IATA-Klausel

AG Erding: IATA-Klausel

Ein Fluggast nahm ein Luftfahrtunternehmen auf Schadensersatz in Anspruch, aufgrund einer Nichtbeförderung, nachdem der Fluggast nur den Rückflug wahrnehmen wollte.

Das Amtsgericht Erding sprach dem Fluggast den Schadensersatz zu und entschied, dass eine nur teilweie Nutzung des Flugscheins eine Beförderungsverweigerung nicht rechtfertigt.

AG Erding 4 C 129/07 (Aktenzeichen)
AG Erding: AG Erding, Urt. vom 27.03.2007
Rechtsweg: AG Erding, Urt. v. 27.03.2007, Az: 4 C 129/07
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Bayern-Gerichtsurteile

Amtsgericht Erding

1. Urteil vom 27.03.2007

Aktenzeichen: 4 C 129/07

Leitsatz:

2. Reisenden darf nicht der Rückflug aufgrund einer Klausel verweigert werden, nur weil sie den Abschnitt des Flugscheins über den Hinflug nicht benutzt haben.

Eine solche Vertragsklausel ist unwirskam.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte ein Fluggast einen Hin- und Rückflug von München nach Florenz bei einem Luftfahrtunternehmen. Nachdem der Fluggast den geplanten Hinflug nicht wahrgenommen hat, verweigerte die Luftfahrtgesellschaft den Rückflug.

Das Amtsgericht Erding entschied, dass ein Luftfahrtunternehmen einem Reisenden den Rückflug nicht deshalb verweigern darf, weil er den Abschnitt des Flugscheins über den Hinflug nicht benutzt hat. Eine Vertragsklausel, nach der der Beförderungsanspruch entfällt, wenn die Beförderung teilweise oder nicht in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge in Anspruch genommen wird, stellt eine unangemessene Benachteiligung des Reisenden und eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts dar und ist deshalb unwirksam.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 532,09 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 15.2.2007 zu bezahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5.  Das Urteil bedarf gem. § 313 a Abs. 1 ZPO keines Tatbestands, da ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann.

Entscheidungsgründe

6. Die zulässige Klage ist begründet.

7.  Zwischen den Parteien wurde ein Beförderungsvertrag über die Internetplattform www…..com im August 2006 über einen Hin- und Rückflug von München nach Florenz geschlossen. Es kam der sog. E-Combi-Tarif der Beklagten zur Anwendung, so dass für die gesamte Flugstrecke in der Economy Class 27,– Euro zzgl. Steuer und Gebühren, mithin 116,15 Euro zu zahlen waren.

8.  Die Beklagte hat dem Kläger pflichtwidrig den Rückflug am 24.11.06 um 15.10 h von Florenz nach München mit der Begründung verweigert, dass der Rückflug mangels Inanspruchnahme des Hinfluges am 31.10.06 keine Gültigkeit mehr habe.

9. Der Anspruch auf Beförderung war jedoch nicht erloschen und hat sich nach Wahl des Klägers in einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 631, 634 Ziff 4, 280, 281 BGB umgewandelt.

10.  Einer Fristsetzung bedurfte es gem. § 323 Abs. 2 Ziff. 1 nicht, da die Beklagte in Florenz beim Abflug durch ihre Mitarbeiter die Leistung ernsthaft und endgültig gegenüber dem Kläger verweigert hat. Der Kläger musste einen erneuten Beförderungsvertrag schließen, um dennoch mit dem gleichen Flug nach München zurückkehren zu können. Die hierfür aufgewendete Zahlung in Höhe von 532,09 Euro stellt einen Schaden dar.

11. Dem Schadensersatzanspruch des Klägers stehen die von der Beklagten zugrunde gelegten allgemeinen Beförderungsbedingungen nicht entgegen. Nach Art. 3.3.1 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) der Beklagten galt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses folgendes: „Die vereinbarte Beförderungsleistung erstreckt sich auf die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsstrecke, die im Flugschein eingetragen ist, beginnend mit dem Abflugort, über vereinbarte Zwischenlandung und Landeorte bis zum Zielort. Der Anspruch auf die Beförderung der im Flugschein eingetragenen Beförderungsstrecke entfällt, sofern sie die Beförderung teilweise oder nicht in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge in Anspruch nehmen. Da der Kalkulation des Flugpreises die tatsächlich in Anspruch genommene Beförderung zugrunde liegt, ist die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung wesentlicher Bestandteil des mit uns abgeschlossenen Beförderungsvertrages. Der Flugschein wird daher nicht akzeptiert und verliert seine Gültigkeit, wenn nicht alle in ihm enthaltenen Coupons vollständig und in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge in Anspruch genommen werden.“

12. Tatsächlich hatte der Kläger den Hinflug nicht in Anspruch genommen. Dies führt jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf Beförderung für die Teilstrecke Florenz-München am 24.11.2006 um 15.10 Uhr (…).

13.  1. Die ABB Beklagten sind wirksam in den Vertrag einbezogen worden.

14. Die Rechtsprechung lässt es grundsätzlich ausreichen, dass bei Bestellungen über das Internet der Text der AGB im Zeitpunkt der Bestellung durch den Kunden verfügbar war. Dies war unstreitig möglich.

15. Die streitgegenständliche Bestimmung 3.3.1 der ABB der Beklagten waren auch nicht so ungewöhnlich, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte (§ 305 c BGB). Die Abgrenzung zwischen überraschenden und inhaltlich unangemessenen Klauseln ist schwierig. Jedoch ist eine AGB-Klausel nach der übereinstimmenden Rechtsprechung nur dann überraschend, wenn zwischen ihrem Inhalt und den Wartungen des Kunden eine deutliche Diskrepanz besteht. Hierzu reicht nicht aus, dass die Klausel unüblich ist, ebensowenig genügt es, wenn sie für den Kunden unerwartet kommt. Vielmehr muss der Klausel ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt inne wohnen, er muss eine Regelung enthalten, auf die der Kunde nach Lage der Umstände vernünftigerweise nicht gefasst zu sein braucht (BGH Z 84, 109 ff). Das Gericht ist vorliegend nicht der Ansicht, dass die Klausel Art. 3.1.1. überraschend i. S. d. § 305 c BGB ist. Davon zu trennen ist die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung. Dies ist jedoch erst bei § 307 BGB zu prüfen. Die Klausel ist weder von einem ungewöhnlichem Zuschnitt, noch steht sie an ungewöhnlicher Stelle in den ABB. Die Rechtsfolge des § 306 Abs. 1 BGB, die die Unwirksamkeit der ABB zur Folge hat, ist damit nicht gegeben.

16. 2. Die ABB 3.3.1 verstößt jedoch sowohl gegen § 307 Abs. 1 als auch Abs. 2 BGB. Nach Abs. 1 sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

17. Die von der Beklagten vorgesehene Stornoberechtigungsklausel verschafft der Fluggesellschaft einen wirtschaftlichen Vorteil und bringt dem Passagier einen unzumutbaren Nachteil. Die Fluggesellschaft wird durch diese Stornierung in die Lage versetzt den Flugplatz ein weiteres Mal zu verkaufen, obwohl der Flugpassagier hierfür bereits bezahlt hat. Der Flugpassagier hat den unzumutbaren Nachteil hinzunehmen, dass er, obwohl er ein Ticket erworben hat, für die erworbene Flugstrecke erneut ein Ticket bezahlen muss. Die von der Beklagten hierzu vorgetragenen Gründe überzeugen nicht. Für das Ergebnis der AGB-rechtlichen Klauselkontrolle spielt es keine Rolle, welche allgemeinen wirtschaftlichen Folgen die Unwirksamkeit einer Klausel für den Verwender hat. Entscheidend ist lediglich, nach dem Schutzzweck der Norm, ob der Verbraucher durch die Klausel unangemessen benachteiligt wird.

18. Darüber hinaus weicht die Regelung vom wesentlichen Grundgedanken des § 649 BGB ab. Nach § 649 BGB ist der Besteller jederzeit berechtigt den Werkvertrag zu kündigen. Auch eine Teilkündigung ist zulässig. Diese ist lediglich unzulässig, wenn sie dem Unternehmer deshalb unzumutbar ist, weil die ihm verbleibende Werkleistung wegen der Teilkündigung in ihrer Mangelfreiheit gefährdet wird. Die Beklagte ist jedoch ohne weiteres zur Erfüllung der ihr obliegenden Verpflichtung in der Lage, auch wenn ein Fluggast nur den Hinflug oder nur den Rückflug in Anspruch nimmt. Die erbrachte Leistung ist hiervon hinsichtlich ihrer möglichen Mangelfreiheit nicht berührt (vgl. AG Köln, NJW 2005, 2716 ff). Es handelt sich auch nicht um eine rechtlich untrennbare Leistung. Hauptleistungspflicht der Beklagten ist die Beförderung des Klägers. Auch durch die in den ABB enthaltene Regelung kann die Beklagte aus zwei einzelnen Flügen keine rechtliche Einheit schaffen, mit der Rechtsfolge, dass Teilleistungen nicht möglich wären.

19.  Die ABB der Beklagten in Art. 3.1.1 ist auch nicht lediglich eine Leistungsbeschreibung, die der Inhaltskontrolle nicht zugänglich wäre.

20. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zielt § 307 Abs. 3 BGB auch darauf ab AGB-Klauseln von der Inhaltskontrolle gem. den §§ 307 ff. freizustellen, sofern sie lediglich eine Leistungsbeschreibung enthalten, also den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistungen festlegen. Diese Abgrenzung kann sich nur am Schutzzweck des Gesetzes orientieren. Dieser Schutzzweck geht dahin, diejenigen Teile des Vertrages einer richterlichen Kontrolle nicht zu unterwerfen, die schon aufgrund ihrer besonderen Bedeutung Gegenstand der Aufmerksamkeit beider Vertragsparteien sind. Aufgrund dieser Erwägung sind jedenfalls die Hauptleistungspflichten der richterlichen Inhaltskontrolle entzogen. Demgemäß beschränkt die überwiegende Rechtsprechung den kontrollfreien Raum denn auch auf den engen Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen, mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts, ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGH NJW-RR 93, 1059 ff).

21. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen abweichend vom Gesetz oder der nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte geschuldeten Leistung verändern, ausgestalten oder modifizieren, gehören dagegen nicht zu den Leistungsbeschreibungen und unterliegen der Inhaltskontrolle (BGH Z 130, 150 ff). Im Lichte dieser Grundsätze kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vorliegende ABB-Klausel Art. 3.1.1 der Beklagten der Klauselkontrolle gem. §§ 307 ff BGB unterliegen. Die Hauptleistung der Klägerin ist die Beförderungsleistung im vorliegenden Fall von München nach Florenz und von Florenz nach München. Die Gegenleistung ist der geschuldete Flugpreis. Art. 3.1 der ABB regelt dieses Hauptleistungsversprechen abweichend vom Gesetz. Hier abweichend von § 649 BGB.

22. Wie bereits oben ausgeführt führt diese Abweichung zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers.

23. Die Preisfestsetzung ist der Überprüfung durch die Klauselkontrolle entzogen. Nach § 307 Abs. 3 BGB soll verhindert werden, dass eine Preiskontrolle stattfindet. Dahinter steht die Erwägung, dass sich auf funktionierenden Märkten Preise im Wettbewerb bilden und ihre Festlegung durch vorformulierte Klauseln deshalb nicht zum Gegenstand richterlicher Kontrolle gemacht werden sollen. Soweit die Beklagte meint, bei Unwirksamkeit dieser Klauselbedingung wäre sie gezwungen, Einheitspreise für einzelne Strecken festzulegen und unterliege einem Eingriff in die Preisgestaltung, ist das so nicht richtig. Die Beklagte ist auch jetzt bereits durch vielfältige Einschränkungen in der Lage den Preis zu bestimmen. So ist der Zeitpunkt der Buchung, die Länge des Aufenthaltes, die Möglichkeit des Rücktritts oder der Stornierung auch heute schon ein Mittel den Preis zu gestalten. Die Verhinderung von Cross-Border-Selling oder Cross-Ticketing darf nicht dazu führen, dass der einzelne Kunde unangemessen benachteiligt wird. Ein Eingriff in die Preisautonomie liegt durch die Entscheidung der Unwirksamkeit der Ziff. 3.3.1. ABB nicht vor. Darüber hinaus greift auch die Argumentation der Benachteiligung im Wettbewerb nicht ein, da diese Regelung für alle in Deutschland getätigten Buchungen gelten muss. Etwaige Mitwettbewerber müssen dann gegebenenfalls ihre ABB überprüfen.

24. Das Interesse der Beklagten an freier Preisvereinbarung wird durch diese Entscheidung nach Ansicht des Gerichts nicht berührt. Eine Vielzahl von Regelungen ist denkbar, die die Preisgestaltung der Beklagten ermöglichen, ohne dass es zu einer Benachteiligung der Kunden kommt.

25. Die Richtlinien der IATA sind kein bindendes Recht. Dass die IATA Rechtsgebungsbestrebungen nicht unterstützt, die die von der Beklagten vorgenommenen Regelungen verhindern sollen, hat für dieses Verfahren keine Auswirkungen. Die IATA ist der Dachverband der Fluggesellschaften und als solche mehr den Fluggesellschaften verbunden als den Passagieren.

26. Dem Kläger ist durch die Nichtbeförderung der Beklagten ein Schaden entstanden. Dieser Schaden bemisst sich in den Kosten, die er für die Ersatzbeförderung hat aufwenden müssen, gem. § 249 BGB. Diese Kosten waren insoweit unstrittig. Der Schadensersatzanspruch war daher in Höhe von 532,09 EUR begründet.

27.  Zinsen waren ab Rechtshängigkeit gefordert und ergeben sich aus Gesetz gem. den §§ 286, 288 BGB.

28. Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Ziff. 11, 711, 713 ZPO.

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