Anwendung des Reisevertragsrechts

AG Hannover: Anwendung des Reisevertragsrechts

Eine Urlauberin buchte bei einer Airline einen Flug von Deutschland nach Sardinien und zurück. Weil die Airline es unterließ, die Klägerin über eine Flugzeitänderung zu informieren, verpasste diese den Rückflug. In der Folge verlangt sie eine Schadensersatzzahlung wegen nicht erbrachter reisevertraglicher Leistung.

Das Amtsgericht Hannover hat die Klage abgewiesen. In der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien sei kein Reisevertrag im Sinne von §651 BGB zu sehen. Ein reisevertraglicher Ersatzanspruch scheide vor diesem Hintergrund aus.

AG Hannover 565 C 19922/03 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 01.06.2004
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 01.06.2004, Az: 565 C 19922/03
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Niedersachsen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 01. Juni 2004

Aktenzeichen: 565 C 19922/03

Leitsatz:

2. Eine reine Luftbeförderung stellt keinen Reisevertrag im Sinne von §651 BGB dar.

Zusammenfassung:

3. Eine Urlauberin buchte bei einem privaten Luftfahrtunternehmen einen Flug von Deutschland nach Sardinien und zurück. Im Vorfeld wurde ihr von Mitarbeitern der Airline mitgeteilt, dass sie sich nicht über kurzfristige Flugzeitänderungen informieren müsse. Es reiche vielmehr aus, eine Telefonnummer zu hinterlegen, über die sie im Bedarfsfall erreichbar sei.
Am Tag des Abflugs fand sich die Klägerin am Gate ein und musste feststellen, dass der Flug unangekündigt bereits mehrere Stunden vorher gestartet war.

Die Klägerin verlangt nun eine Schadensersatzzahlung von der Beklagten, wegen reisevertraglicher Schlechtleistung gemäß §651 g BGB.

Das Amtsgericht Hannover hat die Klage abgewiesen. In der vertraglichen Vereinbarung zwischen Klägerin und Beklagter sei ein Beförderungsvertrag zu sehen. Dessen Abwickelung im Falle einer Schlechtleistung richte sich im wesentlichen nach den Modalitäten eines Dienstvertrags nach §611 BGB.
Ein Reisevertrag komme nur dann zustande, wenn über die Beförderungsleistung hinaus eine Gesamtheit von Reiseleistungen angeboten werde.

Da vorliegend nur die Beförderung Inhalt der vertraglichen Vereinbarung geworden war, scheide ein reisevertraglicher Schadensersatzanspruch zu Gunsten der Klägerin aus.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem „Reisevertrag“ geltend.

6. Die Klägerin buchte für sich und ihren Sohn bei der Beklagten einen Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Cagliari/Sardinien für den 03.08. und 17.08.2003.

7. Die Klägerin behauptet, sie habe beim Hinflug vom Abfertigungspersonal der … den Hinweis erhalten, dass sie sich – entgegen den Reisebedingungen der Beklagten – vor dem Rückflug nicht mehr gesondert bei der Beklagten nach den Rückflugmodalitäten erkundigen müsse; sie solle lediglich ihre Handynummer bekannt geben, so dass ihr eventuelle Flugänderungen telefonisch mitgeteilt werden könnten. Da eine derartige Mitteilung nicht erfolgte, habe sie sich am 17.08.2003 zum vereinbarten Abflugtermin 12.30 Uhr eingefunden, jedoch feststellen müssen, dass ihr Rückflug bereits um 6.00 Uhr abgefertigt worden sei.

8. Sie habe, um ihre Arbeit rechtzeitig antreten zu können, am 18.08.2003 einen Linienflug mit zweimaligem Zwischenstop nach Köln für 1.192,09 Euro buchen müssen. Daneben seien ihr Taxikosten vom Flughafen zum Hotel in Höhe von 23,10 Euro und Hotelkosten für eine weitere Übernachtung in Höhe von 145,00 Euro entstanden.

9. Die Klägerin beantragt die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.360,19 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2003 zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet, die Klägerin hätte sich nach ihren Reisebedingungen 48 Stunden vor dem Rückflug nach den Rückflugmodalitäten bei ihr erkundigen müssen.

12. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und zu Gericht gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

14. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 1.360,19 Euro aus §§ 651f Abs. 1 BGB, weil es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht um einen Reisevertrag im Sinne des § 651a BGB handelt.

15. Ein Reisevertrag liegt danach nur vor, wenn der Reiseveranstalter durch den Vertrag verpflichtet ist, dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen (Reise) zu erbringen. Nach der Buchungsbestätigung vom 14.07.2003 (Bl. 5 d. A.) und dem unstreitigen Vortrag der Parteien hatte die Klägerin bei der Beklagten aber nur den Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Sardinien und damit keine Gesamtheit von Reiseleistungen gebucht. Der Vertrag, der nur die Luftbeförderung umfasst, ist aber kein Reisevertrag, weil nur eine Reiseleistung vorliegt; eine analoge Anwendung der §§ 651a ff BGB scheidet ebenfalls aus, weil bei einem Nur-Flug nur der Transport geschuldet wird und im Vordergrund steht und auch der Urlaubszweck nicht als Vertragsbestandteil anzusehen ist (vgl. Führich, Reiserecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 90 m.W.N.; Palandt-Sprau, BGB, 62. Aufl. 2003, Einf. § 651a Rn. 3 m.w.N.).

16. Aber selbst wenn davon ausgegangen würde, dass ein Reisevertrag vorliegt bzw. Reiserecht Anwendung findet, wäre der Anspruch der Klägerin nach § 651g Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

17. Die Klägerin hat sich nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der „Reise“ am 17.08.2003 an das, die „Reise“ vermittelnde Reisebüro und auf dessen Anraten mit Schreiben vom 01.09.2003 an die Fluggesellschaft … gewandt. Erst mit anwaltlichem Schreiben vom 02.10.2003 hat die Klägerin ihre Ansprüche bei der Beklagten geltend gemacht. Die Ausschlussfrist des § 651g Abs. 1 BGB von einem Monat war somit verstrichen, als sich die Klägerin an die Beklagte wandte. Die Klägerin kann hierbei auch nicht einwenden, dass sie sich nur deshalb zunächst an die … gewandt hat, weil ihr vom Reisebüro mitgeteilt worden war, dass nur Ansprüche gegen diese und keinesfalls Ansprüche gegen die Beklagte in Betracht kämen. Da nicht ersichtlich ist, dass das Reisebüro P Reisebüro GmbH in Köln Erfüllungsgehilfe der Beklagten im Sinne des § 278 BGB war, wäre der Beklagten ein Informationsverschulden der Reisebüromitarbeiterin nicht zuzurechnen.

18. Reisevertragliche Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte scheiden somit aus.

19. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aber auch keinen Anspruch auf Zahlung von 1.360,19 Euro aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Flugbeförderungsvertrag nach § 631 BGB in Verbindung mit §§ 280, 278 BGB.

20. Unstreitig ist zwar zwischen den Parteien ein Flugbeförderungsvertrag zustande gekommen, hat sich die Beklagte zur Erfüllung dieses Vertrages der Fluggesellschaft … bedient, die somit Erfüllungsgehilfin der Beklagten im Sinne des § 278 BGB war, und hat die Klägerin ihren Rückflug von Sardinien nach Düsseldorf versäumt, weil sie sich entgegen den unstreitigen und durch die Buchungsbestätigung vom 14.07.2003 (Bl. 5 d. A.) belegten Vertragsbedingungen den Rückflug nicht hat ein bis zwei Tag vor Rückflug telefonisch bestätigen lassen.

21. Die Klägerin hat auch nicht substantiiert dargetan und unter Beweis gestellt, das dieses Versäumnis auf ein der Beklagten nach § 278 BGB zurechenbares Informationsverschulden einer …-Mitarbeiterin beruhte.

22. Sie hat mit Schriftsatz vom 11.05.2004, S. 2 (Bl. 44 d. A.), behauptet, dass sie die Mitarbeiterin der … am Abfertigungsschalter gefragt habe, ob sie sich wie früher den Rückflug noch telefonisch bestätigen lassen müsse, woraufhin ihr mitgeteilt worden sei, dass dies nicht mehr notwendig sei, sie nur ihre Handynummer bekannt geben solle, über die sie über eventuelle Flugänderungen unterrichtet würde. Sie hat entgegen dem Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2004 jedoch nicht dargetan, wie sich der weitere Ablauf gestaltete, wo und wie sich insbesondere die Mitarbeiterin am Abfertigungsschalter der … die Handynummer notiert hat, wer genau ihr nach Auskunft der …-Mitarbeiterin wann per Handy Mitteilung von einer eventuellen Flugänderung machen würde und wie sie sich zu verhalten gehabt hätte, wenn eine ständige Erreichbarkeit über das Handy nicht gewährt ist. Der Vortrag der Klägerin zu der ihr von der …-Mitarbeiterin erteilten Information ist für das Gericht somit nicht nachvollziehbar und nicht hinreichend substantiiert.

23. Darüber hinaus hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.05.2005, S. 2 (Bl. 44 d. A.), ihren Vortrag dahingehend korrigiert, dass die von ihr benannten Zeugen … und … das Gespräch mit der …-Mitarbeiterin nicht mitgehört haben; ihnen sei lediglich die gleiche Auskunft erteilt worden. Die Klägerin hat folglich keinen Beweis für die von ihr behauptete und von der Beklagten bestrittene Fehlinformation der …-Mitarbeiterin angeboten und ist damit beweisfällig geblieben. Der korrigierte Zeugenbeweisantritt ist nicht geeignet, den erforderlichen Beweis zu erbringen, denn selbst wenn die Zeugen … und … die Behauptung der Klägerin bestätigen, würde dies nicht bedeuten, dass die …-Mitarbeiterin auch der Klägerin gegenüber die streitgegenständliche Fehlinformation erteilt hat.

24. Aber selbst wenn die Fehlinformation der Klägerin durch die …-Mitarbeiterin für wahr unterstellt würde, stünde der Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus §§ 280, 278 BGB nicht zu, weil die …-Mitarbeiterin als Erfüllungsgehilfin der … und damit auch der Beklagten nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit der Beklagten, sondern nur bei Gelegenheit der Vertragserfüllung schuldhaft gehandelt hätte.

25. Der Schuldner haftet nach § 278 BGB nämlich nur für Verfehlungen seiner Erfüllungsgehilfen, die in einem inneren, sachlichen Zusammenhang mit der Erfüllung der Verbindlichkeit stehen, nicht dagegen für ein Fehlverhalten bei Gelegenheit der Erfüllung; ob die Handlung bei oder nur bei Gelegenheit der Erfüllung vorgenommen ist, richtet sich danach, ob der Gehilfe noch in dem ihm vom Schuldner zugewiesenen Aufgabenbereich oder bereits außerhalb des allgemeinen Umkreises dieses Bereiches gehandelt hat; die Verantwortung des Schuldners für weisungswidriges Verhalten seiner Hilfsperson findet seine Grenze insbesondere darin, dass eine nicht genehmigte Überschreitung der Vertretungsmacht nach § 179 BGB grundsätzlich nur den Vertreter und nicht den Vertretenen haftbar macht (MüKo-Hanau, BGB, 3. Aufl. 1994, § 278 Rn. 31 m.w.N.).

26. Vorliegend war der …-Mitarbeiterin nach dem unbestrittenen und damit nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehenden Vortrag der Beklagten nicht gestattet, die streitgegenständliche Fehlinformation bzw. überhaupt irgendwelche Auskünfte die „Reiseleistung“ der Beklagten betreffend zu erteilen. Ihr Aufgabenbereich erstreckte sich vielmehr ausschließlich auf die Abfertigung der Fluggäste am Abfertigungsschalter und nicht auf die Auskunftserteilung hinsichtlich der Bedingungen des zwischen den Fluggästen und deren Vertragspartnern geschlossenen Flugbeförderungsvertrages. Die …-Mitarbeiterin hätte folglich den ihr zugewiesenen Aufgabenbereich mit der von der Klägerin behaupteten Fehlinformation eindeutig verlassen und nur bei Gelegenheit der Erfüllung einer Verbindlichkeit der Beklagten gehandelt. Diese Überschreitung der Vertretungsmacht war für die Klägerin auch ohne weiteres erkennbar, weil es sich zum einen bei der auskunftsgebenden Person weder um eine Mitarbeiterin des Reisebüros (Vertragsvermittler) noch der Beklagten (Vertragspartner), sondern lediglich um eine Mitarbeiterin der Fluggesellschaft handelte, mit der sie – die Klägerin – keinerlei rechtliche Beziehungen verband. Zum anderen stand die streitgegenständliche Information im Widerspruch zu der auf der Buchungsbestätigung vom 14.07.2003 (Bl. 5 d. A.) vermerkten Bedingung, dass sich die Klägerin den Rückflug ein bis zwei Tage vor Rückflug telefonisch bestätigen lassen solle. Die Klägerin hätte nach alledem ohne weiteres erkennen können und müssen, dass sie sich auf die Fehlinformation der …-Mitarbeiterin nicht verlassen durfte und konnte.

27. Der Klägerin stehen folglich Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu.

28. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

29. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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