Flugverspätung durch defekten Sensor am Fahrwerk

AG Berlin-Wedding: Flugverspätung durch defekten Sensor am Fahrwerk

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der annulliert wurde. Auch der umgebuchte Flug verspätete sich. Sie verlangen Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht gab der Klage statt.

AG Berlin-Wedding 2 C 222/06 (Aktenzeichen)
AG Berlin-Wedding: AG Berlin-Wedding, Urt. vom 29.03.2007
Rechtsweg: AG Berlin-Wedding, Urt. v. 29.03.2007, Az: 2 C 222/06
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Amtsgericht Berlin-Wedding

1. Urteil vom 29. März 2007

Aktenzeichen 2 C 222/06

Leitsatz:

2. Da es der Risikosphäre des Flugunternehmens zuzuordnen ist, ist ein defektes Fahrwerk kein außergewöhnlicher Umstand, der von der Verspätungshaftung befreit.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der annulliert wurde. Auch der umgebuchte Flug verspätete sich und sie mussten eine Teilstrecke im Mietwagen absolvieren. Sie verlangen Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Voraussetzungen des Anspruches lägen vor. Insbesondere sei ein defektes Fahrwerk kein außergewöhnlicher Umstand, der die Haftung entfallen lasse, da es der Risikosphäre des Flugunternehmens zuzuordnen ist.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 750,00 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.05.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand:

5. Mit der Klage begehren die Kläger eine Entschädigung für die Annullierung eines Fluges.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten unter anderem einen Flug für den 17.04.2005 von F. via M. nach B. Abflugzeit des Fluges (Flugnr. …) sollte 15:05 Uhr sein. Der Abflug wurde zunächst auf 15.30 Uhr verschoben und dann annulliert. Ursache dafür war ein defekter Sensor, der für das Einfahren des Fahrwerks benötigt wird. Aufgrund des Defekts ließ sich das Fahrwerk nicht einfahren und der Flug nicht durchführen. Für die Kläger nahm man eine Umbuchung auf einen Flug nach F. (Flugnr. …) mit der Abflugzeit 18:25 Uhr vor. Der Abflug nach F. verzögerte sich um eine halbe Stunde, was zu einer verspäteten Ankunft in F. führte und wodurch die Kläger ihren Anschlussflug nach B. (Flugnr. …) verpassten. Schließlich nahmen die Kläger einen Ersatzflug nach Hannover und fuhren von dort mit einem Mietwagen nach B. Sie erreichten dadurch B. nicht wie geplant um 18.05 Uhr, sondern um 02:30 Uhr.

7. Die Kläger meinen, dass Ihnen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 € pro Person gem. Art. 1 Abs. 1 b, c, Art. 5 Abs. 3, Artikel 6 Abs. 1 a, Art. 7 Abs. 1 a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zustünde.

8. Die Kläger beantragen,

9. die Beklagte zu verurteilen, an sie 750,00 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.05.2005 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

12. Die Beklagte meint, die Kläger hätten aufgrund Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 keinen Anspruch auf eine Ausgleichzahlung, da die Annullierung des Fluges LH 4077 nach M. aufgrund außergewöhnlicher Umstände erfolgt sei, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

13. Nachdem sich die Parteien damit einverstanden erklärt haben, hat das Gericht mit Beschluss vom 29.01.2007 das schriftliche Verfahren angeordnet.

Entscheidungsgründe:

14. Gemäß § 128 Absatz 2 ZPO war eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu treffen.

15. Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 750,00 Euro nach Art. 5 Abs. 1 c, Art. 7 Absatz 1 a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 261/2004, denn die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von F. via M. nach B. am 17.04.2005 (Flugnr. …) der unstreitig annulliert worden ist und über eine Entfernung von weniger als 1500 km ging.

16. Einem Anspruch auf Ausgleichsleistung steht nicht die Regelung des Art. 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 entgegen. Die Annullierung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

17. Ein defekter Sensor mit der Folge eines nicht richtig funktionierenden Bugrades, ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Anhaltspunkte dafür, was unter einem außergewöhnlichen Umstand zu verstehen ist, bietet der Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Insbesondere werden dort außergewöhnliche Umstände anhand von nicht abschließenden Beispielen konkretisiert. Dabei werden als solche Umstände auch „Sicherheitsrisiken“ und „unerwartete Flugsicherheitsmängel“ genannt. Bei isolierter Betrachtung des Wortlautes liegt in einem defekten Sensor und einem nicht richtig funktionierenden Bugrad durchaus ein Sicherheitsrisiko bzw. ein Flugsicherheitsmangel. Allerdings ist bei der Frage danach, was der Verordnungsgeber an dieser Stelle mit diesen zwei Begriffen meinte, der Kontext zu beachten in den sie gestellt sind. Betrachtet man daher die übrigen Beispiele wie „politische Instabilität“, „Wetterbedingungen“ und „Streiks“, dann wird deutlich, dass hier Risiken angesprochen werden, die sich insofern nicht in der Geschäftssphäre des Luftfahrtunternehmens abspielen, als sie selbst bei sorgfältigem Handeln nur schwer beherrschbar sind bzw. sich sogar ganz der Einflussnahme entziehen.

18. Bestätigt wird diese Auslegung weiterhin durch den Erwägungsgrund 15 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Auch hier sollen außergewöhnliche Umstände dann vorliegen, wenn außenstehende Dritte – nämlich das Flugverkehrsmanagement – Entscheidungen treffen, die zu Verspätungen oder Annullierungen führen.

19. Wobei außergewöhnliche Umstände durchaus nicht nur außerhalb, sondern – wie im Falle von Streiks – auch innerhalb des Luftfahrtunternehmens liegen können. Allerdings hat auch hier das Unternehmen keine oder nur eingeschränkte Entscheidungs- und Handlungshoheit über den Sachverhalt.

20. In diesem Sinne sind unter „Sicherheitsrisiken“ und „unerwarteten Flugsicherheitsmängel“ nicht solche technischen Fehlfunktionen zu verstehen, deren Vermeidung der Betreiber durch seine Wartung sicherzustellen hat. Die Sensorik bzw. das Fahrwerk fallen vielmehr in den Kernbereich des durch den Betreiber zu gewährleistenden Betriebszustandes. Im Flugbetrieb dürfte es sich außerdem bei solchen Problemen um regelmäßige und daher gewöhnliche Probleme beim technischen Unterhalt der Maschinen handeln. Fehler wie der Vorliegende passen daher nicht in die Reihe der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 aufgeführten Beispiele für „außergewöhnliche Umstände“.

21. Da es sich bei der vorliegenden Fehlfunktion bereits nicht um einen außergewöhnlichen Umstand i. S. d. Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 handelt, ist es auch unerheblich, ob die Beklagte die Wartung pünktlich und gewissenhaft durchgeführt hat oder ob das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zumutbar ist.

22. Im Übrigen ist der Verbraucherschutz als zentrales Leitmotiv für den Verordnungsgeber zu berücksichtigen (vgl. Erwägungsgrund 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004). Die Schutzstandards sollen erhöht und die Fluggastrechte gestärkt werden (vgl. Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004). Die Ausweitung der Annahme eines „außergewöhnlichen Umstandes“ i. S. d. Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf jeden plötzlich im Flugbetrieb auftauchenden technischen Defekt, ist geeignet, diese Ziele weitgehend auszuhöhlen.

23. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286 Absatz 1 S. 1, 288 Absatz 1 BGB.

24. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Absatz 1, 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.

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