachtet werden.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, einen Flug von Antalya nach Düsseldorf. Dieser Flug wurde von der Beklagten mit einer Verspätung von rund 7,5 Stunden durchgeführt. Grund dafür war, dass sich im Pitot-Rohr der Maschine, welches für die Flugsicherheit unverzichtbar ist, ein Insekt befunden hatte. Die Maschine konnte deshalb nicht starten.

Die Kläger begehren nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004, wegen eines technischen Defekts des Flugzeugs. Die Beklagte beruft sich jedoch auf einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand.

Das Amtsgericht Rüsselsheim weist die Klage ab und spricht der Beklagten Recht zu. Der Grund der zur Verspätung des streitgegenständlichen Fluges geführt habe, sei als außergewöhnlicher Umstand gem. Art. 5. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu bewerten. Das beklagte Luftfahrtunternehmen konnte nachweisen, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehtund sich diese auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Bei der Beurteilung eines außergewöhnlichen Umstands müsse mehr auf dessen Ursache und nicht auf die Folge abgestellt werden. Ein Insekt im Pitot-Rohr sei dementsprechend äußerst selten und ein außergewöhnlicher Umstand liege deshalb vor.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung.

6. Die Kläger buchten für den 08.04.2012, 19:50 Uhr, einen Flug von Antalya nach Düsseldorf (Flug DE …), den die Beklagte durchführen sollte. Obwohl sich die Kläger rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatten, startete der Flug tatsächlich erst am Folgetag um 3:05 Uhr und traf am Zielflughafen mit einer Verspätung von 7 h 25 min. ein. Die Flugentfernung betrug zwischen 1.500 und 3.500 km.

7. Die Beklagte wurde durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom 16.04.2012 unter Fristsetzung zum 27.04.2012 zur Ausgleichsleistung aufgefordert, woraufhin jedoch keine Zahlungen erfolgten.

8. Die Kläger beantragen,

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1), 2) 3), 4) jeweils einen Betrag in Höhe von 400,00 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2012 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte rügt, dass die Klägerseite weder eine bestätigte Buchung noch einen Flugschein vorgelegt habe. Im Übrigen erklärt die Beklagte die Anrechnung etwaiger Minderungszahlungen des Reiseveranstalters.

13. Schließlich beruft sie sich auf das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO. Grund für die Verspätung des streitgegenständlichen Fluges sei die durch eine Biene in einem Staurohr der streitgegenständlichen Maschine hervorgerufene Fehlermeldung des Elevator Feel Computers gewesen. Vor dem Start des Vorumlaufs des streitgegenständlichen Fluges am 08.04.2012 (DE …/DE …, Düsseldorf- Antalya- Frankfurt) sei diese Fehlermeldung erstmals aufgetreten. Ursache der Meldung sei eine Biene gewesen, die in das so genannte Pitot-Rohr (Staurohr), welches für die Geschwindigkeitsmessung verwendet werde, geflogen war. Die Maschine habe zuerst repariert werden müssen. Daraufhin habe die Beklagte den Flugumlauf der Kläger auf eine andere Maschine (D- ABOL) umdisponiert, die aus Fuerteventura gekommen sei. Die Ankunft habe sich jedoch ebenfalls verzögert, da diese Maschine zuvor aufgrund technischer Schwierigkeiten den Flug einer dritten Maschine (D-ABOH) darstellen musste. Dort habe sodann die Crew aufgrund einer Überschreitung der zulässigen Dienstzeit zunächst ihre Mindestruhezeit einhalten müssen. Schließlich habe man den Abflug des Vorfluges des streitgegenständlichen in Frankfurt weiter verzögern müssen, um eine Landung in Düsseldorf außerhalb des dort geltenden Nachtflugverbots zu ermöglichen.

14. Die Klägerseite ist demgegenüber der Auffassung, dass Ursache für die Verspätung hinsichtlich der ursprünglich geplanten Maschine ein technisches Problem in Gestalt der Warnmeldung gewesen sei, für die die Beklagte grundsätzlich einzustehen habe. Die Verspätung der Maschine, die die Kläger schließlich befördert hätte, sei auf eine reine Organisationsentscheidung der Beklagten zurückzuführen, was diese ebenfalls nicht entlasten könne.

15. Das Gericht hat durch Beschluss vom 03.04.2013 Beweis erhoben durch Vernehmung des …. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2013 (Bl. 37 – 39 d. A.) Bezug genommen.

16. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

17. Die zulässige Klage ist unbegründet.

18. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ausgleichsleistungen nicht zu.

19. Zwar können grundsätzlich Passagiere Ausgleichsleistungen nach der VO auch dann beanspruchen, wenn ihr Flug zwar nicht annulliert, aber mit einer großen Verspätung dargestellt wird. Nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 sowie vom 26.02.2013 sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahingehend auszulegen, dass die Passagiere verspäteter Flüge hinsichtlich der Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Passagieren annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (EuGH, Entscheidung vom 19.11.2009, Az. C-402/07 und C-432/07 sowie vom 26.02.2013, Az. C-11/11; vgl. auch BGH, Entscheidung vom 18.02.2010, Az. Xa ZR 95/06). Eine derartige Verspätung war vorliegend unstreitig gegeben.

20. Der Ausgleichsanspruch ist jedoch entsprechend Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen, da die Verspätung auf außergewöhnlichen Umständen im Sinne dieser Vorschrift beruht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs soll ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die insofern maßgeblichen Umstände müssen ungewöhnlich sein, außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegen und dürfen nicht von ihm zu beherrschen sein (BGH X ZR 146/11, Rdn. 20).

21. Der streitgegenständliche Flug konnte nicht pünktlich starten, weil am Abflugtag eine Biene in das Staurohr der für den Flug der Kläger vorgesehenen Maschine geraten ist, was zu einer „Verstopfung“ des Rohrs und schließlich zu einer Fehlermeldung des Elevator Feel Computers geführt hat.

22. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Aussage des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen Marienberg. Dieser hat bekundet, dass auf dem Flug nach Düsseldorf eine Fehlermeldung des Elevator Feel Computer aufgetreten sei. Bereits zuvor habe die Technik anhand des Handbuchs versucht, die Fehlerquelle zu eruieren. Obwohl die Fehlercodes ausgelesen wurden, habe man diese aber nicht feststellen können. Sodann habe ein Techniker die hintere Leitung des Staurohrs losgemacht und diese mit Stickstoff durchgeblasen. Der am anderen Ende befindliche Techniker habe sodann die im Rohr befindliche Biene mittels einer vor die Öffnung des Rohres gehaltenen Tüte aufgefangen. Die Biene sei eindeutig als solche zu erkennen gewesen. Sie habe dazu geführt, dass das eine Staurohr teilweise verstopft gewesen sei, so dass dieses Rohr eine andere Geschwindigkeit gemessen habe, als das Staurohr auf der anderen Seite. Dies habe zur Folge gehabt, dass der mit den Staurohren verbundene Elevator Feel Computer, der für Erzeugung eines künstlichen Steuerungsgefühls beim Piloten sorge, um die Maschine vor Übersteuerung zu schützen, aus beiden Rohren unterschiedliche Geschwindigkeitsdaten übermittelt bekommen habe, was zu eine Fehlermeldung geführt habe. Mit einem defekten Elevator Feel Computer müsse man zwar nicht unmittelbar landen, dürfe aber auch nicht starten.

23. Den Angaben des Zeugen ist zu folgen, da diese detailreich und ohne innere Widersprüche waren und der Zeuge überzeugend dargetan hat, als Flugzeuginspektor sowohl die Sachkenntnis als auch die Erfahrung zu besitzen, Sachverhalte wie den vorliegenden adäquat zu beurteilen. Dass der Zeuge nicht persönlich vor Ort war, als die Biene im Staurohr gefunden wurde, ist unschädlich, da dieser zum einen nachvollziehbar und detailliert geschildert hat, auf welche Art das Eindringen der Biene durch Techniker vor Ort festgestellt wurde und er zudem die Geschehnisse unmittelbar übermittelt bekam.

24. Anhaltspunkte, die Anlass geböten, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, sieht das Gericht nicht. Allein der Umstand, dass dieser bei der Beklagten beschäftigt ist, reicht nicht aus, um seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Dies umso weniger vor dem Hintergrund seiner sachlichen und ausgewogenen Aussage, der kein Entlastungseifer zugunsten der Beklagten zu entnehmen war.

25. Das Eindringen eines Insekts in das Staurohr eines Fluggeräts mit negativen Folgen für ein technisch erhebliches Bordgerät stellt einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO dar. Das Ereignis ist dem so genannten „Vogelschlag“ vergleichbar und wirkt wie dieser „von außen“ und für das Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar auf den Luftfahrtbetrieb ein und stellt sich als solches aufgrund seiner Natur nicht als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens dar (vgl. bezüglich des Vogelschlages die ständige Rechtsprechung des AG Rüsselsheim, Az. 3 C 268/11 (36), 3 C 521/11 (33), 3 C 1861/11 (36)).

26. Entgegen der Auffassung der Kläger ist das Geschehen auch nicht als technischer Defekt zu beurteilen. Denn hinsichtlich des außergewöhnlichen Umstandes ist nicht auf die Fehlermeldung des Elevator Feel Computers, sondern vielmehr auf dessen Ursache abzustellen. Zwar äußerte sich das durch das Insekt verstopfte Staurohr letztlich in Form eines technischen Defekts und wurde erst im Rahmen der Fehlersuche im technischen Bereich entdeckt. Ausschlaggebend muss jedoch sein, ob auch die Ursache des Fehlers dem technischen Bereich zuzuordnen ist. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall. Die in das Pitot-Rohr geflogene Biene stellt vielmehrwie bereits ausgeführt- ein von außen kommendes Ereignis dar.

27. Unschädlich ist, dass der außergewöhnliche Umstand nicht unmittelbar auf dem streitgegenständlichen, sondern auf einem Vorumlaufflug eingetreten ist. Die Verordnung selbst enthält keine ausdrückliche Regelung bezüglich Vor(umlauf)flügen. In Erwägungsgrund 15 der VO jedoch heißt es: „Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehr Managements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen aller zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätung oder Annullierung zu verhindern.“ Hieraus folgt, dass die Berücksichtigung eines außergewöhnlichen Umstandes auch für bereits disponierte Folgeflüge der ursprünglich tangierten Maschine gerade nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. Vielmehr können nach dieser Wertung auch Vorkommnisse auf einem dem jeweils streitgegenständlichen vorausgehenden Flug desselben Fluggeräts für eine Exkulpation im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO beachtlich sein. Wie lange die (Umlauf)-Kette zwischen dem Flug, auf dem sich der außergewöhnliche Umstand ereignet hat und einem weiteren sein darf, um davon ausgehen zu können, dass dessen Verspätung oder Annullierung auf dem ursprünglichen außergewöhnlichen Umstand beruht, kann vorliegend offen bleiben, da es sich hier um den am selben Tag durchzuführenden direkten Vorumlaufflug handelt, hinsichtlich dessen ein Kausalzusammenhang nach hiesiger Auffassung in jedem Fall zu bejahen ist.

28. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.10.2012 (Az. c-22/11). Zwar heißt es hier: „Ferner geht aus dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung 261/2004 hervor, dass sich die „außergewöhnlichen Umstände“ nur auf „ein einzelnes Flugzeug an einem bestimmten Tag“ beziehen dürfen, was ausgeschlossen ist, wenn einem Fluggast die Beförderung verweigert wird, weil Flüge infolge derartiger Umstände, die einen vorhergehenden Flug betrafen, umorganisiert werden“ (EuGH a. a. O. Rdn. 37). Die Inhalte der Entscheidung sind jedoch auf den hiesigen Fall nicht anwendbar. Der der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt behandelte den Fall der Nichtbeförderung, nicht den der Annullierung beziehungsweise der großen Verspätung. Bei Nichtbeförderung ist die Exkulpationsmöglichkeit des Flugunternehmens über Art. 5 Abs. 3 VO vom Verordnungsgeber ersichtlich nicht vorgesehen, da der die Nichtbeförderung regelnde Art. 4 VO gerade nicht auf Art. 5 Abs. 3 VO verweist.

29. Das Einfliegen der Biene in das Staurohr hätte auch nicht mit der Beklagten zumutbaren Maßnahmen verhindert werden können. Nach Aussage des Zeugen Marienberg verfügt die Maschine selbst über keine speziellen Schließmechanismen hinsichtlich der Staurohre. Allerdings müssten die Rohre dem Zeugen zufolge auch geöffnet sein, da durch sie der Luftstrom zum Elevator Feel Computer geleitet wird. Durchlässige Verschlüsse wie beispielsweise Gitter dürften die Rohre gerade nicht bedecken, da sich an ihnen Luftfeuchtigkeit absetzen würde, die in großer Höhe gefrieren könnte, so dass das Rohr vollständig verschlossen wäre. Einem Luftfahrtunternehmen kann nicht zugemutet werden, die sich in ca. 3 m über Bodenhöhe befindlichen Rohre kontinuierlich abzudecken, sobald die Maschine nach einer Landung zum Stehen gekommen ist, unabhängig davon, wie lange sie hernach stehen bleibt. Zwar entspricht es nach der Aussage des Zeugen Marienberg der gängigen Praxis, die Rohre abzudecken, wenn eine Maschine für längere Zeit steht, um das Eindringen von Fremdkörpern, beziehungsweise Schnee und Eis zu verhindern. Dies kann jedoch nicht für jeden Bodenkontakt einer Maschine verlangt werden, insbesondere, wenn sie sich- wie vorliegend- in der Darstellung eines geplanten Mittelstreckenflugumlaufs befindet und demgemäß nur während der jeweils vorgesehenen Bodenzeit von selten mehr als anderthalb Stunden am Boden ist. Eine derartige Verpflichtung wäre angesichts der Seltenheit des Eindringens von Fremdkörpern in die Staurohre unverhältnismäßig. Denn nach der überzeugenden Aussage des Zeugen könnten aufgrund der Höhe der Rohre überhaupt nur bei massiven Winden Fremdkörper wie Blätter o. ä. von der Bahn in die Rohre der stehenden Maschine gelangen. Eindringendes und sich sammelndes Wasser könne zudem über permanent angebrachte Wassersäckchen ablaufen. Probleme dieser Art hat die Beklagte bislang nach Angaben des Zeugen nicht gehabt. Schließlich ist auch nicht zwingend davon auszugehen, dass durch eine Abdeckung das Eindringen der Biene tatsächlich verhindert worden wäre, da Fremdkörper auch während des Rollvorgangs der Maschine in die Rohre gelangen können.

30. Andere zumutbare Maßnahmen, die das Eindringen der Biene verhindert hätten, sind nicht ersichtlich.

31. Offenbleiben konnte, ob die Beklagte ausreichende zumutbare Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu vermeiden. Denn nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 VO sind nur solche Maßnahmen zu ergreifen, die der Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände, nicht aber deren Folgen dienen. Dies folgt auch aus der englischen Sprachfassung, wo sich die zumutbaren Maßnahmen grammatikalisch eindeutig auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen („(…) if it can prove that the cancellation is caused by extraordinary circumstances which could not have beenavoided even if all reasonable measures had been taken“). Deutlich wird dieses Verständnis auch in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Az. C-402/07), wo ausgeführt wird, das Luftfahrtunternehmen könne sich von der Ausgleichszahlung „entpflichten“, wenn es nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückginge, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen nicht zu beherrschen sind“ (EuGH a. a. O., Rdn. 67).

32. Eine andere Wertung folgt auch nicht aus Erwägungsgrund 15. Zwar ist nach dem dortigen Wortlaut Bezugspunkt für die zumutbaren Maßnahmen die Verspätung beziehungsweise Annullierung eines Fluges („(…) obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätung oder Annullierung zu verhindern“). Diese Wertung steht jedoch im Widerspruch sowohl zu dem ausdrücklichen Verordnungstext, als auch zu der des systematisch direkt vorausgehenden Erwägungsgrunds 14, der ebenfalls die Exkulpationsmöglichkeit im Falle außergewöhnlicher Umstände zum Inhalt hat. Hier heißt es, dass die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen in Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein soll, „in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“, die Bezugspunkte der Maßnahmen also wiederum die außergewöhnlichen Umstände sein sollen. Angesichts des durch Erwägungsgrund 14 gestützten eindeutigen Wortlauts der Verordnung ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts eine diesem entsprechende Auslegung vorzunehmen.

33. Offenbleiben konnte zudem, ob der Flug der Kläger auf eine andere Maschine umdisponiert wurde und aufgrund welcher Umstände dieser Flug verspätet war. Denn die Beklagte wäre bereits nach dem Eintritt des außergewöhnlichen Umstandes berechtigt gewesen, den Flug ohne Auslösung von Ausgleichszahlungen zu annullieren. Ein Wiederaufleben der Haftung kommt nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht in Betracht (so auch Landgericht Darmstadt, Urteil vom 03.11.2010, Az. 7 S 58/10).

34. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

35. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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