Kostenfreie Kündigung des Reisevertrages

AG Neuwied: Kostenfreie Kündigung des Reisevertrages

Ein Fluggast nimmt einen Reisevermittler auf Rückzahlung der bereits geleisteten Reisekosten in Anspruch. Der Kläger buchte eine Rundreise nach Kuba und bezahlte sie komplett. Durch die Berichterstattung durch die Medien erfuhr der Kläger das ein Hurrikan Kuba bedrohte. Auf Nachfrage konnte ihm der Reisevermittler hierzu keine Auskunft geben. Auch die Reiseunterlagen waren dem Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugestellt. Der Kläger kündigte diese Reise, nachdem ein neuer Hurrikan angekündigt wurde.
Das Gericht entschied dass dem Kläger eine Rückzahlung der Reisekosten zusteht, da die aktuelle Wetterlage bei Vertragsabschluss nicht bekannt war. Es handelt sich hier um eine höhere Gewalt und stellt einen Rücktrittsgrund dar.

AG Neuwied 4 C 27/06 (Aktenzeichen)
AG Neuwied: AG Neuwied, Urt. vom 31.03.2006
Rechtsweg: AG Neuwied, Urt. v. 31.03.2006, Az: 4 C 27/06
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Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Neuwied

1. Urteil vom 31. 03. 2006

Aktenzeichen: 4 C 27/06

Leitsatz:

2. Bei höherer nicht vorrausehbarer Gewalt kann ein Reisevertrag ohne Stornierungskosten gekündigt werden.

Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger eine Rundreise durch Kuba und bezahlte sie auch vollständig. Zwei Wochen vor Reisebeginn berichteten die Medien über einen Hurrikan, welcher Kuba bedrohte. Der Kläger wandte sich umgehend an den Reiseveranstalter und fragte nach, ob seine Reise hinsichtlich der Wetterlage durchführbar sei. Die Mitarbeiter des Reisevermittlers konnten ihm darüber keine genauen Informationen geben.  Sie konnten ihm ebenfalls nicht mittteilen, warum seine Reiseunterlagen ihm noch nicht zugegangen waren.  Die Medien berichteten weiterhin über den nächsten Hurrikan, welcher auf Kuba zusteuerte. Der Kläger kündigte umgehend seine Reise, aufgrund fehlender Reiseunterlagen und Informationen über die momentane Lage in Kuba. Die Kündigung erfolgte via Fax und E-Mail.
Erst am darauffolgenden Tag wurde dem Kläger die Unterlagen, wie auch die aktuelle Situation auf Kuba mitgeteilt. Der Kläger bestand aber weiter auf seine Kündigung und fordert von dem Reisevermittlung die bereits gezahlten Reisekosten zurück.

Das Gericht entschied, das dem Kläger die Kosten in Höhe des Reisepreises erstattet werden müssen. Es handelte sich bei dieser Wetterlage um eine nicht voraussehbarer höherer Gewalt.

Tatbestand:

4. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung des von ihm gezahlten Reisepreises für eine Rundreise auf Kuba in Anspruch, die er am 15.08.2005 bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau buchte.

5. Der Reisepreis belief sich auf EUR 3.305,26 und wurde vom Kläger bis zum 29.09.2005 vollständig an die Beklagte bezahlt. Reisebeginn sollte am 02.11.2005 sein.

6. Nachdem der Kläger am 22./23.10.2005 die Medienberichterstattung über den Hurrikan „Wilma“ in der Karibik verfolgt hatte, nach der dieser auch Kuba bedrohte, wandte er sich am 24.10.2005 an die Beklagte, um Informationen über die Durchführbarkeit der Reise zu erhalten. Seitens der Mitarbeiter der Beklagten wurde der Kläger dahingehend informiert, dass über die Lage auf Kuba keine näheren Informationen vorlägen und die Reise wie geplant stattfinden solle. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger noch keine Reiseunterlagen erhalten, eine Erklärung hierfür konnten ihm die Mitarbeiter der Beklagten ebenfalls nicht geben.

7. Der Kläger fühlte sich hierdurch verunsichert, insbesondere auch wegen der weiteren Berichterstattung in den Medien über den sich als Nachfolger des Hurrikans „Wilma“ aufbauenden Hurrikan „Alpha“. Er kündigte deshalb und insbesondere wegen der fehlenden Information der Beklagten und den Nichtversand der Reiseunterlagen am 25.10.2005 per Computerfax und per E-Mail den Reisevertrag und forderte gleichzeitig die Rückerstattung des gesamten Reisepreises.

8. Am 26.10.2005 erhielt der Kläger die Reiseunterlagen ohne zusätzliche Hinweise oder Informationen der Beklagten zur aktuellen Wettersituation im Zielgebiet. Am 28.10.2005 versandte der Kläger eine mit dem Schreiben vom 25.10.2005 wortgleiche Kündigungserklärung an die Beklagte, die dieser am 31.10.2005 zuging.

9. Der Kläger ist der Auffassung, infolge höherer Gewalt zur Kündigung des mit der Beklagten geschlossenen Reisevertrages berechtigt gewesen zu sein.

10. Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 3.305,26 nebst Zinsten in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Sie bestreitet ein Kündigungsrecht des Klägers und verweist darauf, dass Kuba weder von dem Hurrikan „Wilma“ betroffen gewesen sei noch bis zum 02.11.2005 eine Hurrikanwarnung für Kuba vorgelegen habe.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Parteivorbringens wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist zulässig und auch in vollem Umfang begründet.

14. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß §§ 651j Abs. 2 Satz 1, 651e Abs. 3 Satz 1 BGB Rückzahlung des von ihm geleisteten Reisepreises verlangen, da er berechtigt war, den mit der Beklagten geschlossenen Reisevertrag wegen bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt zu kündigen.

15. Das Kündigungsrecht des Klägers ergibt sich daraus, dass einem Reisenden auch unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner schlechterdings nicht zugemutet werden kann, sich an einem Reisevertrag festhalten zu lassen, dessen Durchführung mit einer konkreten, schon bei Vertragsabschluss im Regelfall nicht vorhersehbaren Gefahr einer Schädigung verbunden ist. Ein Kündigungsrecht des Reisenden wegen nicht voraussehbarer höherer Gewalt nach § 651j BGB besteht deshalb auch dann, wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher, und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Jedenfalls soweit ein solches Kündigungsrecht zu bejahen ist, besteht auch eine Hinweispflicht des Reiseveranstalters (vgl. BGH, RRa 2002, 258 = NJW 2002, 3700).

16. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers am 25.10.2005, jedenfalls jedoch am 28.10.2005 zu bejahen. Bereits zum erstgenannten Zeitpunkt hatte der Hurrikan „Wilma“ große Verwüstungen in der Karibik angerichtet, insbesondere in Mexiko im Bereich der Halbinsel Yucatan. Auch Kuba war, wenngleich nicht im Zentrum des Geschehens liegend, von dem Hurrikan nicht unbehelligt geblieben. Es ist gerichtsbekannt, dass dieser Hurrikan Kuba jedenfalls gestreift hat. Darüber hinaus baute sich unmittelbar nach dem Hurrikan „Wilma“ ein neuer Hurrikan namens „Alpha“ in der Karibik auf, über den, was ebenfalls gerichtsbekannt ist, bereits ab 25.10.2005 in den Medien berichtet wurde. Es handelt sich hierbei um den Hurrikan, der anschließend zur Verwüstung der Stadt New Orleans geführt hat.

17. Bekanntermaßen lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit voraussagen, welche Stärke ein Hurrikan annehmen wird und wann und wo genau dieser zu Beschädigungen und Verwüstungen führt. Entscheidend für das sich aus § 651j BGB ergebende Kündigungsrecht ist jedoch allein die erhebliche Wahrscheinlichkeit. Insoweit hält der BGH in der vorgenannten Entscheidung eine Eintreffwahrscheinlichkeit von eins zu vier im Zielgebiet der Reise bereits für hinreichend, um eine erhebliche Gefährdung der Reisenden anzunehmen. Allerdings kommt es insoweit nicht auf die subjektive Einschätzung des Reisenden, sondern auf die objektive Lage an (vgl. Führich, Reiserecht, [4. Aufl.], Rn. 443 m. w. N.).

18. Eine solche Eintreffwahrscheinlichkeit des Hurrikans „Alpha“ auf Kuba, dem Zielgebiet der von dem Kläger gebuchten Reise, war jedoch objektiv, wenn nicht bereits am 25.10.2005, dann jedoch jedenfalls am 28.10.2005 anzunehmen. Bereits am 23.10.2005 berichteten die „Tagesthemen“ darüber, dass Kuba zwischen zwei Wirbelstürmen, nämlich dem Hurrikan „Wilma“ im Westen und dem Hurrikan „Alpha“, der die Nachbarinsel Hispaniola erreicht habe, liege und sich auf Kuba über 620.000 Menschen auf der Flucht vor den Unwettern befänden.

19. Damit bestand eine konkrete Gefahr, dass auch der Hurrikan „Alpha“ Kuba jedenfalls in Mitleidenschaft ziehen werde und insoweit auch eine Pflicht der Beklagten in Bezug auf Informationsbeschaffung und Informationsweitergabe an den Kläger über die objektiv bestehende Gefahr eines Hurrikans im Zielgebiet bestand. Dem ist die Beklagte, die dem Kläger am 24.10.2005 unstreitig keinerlei Auskunft geben konnte, nicht nachgekommen. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass Kuba von dem Hurrikan „Wilma“ nicht betroffen gewesen sei, denn aus den von dem Kläger vorgelegten Berichten ergibt sich gerade das Gegenteil.

20. Entscheidend ist im Übrigen nicht der Hurrikan „Wilma“, sondern die am 25. bzw. 28.10.2005 objektiv gegebene erhebliche Wahrscheinlichkeit des Auftretens des neuen Hurrikans „Alpha“ im Zielgebiet. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, dass es nach dem Vorbringen der Beklagten – insoweit unstreitig – bis 02.11.2005 keine Hurrikanwarnung für Kuba hinsichtlich dieses Hurrikans gegeben habe. Entscheidend ist nicht eine „ex post“-Betrachtung, sondern es kommt auf die Situation zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung an. Zu diesem Zeitpunkt, nämlich spätestens am 28.10.2005, bestand eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass auch Kuba von dem Hurrikan „Alpha“ in Mitleidenschaft gezogen werde. Insoweit handelte es sich auch nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos. Zwar besteht in der Karibik grundsätzlich jahreszeitabhängig immer die Gefahr des Auftretens von Stürmen oder Hurrikans. Im vorliegenden Fall hatte sich diese Gefahr aber bereits mit dem Hurrikan „Wilma“ sowie durch den weiteren Hurrikan „Alpha“ mehr als konkretisiert.

21. Da nach den vorstehenden Ausführungen der Kläger zur Kündigung des Reisevertrags berechtigt war, kann er von der Beklagten auch den vollen Reisepreis als Rückerstattung verlangen. Der Beklagten ist es verwehrt, sich auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einen Einbehalt hinsichtlich des Reisepreises als Rücktrittspauschale vorsehen, zu berufen.

22. Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzugsgesichtspunkten gemäß §§286, 288 BGB, da die eklagte spätestens mit Zugang der Kündigungserklärung vom 28.10.2005 am 31.10.2005 in Verzug geraten ist.

23. Die Kostenentscheidung folgt aus §91 ZPO.

24. Für die Anordnungen hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit gilt §709 ZPO.

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