Ausgleich bei Verspätung

LG Frankfurt: Ausgleich bei Verspätung

Der Flug des Klägers kam mit einer 3 1/2 stündigen Verspätung am Zielflughafen an. Grund hierfür war eine unplanmäßige Zwischenlandung, die nötig war, weil ein Hochdruckventil ausgetauscht werden musste. Der Fluggast verlangt nun eine Ausgleichszahlung wegen der Flugverspätung.

Das Landgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Ein Ausgleichsanspruch stehe den Betroffenen nur bei einer Abflugverspätung, nicht aber bei einer notwendigen Flugunterbrechung, zu.

LG Frankfurt 2-24 S 65/11 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 01.09.2011
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 01.09.2011, Az: 2-24 S 65/11
AG Frankfurt, Urt. v. 21.03.2011, Az: 30 C 2118/10 (75)
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Hessen-Gerichtsurteile

Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 01. September 2011

Aktenzeichen: 2-24 S 65/11

Leitsatz

2. Ansprüche wegen Flugverspätung bestehen nach Art. 6 der Fluggastrechte VO nur im Falle einer Abflugverspätung.

Zusammenfassung:

3. Ein Kläger buchte einen Flug bei einer Airline. Weil während des Fluges ein Ventil im Flugzeug beschädigt wurde, musste die Maschine zwischenlanden. Im Anschluss an die Reparatur, die rund 3 Stunden in Anspruch nahm, wurde der Flug fortgesetzt. Der Kläger kam mit einer entsprechend hohen Verspätung am Zielflughafen an.
Er verlangt nun eine Ausgleichszahlung vom beklagten Luftfahrtunternehmen.

Dieses weigert sich der Zahlung. Ein plötzlich auftretender Defekt sei nicht zu kontrollieren. Außerdem sei man pünktlich gestartet. Eine Abflugverspätung im Sinne der FluggastrechteVO sei nicht gegeben.

Das Landgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Grundsätzlich seien Fluggäste für eine mehr als 3-stündige Verspätung zu entschädigen. Dies gelte in Einzelfällen auch bei Verspätungen wegen plötzlich auftretenden technischen Defekten am Flugzeug.

Keine Entschädigung gebe es jedoch, wenn der für die Verzögerung verantwortliche Umstand, erst nach dem Abflug in Erscheinung tritt.

Die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 wegen Verspätung setzt zusätzlich voraus, dass der Tatbestand von Art. 6 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 erfüllt ist. Es muss also schon der Start mit einer Verzögerung erfolgen, die die zulässigen Grenzen übersteigt.

Beträgt die Entfernung zwischen Abflugort und Zielort über 3.500 km und verspätet sich der Abflug aufgrund technischer Probleme um weniger als 4 Stunden, so liegt  keine relevante Abflugverspätung vor.

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das am 21.03.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. 30 C 2118/10 (75), wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

5. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Leistung einer Ausgleichszahlung in Höhe von 600,- Euro wegen eines verspäteten Fluges gemäß der Fluggastrechteverordnung i.V.m. der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH.

6. Der Kläger war Passagier eines Langstreckenfluges der Beklagten, Flugnummer … von Varadero (Kuba) nach Frankfurt/Main. Der Abflug in Varadero erfolgte am 17.01.2010 mit einer Abflugverspätung von 1 Std. 25 Min. wegen eines technischen Defektes der Maschine an einem Hochdruckventil. Insoweit erfolgten vor Ort von einem von der Beklagten zur Mängelbehebung beauftragten Unternehmens Reparaturarbeiten an diesem Hochdruckventil (HPSOV).

7. Es kam sodann zu einer unplanmäßigen erforderlichen Zwischenlandung in Dublin, um letztlich eine erforderlich gewordene Auswechslung des Hochdruckventils (HPSOV) vorzunehmen.

8. Die Maschine landete dann am 18.01.2010 nicht planmäßig um 13:10 Uhr (Ortszeit), sondern erst um 16:44 Uhr in Frankfurt/M.. Es lag eine Ankunftsverspätung von 3 Std. 34 Min. vor.

9. Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm wegen eines verspäteten Fluges gemäß der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) i.V.m. der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,- Euro zustünde.

10. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 12.04.2010 sowie an unverzinslichen Kosten 83,54 Euro zu zahlen,

12. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt die Klage abzuweisen.

13. Die Beklagte ist der Ansicht, dass angesichts der Tatsache, dass sich die Verspätung nicht in der Abflugverspätung manifestiert habe, die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der FluggastrechteVO nicht gegeben seien.

14. Die Beklagte beruft sich im Weiteren auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

15. Die Beklagte ist schließlich der Ansicht, dass in analoger Anwendung des Art. 7 Abs. 2 a der VO (EG) 261/2004 überhaupt nur eine Ausgleichszahlung i.H.v. 50% in be- Bracht komme.

16. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 21.03.2011 (Bl. 71 d.A.) gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

17. Durch dieses Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

18. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass die begehrte Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung nicht gerechtfertigt sei. Auf der Grundlage der Rechtsprechung der Kammer ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass vorliegend kein Fall der großen ausgleichszahlungspflichtigen Verspätung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vorliege. Diesbezüglich sei auch Voraussetzung, dass eine Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 I FluggastrechteVO vorliege, die hier jedoch nicht gegeben sei.

19. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 71 / 72 d.A.) Bezug genommen.

20. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

21. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

22. Der Kläger beantragt unter Abänderung des am 21.03.2011 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az.: 30 C 2118/10-75 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.04.2010 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro zu zahlen.

23. Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.

24. Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

25. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

26. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

27. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen auf Zahlung einer Ausgleichsleistung wegen eines verspäteten Fluges gem. Art. 5, 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 251/2004  i.V.m. der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 19.11.2009 – Sturgeon NJW 2010, 43ff.) in Höhe der geltend gemachten 600,- Euro.

28. Der EuGH hat im Urteil vom 19.11.2009 entschieden, dass die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Flugs einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (NJW 2010, 43, 46/47 Ziffer 69).

29. Dies folge daraus, dass die von den Fluggästen im Fall einer Annullierung und einer Verspätung erlittenen Schäden einander entsprächen und die Fluggäste verspäteter Flüge und annullierter Flüge deshalb nicht unterschiedlich behandelt werden könnten, ohne dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Damit hat er entschieden, dass der Ausgleichsanspruch auch Fluggästen verspäteter Flüge zustehen kann.

30. Es hat sich im Hinblick auf das genannte Urteil des EuGH die Frage aufgetan, ob für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 I FluggastrechteVO allein die Dauer der Verspätung am letzten Zielort maßgeblich ist oder ob ein Ausgleichsanspruch wegen Verspätung zusätzlich voraussetzt, dass der Tatbestand von Art. 6 I FluggastrechteVO erfüllt ist, also schon der Start mit einer Verzögerung erfolgt ist, die die in Art. 6 I FluggastrechteVO definierten Grenzen übersteigt.

31. Die Kammer vertritt die Auffassung, dass für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 I FluggastrechteVO wegen Verspätung zusätzliche Voraussetzung ist, dass der Tatbestand von Art. 6 I FluggastrechteVO erfüllt ist, also schon der Start mit einer Verzögerung erfolgt ist, die die in Art. 6 I FluggastrechteVO definierten Grenzen übersteigt (so auch Staudinger, RRa 2010, 10, 11/12).

32. Der EuGH hat nämlich anerkannt, dass der von der Verordnung vorgesehene Ausgleich durch verschiedene Formen von Maßnahmen verwirklicht wird, die Gegenstand von Regelungen sind, die an die Nichtbeförderung oder die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs anknüpfen (aaO Rn. 51). Er hat die Gleichstellung von Fluggästen verspäteter und annullierter Flüge nicht allein mit dem Gleichheitssatz begründet, sondern aus dem Gleichheitssatz lediglich ein zusätzliches Argument (aaO Rn. 46) für das zuvor aus der Auslegung des verfügenden Teils des Gemeinschaftsrechtsakts unter Berücksichtigung seiner Gründe und seiner Ziele abgeleitete Ergebnis gewonnen.

33. Der Ausgleichsanspruch folgt danach primär aus der Verknüpfung, die der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 15 zwischen dem Begriff der großen Verspätung und dem Ausgleichsanspruch vorgenommen hat (aaO Rn. 43), und der Zielsetzung der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung eines Flugs betroffen sind (aaO Rn. 44). Dies schließt es aus, der Verordnung Ansprüche zu entnehmen, die nicht an einen der Tatbestände der Art. 4 bis 6 FluggastrechteVO anknüpfen, sondern an die Ankunftsverzögerung, die nach der Verordnung lediglich für die Prüfung der Frage von Bedeutung ist, ob der Ausgleichsanspruch entfällt (Art. 5 Abs. 1 Buchst, c FluggastrechteVO).

34. Das Amtsgericht hat seiner Entscheidung die dargestellte Auffassung der Kammer zugrunde gelegt.

35. Die Kammer verbleibt bei der Auffassung, dass das Urteil des EuGH vom 19.11.2009 in der geschilderten Weise zu interpretieren ist, also dass neben einer Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden auch eine Abflugverspätung gem. Art. 6 I FluggastrechteVO erforderlich ist.

36. Da vorliegend die Entfernung zwischen dem Abflugort Varadero (Kuba) und dem Zielort Frankfurt am Main über 3.500km beträgt, bedurfte es für die Gewährung einer Ausgleichszahlung gem. Art. 7 FluggastrechteVO einer Abflugverspätung gem. Art. 6 I c) FluggastrechteVO von mindestens 4 Stunden.

37. Der Abflug in Varadero verspätete sich aufgrund technischer Probleme jedoch „nur“ um 1 Std. 25 Min.. Danach lag keine relevante Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 I c) FluggastrechteVO vor.

38. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der unplanmäßigen Zwischenlandung in Dublin, selbst wenn man davon ausginge, dass die unplanmäßige Zwischenlandung dem ursprünglichen technischen Defekt in Varadero geschuldet war.

39. Unstreitig hat auch diese Zwischenlandung in Dublin nicht dazu geführt, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Abflugverspätung von mindestens vier Stunden Vorgelegen hat. Dieser Punkt ist in der mündlichen Berufungsverhandlung auch ausdrücklich erörtert worden. Insoweit hat die Kammer dargelegt, dass von der unstreitigen Tatsache auszugehen ist, dass zu keinem Zeitpunkt eine Verspätung von mindestens vier Stunden Vorgelegen hat. Dem sind die Parteien nicht entgegengetreten.

40. Selbst wenn man daher die Verzögerungen (Abflugverspätung in Varadero plus unplanmäßige Zwischenlandung in Dublin) aufgrund der Annahme eines einheitlichen technischen Defekts zusammenaddiert, kommt man nicht auf eine Abflugverspätung von mindestens 4 Stunden.

41. Nach all dem liegen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Ausgleichszahlung nach der FluggastrechteVO nicht vor.

42. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

43. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO vorliegen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.

44. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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