Schadensersatz bei Ausfall des gebuchten Fluges wegen Streik

LG Frankfurt: Schadensersatz bei Ausfall des gebuchten Fluges wegen Streik

Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Flug von Genf nach Ibiza zum Zwecke eines Kurzurlaubs. Von Deutschland nach Genf wurde sie durch ein anderes Luftverkehrsunternehmen befördert. Der bei der Beklagten gebuchte Flug ist jedoch wegen eines Personalstreiks ausgefallen. Die Klägerin bemühte sich erfolglos um eine Umbuchung für einen Weiterflug und war schließlich gezwungen einen Rückflug nach Deutschland auf eigene Kosten zu nehmen und ihren Urlaub zuhause zu verbringen. Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Kosten für den Rückflug und Schadensersatz für vertanen Urlaub. Die Beklagte berief sich auf ihre AGB, durch welche sie jede Haftung im Falle eines Streiks ausschloss.

LG Frankfut hat der Klägerin Recht zugesprochen und entschieden, dass der in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens ausbedungene Ausschluss jeglicher Haftung gegenüber Nichtkaufleuten unwirksam ist.

LG Frankfurt 2-24 S 173/85 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 12.01.1987
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 12.01.1987, Az: 2-24 S 173/85
AG Frankfurt, Urt. v. 17.o5.1985, Az: 32 C 673/85-75
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Hessen-Gerichtsurteile

Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 12.01.1987

Aktenzeichen: 2/24 S 173/85


Leitsatz
:

2. Fällt ein Flug aufgrund eines Personalstreiks aus, so macht sich das Luftverkehrsunternehmen gegenüber dem Fluggast schadensersatzpflichtig.

                                                                                                                                               

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Flug von Genf nach Ibiza zum Zwecke eines Kurzurlaubs. Von Deutschland nach Genf wurde sie durch ein anderes Luftverkehrsunternehmen befördert. Der bei der Beklagten gebuchte Flug ist jedoch wegen eines Personalstreiks ausgefallen. Die Klägerin bemühte sich erfolglos um eine Umbuchung für einen Weiterflug und war schließlich gezwungen einen Rückflug nach Deutschland auf eigene Kosten zu nehmen und ihren Urlaub zuhause zu verbringen. Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Kosten für den Rückflug und Schadensersatz für vertanen Urlaub. Die Beklagte berief sich auf ihre AGB durch welche sie jede Haftung im Falle eines Streiks ausschloss.

LG Frankfurt hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Eine AGB-Klausel durch welche jegliche Haftung ausgeschlossen werden soll ist gegenüber Nichtkaufleuten gemäß § 11 Nr.8 AGBG unzulässig, deshalb haftet die Beklagte für Verschulden ihrer Arbeitnehmer, die wegen des Streiks ihre vertragliche Pflichten nicht erfüllten nach § 278 BGB. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz der Rückflugkosten zu, da die Klägerin so zu stellen ist, wie sie ohne des schädigenden Ereignisses gestanden hätte und die Rückflugkosten nicht angefallen wären, wenn sie von der Beklagten befördert worden wäre. Der Klägerin steht auch ein Ersatzanspruch wegen vertaner Urlaubszeit, jedoch nicht nach § 651f Abs. 2 BGB, weil kein Reisevertrag vorliegt, sondern nach § 249 BGB.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts in Frankfurt am Main vom 17. Mai 1985 – 32 C 673/85-75 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 1.484,28 (in Worten: Eintausendvierhundertvierundachtzig 28/100 Deutsche Mark) nebst 9,5 % Zinsen seit dem 22. Dezember 1984 aus DM 1.474,68 und seit dem 28. Februar 1985 aus DM 9,60 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte DM 198,39 (in Worten: Einhundertachtundneunzig 39/100 Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August 1985 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 48,6 % und die Beklagte 51,4 %.

Tatbestand:

5. Die Klägerin buchte über ein Reisebüro für die Zeit vom 13. bis 23. September 1984 mehrere Flüge, so unter anderem bei der Beklagten für den 16.9.1984 einen Flug von Genf über Barcelona nach Ibiza zum Zwecke eines Kurzurlaubs. Dem Beförderungsvertrag mit der Beklagten lagen die …-Flugbeförderungsbedingungen zugrunde. In deren Artikel 10 Nr.2b ist bestimmt, daß der Luftfrachtführer „ohne Mitteilung und ohne für etwas anders zu haften als für die Rückerstattung des Flugpreises … einen Flug … streichen, beenden, verändern oder zurückstellen“ könne, wenn es aus folgenden Gründen ratsam erscheine:

6.“(i) wegen irgendeiner außerhalb seines Einflusses stehenden Tatsache (u.a.: Wetterbedingungen, Naturereignisse, acts of God, höhere Gewalt, Streiks …“

7. Am 30.7.1984 beschloß der Vorstand der Gewerkschaft des maschinentechnischen Wartungspersonals der Beklagten für den 13. bis 15.9.1984 einen Streik bei der Beklagten. Der Streik wurde dann am 14. und 15.9.1984 durchgeführt und erstreckte sich sodann auch noch auf den 16.9.1984. Dadurch fand der für den 16.9.1984 vorgesehene Flug von Genf nach Barcelona nicht statt. Die Klägerin erfuhr von der Annullierung dieses Fluges erst bei ihrer Ankunft in Genf am späten Nachmittag des 16.9.1984. Sie bemühte sich sodann erfolglos um eine Umbuchung für einen (Weiter-) Flug nach Barcelona bei der … Alsdann wartete sie auf weitere Informationen durch die Beklagte. Erst gegen 2.00 Uhr am nächsten Tag wurde sie von Angestellten der Beklagten zur Übernachtung in ein Hotel gebracht ohne daß ihr das Gepäck zur Verfügung stand. Auch am Morgen des 17.9.1984 erhielt sie von der Beklagten keine Zusage für einen Weiterflug. Die Klägerin flog sodann noch am selben Morgen auf eigene Kosten mit der … zurück nach Hause. Dort verbrachte sie dann auch ihren Kurzurlaub. Für den Rückflug wandte die Klägerin DM 1.128,– auf.

8. Diesen Betrag und einen weiteren Betrag in Höhe von DM 1.750,– als Schadensersatz für vertanen Urlaub zzgl. Kosten von DM 9,60 für eine Auskunft über die genaue Parteibezeichnung und Anschrift der Beklagten verlangt die Klägerin mit der vorliegenden Klage.

9. Sie hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte wegen des aufgrund Streiks ausgefallenen Fluges ihr auf Schadensersatz hafte. Sie hat behauptet, daß sie den Rückflug auch deshalb habe antreten müssen, weil sie aufgrund des langen Herumstehens auf dem Flughafen in Genf Rückenschmerzen bekommen habe, die sich aufgrund der Übernachtung in einem eiskalten Hotelzimmer verschlimmert hätten.

10. Die Beklagte hat der Klägerin entgegengehalten, daß sie nach den IATA-Bestimmungen für die Folgen eines Streiks nicht hafte.

11. Das Amtsgericht hat die Beklagte in Höhe eines Betrages von DM 1.748,– nebst Zinsen verurteilt. Der Klägerin stehe Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung zu. Die Beklagte habe ihre vertragliche Nebenpflichten verletzt, indem sie die Kläger über den Ausfall des Fluges nicht informiert und auch sonst nicht für Abhilfe gesorgt habe. Der Haftungsausschluß nach den IATA-Bedingungen greife nicht für Streiks im eigenen Bereich ein. Der Schadensersatz bestehe in den Rückflugkosten und in einem Ersatzurlaub von 7 Tagen.

12. Am 30.7.1985 ging bei der Klägerin, von der Beklagten auf das Urteil gezahlt, ein Betrag von DM 1.767,90 ein.

13. Gleichzeitig hat die Beklagte gegen das ihr am 2.7.1985 zugestellte Urteil am 29.7.1985 Berufung eingelegt und diese nach den Gerichtsferien am 8.10.1985 begründet.

14.  Sie ist der Ansicht, daß die Klägerin als Kunde der Beklagten das Streikrisiko zu tragen habe. Der Streik sei rechtmäßig gewesen. Sie habe zwar von dem Streik gewußt, aber nicht, daß er auf den Folgetag (16.9.1984) ausgedehnt werden würde. Die Beklagte behauptet, die Klägerin hätte auch noch am nächsten Tag fliegen können.

15. Gleichzeitig verlangt die Beklagte Rückzahlung des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil gezahlten Betrages.

16. Sie beantragt,

17. 1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage auch im übrigen abzuweisen;

18. 2. die Klägerin zu verurteilen, an sie einen Betrag von DM 1.767,90 nebst 4% Zinsen seit dem 1.August 1985 zu zahlen.

19. Die Klägerin beantragt,

20. die Berufung (einschließlich des Antrages zu 2.) zurückzuweisen.

21. Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es eine Verurteilung der Beklagten ausspricht. Im übrigen macht sie die ihr vom Amtsgericht aberkannten Schadensbeträge im Wege der Anschlußberufung geltend und beantragt,

22. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere DM 1.139,60 nebst 9,5% Zinsen seit dem 5.12.1984 zu zahlen.

23. Die Beklagte beantragt,

24. die Anschlußberufung zurückzuweisen.

25. Sie verweist insoweit auf ihr Berufungsvorbringen.

26. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

27. I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist jedoch nur in der Höhe zum Teil begründet.

28. Die Klägerin kann von der Beklagten wegen Ausfall eines gebuchten Fluges aufgrund Streiks gemäß § 325 Abs.1 BGB Schadensersatz verlangen. Die Parteien gehen insoweit übereinstimmend von der Anwendbarkeit Deutschen Rechts aus.

29. Die Parteien haben einen Beförderungsvertrag geschlossen, der nachträglich unmöglich geworden ist, da die Beklagte die für den 16.9.1984 geschuldeten Beförderung nicht durchführen konnte.

30. A. Daß ihr die geschuldete Beförderung der Klägerin unmöglich geworden ist, hat die Beklagte zu vertreten; denn der Streik ihrer Angestellten war ihr gemäß § 278 BGB zuzurechnen.

31. Die Frage, welche Rechtsfolgen ein Streik auf das Vertragsverhältnis des Arbeitgebers zu Dritten auslöst, ist – soweit feststellbar – in jüngerer Zeit höchstrichterlich noch nicht entschieden. In der Literatur werden dazu unterschiedliche Auffassungen mit ebenso unterschiedlichen Ergebnissen vertreten.

32. So wird die Ansicht vertreten, daß der Arbeitgeber = Schuldner bei streikbedingter Unmöglichkeit der Leistung nach § 323 BGB von seiner Leistungspflicht befreit sei, da es in diesen Fäll zu einer Kollision zwischen dem kollektiven Arbeitsrecht und dem Zivilrecht komme, wobei dem kollektiven Arbeitsrecht der Vorrang gebühre (Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7.Aufl., Bd.II., 2.Halbband, S.957; Schmid, NJW 1979, 15 (18)). Dabei wird davon ausgegangen, daß die Tarifautonomie und die darin liegende Verantwortung der Sozialpartner für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung einen höherrangigen Wert darstelle als die Vertragstreue des Zivilrechts.

33. Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, daß kollektives Arbeitsrecht einerseits und ziviles Vertragsrecht andererseits strikt zu trennen seien und sich deshalb die Rechtsfolgen von Leistungsstörungen aufgrund von Arbeitskämpfen ausschließlich nach Zivilrecht richten müßten, weil das Arbeitskampfrisiko beider Sozialpartner auch die vertragliche Haftung mitumfasse und diese Haftung nicht generell auf Dritte überlagert werden dürfe (vgl. Bulla, Betr. 1963, 755).

34. Nach einer weiteren in der Literatur vertretenen Auffassung soll die vorliegende Frage unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Leistungserfüllung für den Schuldner = Arbeitgeber beantwortet werden können. Danach soll der Schuldner = Arbeitgeber streikbedingte Leistungsstörungen dann zu vertreten haben, wenn er entweder „schuldhaft“ den Streik verursacht oder trotz eines drohenden Streiks die Leistungsverpflichtung übernommen hat, ohne sich von der Haftung freizuzeichnen oder sonst Vorsorge zu treffen (sog. Übernahme- oder Vorsorgeverschulden) (Esser, JZ 1963, 489 f; Hohn, Betr.1965, 501 (502 f); Siebrecht, Das Recht im Arbeitskampf (3.Aufl. 1964), S. 123 f; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht (1965), S. 260; Däubler, Arbeitskampfrecht (1984), Rdnr. 839). Insbesondere Löwisch (AcP 174 (1974), 203 (240 f) hat bei der von ihm vertretenen Auffassung allein auf ein Übernahme-, Versorge- und Abwendungsverschulden des Arbeitgebers abgestellt.

35. Die beiden letzten Entscheidungen des Reichsgerichts vom 4.3.1922 (RGZ 104, 150 f) und vom 16.2.1925 (RGZ 110, 209 f) gehen grundsätzlich davon aus, daß der Unternehmer die Leistungsstörungen aufgrund von streikbedingtem Arbeitsausfalle seiner Angestellten gemäß § 278 BGB zu vertreten hat; denn eine höhere Gewalt liege deshalb nicht vor, weil die Leistungsstörung ihre eigentliche Ursache nicht außerhalb des Betriebes habe, sondern in dem Betriebskreis des Unternehmens falle. Auch die Kammer hat bereits entschieden, daß sich ein Unternehmer nicht mit dem Hinweis auf einen Streik entlasten könne, da ein Streik keine höhere Gewalt darstelle und ein rechtmäßiger Arbeitskampf grundsätzlich voraussehbar sei. Insbesondere habe der Unternehmer auch für das Fehlverhalten seiner Angestellten als Erfüllungsgehilfen einzustehen.

36. Die Auffassung, wonach das kollektive Arbeitsrecht als höherrangig gegenüber dem Zivilrecht anzusehen sei mit der Folge, daß der Schuldner gemäß § 323 BGB von der Leistung befreit werde, ist abzulehnen. Abgesehen davon, daß es an einer überzeugenden Begründung für diese Bewertung der Rechtsgebiete fehlt, hätte diese Ansicht zur Folge, daß die Sozialpartner ihre Arbeitskämpfe weitgehend zu Lasten (meist) unbeteiligter Dritter führen würden. Zudem würde diese Auffassung im Endergebnis nur einen der beteiligten Sozialpartner begünstigen, nämlich die Arbeitgeber, da suspendierte oder aufgehobene Leistungspflichten der Arbeitnehmer im Verhältnis zu Dritten praktisch kaum vorkommen dürften, hingegen die vom Arbeitskampf betroffenen Unternehmer durch die generelle Haftungsfreistellung erhebliche wirtschaftliche Vorteile genießen würden. Diese Situation würde letztlich einen Sozialpartner während des Arbeitskampfes wirtschaftliche stärken, was mit der staatlichen Neutralität während eines Arbeitskampfes nicht zu vereinbaren ist.

37. Im übrigen ist die dogmatische Begründung dafür, daß § 278 BGB deswegen keine Anwendung finden könne, weil dem Schuldner Arbeitgeber die Erfüllungsgehilfen im Streikfalle gar nicht zur Verfügung stünden (Löwisch a.a.O. S.250 f; Esser a.a.O. S.492; Lauschke, Betr. 1966, 137 (139); Däubler a.a.O. Rdnr. 837), deshalb abzulehnen, weil die Folge einer nicht übersehbare Aushöhlung der Erfüllungshaftung wäre. So ist z.B. der Unterschied zwischen krankheitsbedingtem und streikbedingtem Ausfall der Erfüllungsgehilfen nicht nachvollziehbar zu begründen, da in beiden Fällen dem Schuldner = Arbeitgeber der Erfüllungsgehilfe nicht mehr zur Verfügung steht. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 278 BGB ist es aber auch, das Risiko der Verfügbarkeit der Erfüllungsgehilfen dem Schuldner = Arbeitgeber aufzuerlegen; denn er kann durch den generellen Einsatz der Erfüllungsgehilfen Leistungspflichten übernehmen, die den Rahmen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit weit überschreiten. Diesem Vorteil des Schuldners = Arbeitgebers steht andererseits das Risiko der Nichtverfügbarkeit der Erfüllungsgehilfen gegenüber.

38. Aber auch die Auffassung, die Schuldnerhaftung des Unternehmers nach besonderen Zumutbarkeitskriterien bemessen zu wollen, führt zu keinem sachgerechten Ergebnis. Letztlich soll nämlich entscheidend sein, ob es dem Schuldner = Arbeitgeber zumutbar ist, wegen seiner Leistungsverpflichtungen einen Streik abzuwenden oder zu beenden, indem er den Forderungen der Streikenden nachgibt. Verlangt man aber damit innerhalb eines zwischen einem der Sozialpartner mit einem Dritten geführten Rechtsstreits die Entscheidung einer solchen Zumutbarkeitsfrage, führt dies in letzter Konsequenz dazu, daß die ordentlichen Gerichte über die „Zumutbarkeit“ von Streikforderungen zu entscheiden haben. Eine derart vorgenommene Bewertung der Auseinandersetzung zwischen den Sozialpartnern durch die ordentliche Gerichte ist mit der Tarifautonomie jedoch nicht vereinbar.

39. Soweit darauf abgestellt wird, daß im Falle eines sog. Übernahme (Vorsorge-, Abwendungs-) Verschuldens der Unternehmer die Unmöglichkeit zu vertreten habe, ist dies dogmatisch eher bei der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten einzuordnen (Verletzung von Informationspflichten als positive Vertragsverletzung; vgl. dazu BGH NJW 1974, 795).

40. Letztlich meint daher die Kammer derjenigen Auffassung den Vorrang einräumen zu müssen, die die streikbedingte Leistungsstörung nach § 325 Abs.1 BGB behandelt und dem Schuldner = Arbeitgeber den Streik seiner Angestellten gemäß § 278 BGB zurechnet. Soweit gegen diese Auffassung vorgebracht wird, daß die dadurch aufgeworfenen Haftungsfragen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Unternehmen führen, ist dem entgegenzuhalten, daß es dem Schuldner = Arbeitgeber unbenommen bleibt, mit seinen Vertragspartnern einen entsprechenden Haftungsausschluß zu vereinbaren. Derartige Freizeichnungsklauseln werden allgemein für grundsätzlich zulässig erachtet (Löwisch, Betr. 1962, 761 (762); derselbe AcP 174 (1974) 203 (252 f); Bulla, Betr. 1963, 755 (756); Schmid, NJW 1979, 15 (18); Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. A 71 f; vgl. Brox-Rüthers a.a.O. S. 260). Darauf hingewiesen werden muß allerdings, daß der Ausschluß jeglicher Haftung gegenüber Nichtkaufleuten gemäß § 11 Nr.8 AGBG unzulässig ist (Hanau in MüKo, BGB, § 278 Rdnr.13; vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rdnr. A 77).

41. Schon aus diesem Grunde kann die Beklagte der Klägerin nicht die Haftungsfreizeichnungsklausel nach Art.10 Nr.2 b IATA-Bedingungen entgegenhalten. Bei der Haftungsfreizeichnungsklausel der Beklagten handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 1 Abs.1 AGBG. Der Anwendungsausschluß gemäß § 23 Abs.2 Nr.1 und 3 AGBG findet auf die Beförderungsbedingungen eines Luftverkehrsunternehmens keine Anwendung, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Bedingungen mit den Empfehlungen der IATA decken (Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdnr.205; vgl. BGH, NJW 1983, 1322). Unter diesen Umständen kann letztlich hier dahingestellt bleiben, ob die Freizeichnungsklausel der Beklagten für Streiks überhaupt für betriebsinterne Streiks, d.h. Streiks des eigenen Personals, gilt, was das Amtsgericht mit zutreffenden Gründen verneint hat.

 42. B. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß die Beklagte der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet ist. Dies ließe sich darüber hinaus auch damit rechtfertigen, daß die Beklagte nebenvertragliche Informations- und Folgenbeseitigungspflichten verletzt hat. Es geht nicht an, daß die Beklagte die von dem Streik betroffenen Flugpassagiere einfach ohne jegliche Information stundenlang stehen und warten läßt. Sie wäre nicht nur verpflichtet gewesen, die Klägerin und andere Betroffene über die Auswirkungen des Streiks und vor allem über die Dauer zu informieren, sondern hätte darüber hinaus die Klägerin auf die Möglichkeit anderweitiger Flüge bei anderen, nicht bestreikten Fluggesellschaften hinzuweisen und ihr sogar diese Möglichkeiten selbst verschaffen müssen. Zumindest hätte die Beklagte die Klägerin davon unterrichten müssen, wann mit der Wiederaufnahme eines ordnungsgemäßen Flugbetriebes hätte gerechnet werden können, zumal ja nach dem Vortrag der Beklagten der Streik ohnehin zu Ende gegangen ist.

43. Die Beklagte hat jedoch nichts dergleichen getan.

44. C. Der Klägerin ist auch ein Schaden in der von der Kammer zuerkannten Höhe entstanden.

45.  Soweit der Klägerin Kosten für ihren Heimflug aufwenden mußte, ist die Beklagte gemäß § 249 BGB verpflichtet, diesen Betrag zu ersetzen; denn die Klägerin ist so zu stellen, wie sie gestanden hätte, wenn das schädigende Ereignis (Ausfall des Fluges nach Ibiza) nicht stattgefunden hätte. Hätte die Beklagte aber ihrer Beförderungspflicht genügt, wären der Klägerin die Kosten für den Flug Genf/Hannover nicht entstanden.

46. Ein Mitverschulden der Klägerin am Entstehen dieses Schadens in Höhe von DM 1.128,– vermag die Kammer nicht zu erkennen. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, genau vorzutragen, wann die Klägerin innerhalb angemessener Zeit doch noch nach Ibiza hätte fliegen können. Hierzu hat sie jedoch nichts vorgetragen.

47. D. Der Klägerin steht darüber hinaus auch ein Schadensersatzanspruch wegen vertanen Urlaubs zu. Dieser Anspruch ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 651 f Abs.2 BGB, weil es sich im vorliegenden Falle nicht um einen Reisevertrag handelt. Ein gleicher Anspruch ergibt sich aber auch aus § 249 BGB; denn es handelt sich insoweit um einen Anspruch vermögensrechtlicher Natur (Kammerurteil vom 14.3.1983 – NJW 1983, 1127 (1128)). Insoweit ist § 651 f Abs.2 BGB nur eine konkrete Ausgestaltung des allgemeinen § 249 BGB. Es ist deshalb auch gerechtfertigt, den Rechtsgedanken des § 651 f Abs.2 BGB innerhalb des § 249 BGB dort anzuwenden, wo es darum geht, daß ein Urlaub wegen Ausfalls einer Reise an den Urlaubsort nicht durchgeführt werden kann.

48.  Die Kammer ist sich bewußt, daß sie damit in der dogmatischen Begründung von der Auffassung des BGH (Urteil vom 17.1.1985 – NJW 1985, 906 (906/07) –; vgl. auch Urteil vom 20.9.1982 – NJW 1983, 218 (220) –) abweicht, der in Abänderung seiner Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Reisevertragsrechts nunmehr in § 651 f Abs.2 BGB (auch) einen immateriellen Schadensersatzanspruch sieht. Im Ergebnis liegen beide Auffassungen aber keineswegs so weit auseinander. Denn auch der BGH hat in seinem Urteil vom 17.1.1985 (a.a.O. S.907) erkannt, daß § 253 BGB einer Anwendung des § 651 f Abs.2 BGB außerhalb des Reisevertragsrechts offensichtlich nicht entgegensteht.

49. So hat der BGH in dem vorgenannten Urteil – ausgehend davon, daß ein Ferienhausvertrag einen Werkvertrag darstellt (a.a.O. S.906; ebenso: Kammerurteile vom 19.11.1984 – NJW 1985, 330 – und vom 21.4.1986 – NJW-RR 1986, 854 –) – auch einem Ferienhausurlauber einen Schadensersatz wegen vertanen Urlaubs zugesprochen. Es könne nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber den Ferienhausurlauber bewußt habe schlechter stellen wollen als den Pauschalreisenden. Die Vergleichbarkeit der Interessenlage gebiete es wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung, auch ihm eine angemessene Entschädigung wegen vertanen Urlaubs zuzubilligen. Der Regelung des § 651 f Abs.2 BGB liege der Gedanke zugrunde, daß es sich um die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung eines Vertrages handele, dessen Zweck darauf gerichtet sei, dem Reisenden durch die versprochene Gestaltung der Urlaubszeit Urlaubsfreude zu ermöglichen. Die Zuerkennung eines derart begründeten Anspruchs lasse sich nicht auf den Reisevertrag im Sinne des § 651 a BGB beschränken; die Vorschrift des § 651 f Abs.2 BGB sei deshalb auf gleichgelagerte Sachverhalte entsprechend anzuwenden (a.a.O. S. 907).

50. Dies deckt sich mit der Auffassung der Kammer.

51. Die Kammer meint konsequenterweise, daß sie das, was der BGH dem Urlaubsreisenden mit der Einzelleistung „Unterkunft“ zuspricht, dem Urlaubsreisenden mit der Einzelleistung „Transport“ nicht glaubt versagen zu können. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum der Pauschalreisende gegenüber dem individuellen Urlaubsreisenden besser gestellt sein soll. Die völlig zutreffenden, am Normzweck ausgerichteten Erwägungen des BGH treffen auch auf den Individualreisenden zu. Insbesondere bei einem Urlaubsreisenden, der sowohl die Leistung „Transport“ als auch die Leistung „Unterkunft“ individuell bucht, ist nicht einzusehen, warum die eine Einzelleistung (Unterkunft) durch eine Norm entsprechend § 651 ff Abs.2 BGB „geschützt“ sein soll, die andere Einzelleistung (Transport) dagegen nicht.

52. Der Unterschied zwischen den Auffassungen der Kammer und derjenigen des BGH reduziert sich letztlich auf die rein dogmatische Frage, ob für außerreisevertragliche Sachverhalte § 651 f Abs.2 BGB „analog“ angewendet wird oder ob derselbe Schadensersatzanspruch wegen vertanen Urlaubs auch unmittelbar aus § 249 BGB hergeleitet werden kann. Dieser Unterschied ist jedoch in der praktischen Rechtsanwendung ohne Belang.

53. Dies ergibt sich auch daraus, daß auch nach Auffassung der Kammer ein Schadensersatzanspruch wegen vertanen Urlaubs nach § 249 BGB nicht ohne Beachtung des Schutzumfanges einer anspruchsbegründenden Norm gewährt werden kann. Entscheidend ist hier wie überall, ob zwischen dem vertanen Urlaub und der durch die Schädigung geschaffenen Gefahrenlage ein innerer Zusammenhang bestanden hat (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB Vorbem. § 249, 5 c, cc). Einen solchen Zusammenhang würde auch die Kammer nicht mehr sehen, wenn jemand z.B. an seiner Arbeitsstelle, beim Sport oder bei einem Verkehrsunfall (anders: auf der Fahrt zum Urlaubsort) verletzt worden wäre und infolgedessen einen bereits geplanten Urlaub nicht antreten könnte. Davon unberührt sind andere (!) materielle Schäden wegen Vereitelung eines Urlaubs (vgl. Palandt/Heinrichs a.a.O. Anm. 2 b ee).

54. Was die Höhe des Schadensersatzanspruches wegen vertanen Urlaubs anbelangt, so war im vorliegenden Falle zu berücksichtigen, daß die Klägerin lediglich einen Urlaub von 7 Tagen in Ibiza hat verbringen wollen. Unter Beachtung des Grundsatzes, daß auch ein zu Hause verbrachter Urlaub in der Regel noch einen Restwert hat (Kammerurteil vom 11.2.1980 – NJW 1980, 1286 –), kann die Klägerin lediglich den Gegenwert von 4 Tagen für einen Ersatzurlaub beanspruchen. Bei der Berechnung des Wertes dieses Ersatzurlaubes ist nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 14.3.1983 – a.a.O. –) vom Nettoeinkommen der Klägerin auszugehen. Bei einem Nettoeinkommen von DM 2.600,–, was einen Betrag von DM 86,67 pro Tag ergibt, kann die Klägerin für 4 Tage einen Betrag von DM 346,68 beanspruchen.

55. Auch die geltend gemachten DM 9,60, die die Klägerin dafür aufgewandt hat, um eine Auskunft über die Beklagte aus dem Gewerberegister einzuholen, stehen ihr zu; denn die Klägerin war nicht verpflichtet, bei der Beklagten nach dem konkreten Passivrubrum anzufragen. Angesichts der Schwierigkeiten, die entstehen können, wenn die Klägerin bei ihrer Klage ein falsches Passivrubrum angibt, ist eine Erstattungsfähigkeit in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht zu bejahen.

56. Unter den gegebenen Umständen kam es für die Bemessung des Schadensersatzes aufgrund der obigen Ausführungen nicht mehr darauf an, ob bei der Klägerin wegen der unzumutbar langen Wartezeit und einer späteren Unterbringung in einem eiskalten Hotelzimmer körperliche Beschwerden aufgetreten sind oder nicht.

57. E. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 284 Abs.1, 288 Abs.1 BGB, soweit die Schadensersatzbeträge betroffen sind, aus § 291 BGB, soweit es um die Auskunftskosten geht. Dabei war allerdings zu berücksichtigen, daß die Klägerin in ihrem anwaltlichen Mahnschreiben vom 5.12.1984 der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 21.12.1984 gesetzt hatte. Deshalb ist ein Verzug der Beklagten erst mit dem Folgetag (22.12.1984) eingetreten.

58. F. Die Gesamtforderung der Klägerin an die Beklagte in Höhe des im Tenor ausgeurteilten Betrages ist nicht durch die nach Erlaß des angefochtenen Urteils erfolgte Zahlung der Beklagten erloschen. Auch wenn die Zahlung durch die Beklagte nicht ausdrücklich unter Vorbehalt oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet worden ist, ergibt sich doch aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere aus der Berufungseinlegung, daß die Beklagte hier letztlich nur unter Vorbehalt Zahlung geleistet hat.

59. Soweit die Beklagte mehr gezahlt hat, als der Klägerin durch dieses Urteil der Kammer zugesprochen worden ist, war auf Antrag der Beklagten gemäß § 717 Abs.2 ZPO die Rückzahlung des nicht geschuldeten Mehrbetrages anzuordnen. Der entsprechende Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 291, 246 BGB (Zöller/Schneider, ZPO, § 717 Rdnr. 17).

60. II. Da der Klägerin weniger zusteht, als durch das angefochtene Urteil ausgeurteilt worden ist, mußte die Anschlußberufung der Klägerin in vollem Umfange erfolglos bleiben.

61. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs.1, 92 Abs.1, 97 Abs.1 ZPO und berücksichtigt das beiderseitige Obsiegen und Unterliegen.

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