Anwendungsbereich der mehrwertsteuerrechtlichen Sonderregelung für Reisebüros

BFH: Anwendungsbereich der mehrwertsteuerrechtlichen Sonderregelung für Reisebüros

Die Betreiberin eines Reisebüros veräußerte Opernkarten sowohl in Zusammenhang mit von ihr erbrachten Leistungen (z. B. Stadtführungen) als auch ohne solche Leistungen. Um die Frage zu klären, ob Umsätze aus isoliertem Verkauf von Opernkarten unter die mehrwertsteuerrechtliche „Sonderegelung für Reisebüros“ der Richtlinie 77/388/EWG fallen, leitet der BFH diesen Revisionsfall zur Klärung an den EuGH weiter.

BFH 10.12.2009 (XI R 39/08)
BFH: BFH, Urt. vom 10.12.2009
Rechtsweg: BFH, Urt. v. 10.12.2009, Az: XI R 39/08
FG Sachsen, Urt. v. 06.02.2008, Az: 5 K 80/03
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Bundefinanzhof

1. Urteil vom 10. Dezember 2009

Aktenzeichen XI R 39/08

Leitsatz:

2. Weiterleitung an den EuGh, um den Anwendungsbereich der mehrwertsteuerrechtlichen „Sonderregelung für Reisebüros“ der Richtlinie 77/388/EWG zu konkretisieren.

Zusammenfassung:

3. Die Betreiberin eines Reisebüros hatte in Zusammenhang mit von ihr erbrachten Leistungen (z. B. Stadtführungen) aber auch ohne Kombination mit solchen Leistungen in ihrem Reisebüro Opernkarten veräußert.

Es geht in diesem Fall um die Frage, ob Umsätze aus isoliertem Verkauf von Opernkarten unter die mehrwertsteuerrechtliche „Sonderegelung für Reisebüros“ in Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG fallen.  Der BFH leitet diesen Revisionsfall zur Klärung an den EuGH weiter, um eine präzisere Auslegung der Sonderlegelung zu erhalten.

Tatbestand:

4. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Reisebüro. U.a. erwarb sie in den Jahren 1993 bis 1998 (Streitjahre) von einer Oper Eintrittskarten und veräußerte diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Endabnehmer und Reisebüros entweder im Zusammenhang mit anderen von ihr erbrachten Leistungen (Unterbringung, Stadtführung, Shuttleservice, Bewirtung) oder ohne solche Leistungen.

5. Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob der Verkauf von Karten an Endabnehmer ohne zusätzlich erbrachte Leistungen der Margenbesteuerung nach § 25 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) unterliegt.

6. Das Finanzgericht hat die Klage der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1997 vom 28. September 2000 und den Umsatzsteuerbescheid für 1998 vom 27. März 2001, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2002 abgewiesen. Es hat dies in dem noch streitigen Punkt damit begründet, die Sonderregelung des § 25 UStG erfasse nur die bei Durchführung einer Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze als einheitliche Dienstleistung an den Reisenden. Soweit die Klägerin aber lediglich durch An- und Verkauf von Eintrittskarten tätig werde, erbringe sie gerade nicht die Dienstleistung „Durchführung einer Reise“. Ihre Tätigkeit unterscheide sich insoweit nicht von der Tätigkeit anderer gewerblicher Eintrittskartenverkäufer.

7. Der Senat hat die Revision der Klägerin gegen dieses Urteil und ferner die angefochtenen Bescheide bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens insoweit von der Vollziehung ausgesetzt, als die Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten nicht dem Regelsteuersatz zu unterwerfen, sondern nach § 25 Abs. 3 UStG zu versteuern sind.

8. Zur Begründung hat der Senat in seinem Beschluss in BFH/NV 2009, 232 dargelegt, im Streitfall sei ernstlich zweifelhaft, ob ausschließlich die Erlöse eines Reisebüros aus dem Verkauf von Veranstaltungskarten im Rahmen eines Leistungsbündels oder auch die Erlöse aus dem Einzelkartenverkauf der Margenbesteuerung i.S. von § 25 UStG unterliegen könnten. Zu klären sei, ob die Rechtsprechung im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. November 1992 Rs. C-163/91 –Van Ginkel– (Slg. 1992, I-5723, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 1995, 302) auch für den alleinigen Verkauf von Eintrittskarten gelte.

9. Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen ausgeführt, der Verkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen durch ein Reisebüro sei als Reiseleistung i.S. von § 25 UStG einzustufen. Das Reisebüro biete mit dem Besuch z.B. einer kulturellen Veranstaltung ein Angebot aus seinem Portfolio von verschiedenen Reisemöglichkeiten und Reisedienstleistungen an. Die Einstufung als Reiseleistung liege damit gerade in seiner Tätigkeit als Reisebüro begründet.

10. Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1997 vom 28. September 2000 und den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 27. März 2001, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten der Besteuerung nach § 25 UStG unterworfen werden.

11. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

II.

12. Der Senat legt dem EuGH die im Leitsatz wiedergegebene Frage zur Vorabentscheidung vor und setzt das Revisionsverfahren aus.

13. Im Streitfall ist entscheidungserheblich, ob die Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten bei richtlinienkonformer Auslegung des § 25 UStG unter diese Sonderregelung fallen.

14. 1. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen

15. a) Nationales Recht

16. § 25 UStG über die „Besteuerung von Reiseleistungen“ bestimmt u.a.:

17. „(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. … Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen. (2) …

18. (3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage …“

19. b) Gemeinschaftsrecht

20. § 25 UStG setzt Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) in nationales Recht um.

21. Abschnitt XIV, „Sonderregelungen“, der Richtlinie 77/388/EWG enthält den mit „Sonderregelung für Reisebüros“ überschriebenen Art. 26, dessen Abs. 1 und 3 lauten:

22. „(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c) anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.

23. (3) Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt.“

24. 2. Zur Anrufung des EuGH

25. § 25 UStG stellt vorrangig auf die Art der Leistung („Reiseleistungen“) ab. Dagegen spricht Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG primär gegenüber Reisenden ausgeführte Umsätze bestimmter Unternehmer der Reisebranche an.

26. Der EuGH hat zu Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG in seinem Urteil Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 entschieden, dass die Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter auch dann anzuwenden ist, wenn diese nicht die Beförderung des Reisenden übernehmen, sondern sich darauf beschränken, dem Reisenden eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen.

27. Der Senat hält es aus folgenden Gründen für zweifelhaft, ob diese zur Vermietung einer Ferienwohnung als einer typischen Reiseleistung ergangene Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen für den isolierten Verkauf von Opernkarten gilt.

28. a) Der EuGH hat sein Urteil Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 (Randnr. 21 ff.) wie folgt begründet:

29. „21 Nach Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dieser Artikel anwendbar, wenn der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden im eigenen Namen und nicht als Vermittler handelt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, bei dem der Rechtsstreit über die Anwendung dieses Artikels anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts, insbesondere der vertraglichen Verpflichtungen des Reiseveranstalters gegenüber dem Reisenden, zu entscheiden, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.

30. 22 Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie macht es jedoch nicht zum Tatbestandsmerkmal der Mehrwertsteuer-Sonderregelung des Artikels 26, dass die Anreise des Reisenden zum Ort der Unterkunft und seine Abreise vom Reiseveranstalter erbracht wird.

31. 23 Eine solche Auffassung liefe nämlich den Zwecken des Artikels 26 der Richtlinie zuwider. Wie bereits ausgeführt, passt Artikel 26 die Mehrwertsteuervorschriften dem besonderen Wesen der Tätigkeit von Reiseveranstaltern an. Diese Veranstalter bieten, um den Wünschen der Kundschaft zu entsprechen, sehr unterschiedliche Ferien- und Reiseformen an, die es dem Reisenden erlauben, nach seinen Vorstellungen Beförderungs-, Unterkunfts- und sonstige Leistungen zu kombinieren, die diese Veranstalter erbringen können. Würden vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie Leistungen eines Reiseveranstalters ausgeschlossen, die nur die Unterkunft und nicht die Beförderung des Reisenden umfassten, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.

32. 24 Dass ein Reiseveranstalter einem Reisenden nur eine Ferienwohnung zur Verfügung stellt, ist somit kein hinreichender Grund dafür, diese Leistung vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Richtlinie auszuschließen. Wie der Gerichtshof im Übrigen in seinem Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C-280/90 (Hacker, Slg. 1992, I-1111) zur Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ausgeführt hat, kann die vom Reiseveranstalter erbrachte Leistung selbst dann mehr als eine Leistung umfassen, wenn nur die Unterkunft erbracht wird, da neben die Vermietung der Wohnung noch Leistungen wie die Unterrichtung und Beratung treten, durch die der Reiseveranstalter für Ferien- und Wohnungsbuchungen eine große Auswahl anbietet. Somit besteht kein Grund solche Leistungen vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie auszuschließen, soweit der Eigentümer oder Nutznießer der Wohnung, mit dem der Veranstalter einen Vertrag geschlossen hat, selbst mehrwertsteuerpflichtig ist, wie es Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie vorschreibt.“

33. b) Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht mit hinreichender Sicherheit den –im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des § 25 UStG zu berücksichtigenden– Anwendungsbereich von Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu entnehmen.

34. aa) Einerseits könnten die Ausführungen in Randnr. 23 des Urteils Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 bedeuten, dass eine Einzelleistung eines Reisebüros oder Reiseveranstalters nur dann unter Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG fällt, wenn sie in einer der Kernleistungen der von dieser Bestimmung erfassten Wirtschaftsteilnehmer, nämlich entweder in einer Beförderungsleistung oder in einer Unterbringungsleistung (z.B. Vermietung einer Ferienwohnung), besteht.

35. bb) Andererseits spricht die Begründung in Randnr. 21 des Urteils Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 dafür, dass Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG –unabhängig von der Art der erbrachten Leistung und deren Bezug zu einer Reise– bereits dann anwendbar ist, wenn das Reisebüro oder der Reiseveranstalter im eigenen Namen und nicht als Vermittler handelt.

36. Dafür lässt sich auch das EuGH-Urteil vom 13. Oktober 2005 Rs. C-200/04 –IST– (Slg. 2005, I-8691, BFH/NV Beilage 2006, 34) anführen, in dem es zum Anwendungsbereich von Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG in Randnr. 34 heißt:

37. „34. Zwar enthält dieser Artikel keine Definition des Reisebegriffs. Doch ist es für seine Anwendung nicht erforderlich, dass die Bestandteile der Reisen vorher näher angegeben werden. Er ist nämlich anwendbar, sofern der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Eigenschaft eines Wirtschaftsteilnehmers im Sinne der Sonderregelung für Reisebüros besitzt, dass er im eigenen Namen auftritt und dass er für seine Umsätze Lieferungen und Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt. Insbesondere ist bei den nach Artikel 26 der Sechsten Richtlinie zu besteuernden Umsätzen eines Wirtschaftsteilnehmers das einzige relevante Kriterium für die Anwendung dieses Artikels der Haupt- oder Hilfscharakter der Reiseleistung.“

38. cc) Die Klärung dieser Zweifel, wie der Anwendungsbereich des Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu bestimmen ist, ist dem EuGH vorbehalten.

39. 3. Die Anrufung des EuGH beruht auf Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

40. 4. Die Aussetzung des Revisionsverfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

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