Anspruch bei tatsächlicher Teilnahme an verspätetem Flug

LG Darmstadt: Anspruch bei tatsächlicher Teilnahme an verspätetem Flug

Die Kläger sollten von der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, von Hamburg nach Heraklion befördert werden. Der entsprechende Flug hatte allerdings 36 Stunden Verspätung, weswegen die Kläger entschieden, den Reisevertrag zu kündigen und den Flug nicht anzutreten. Sie fordern nun wegen der Flugverspätung von der beklagten Fluggesellschaft Ausgleichszahlungen i. H. v. 400,00 € pro Person i. S. d. Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004.

Das Landgericht Darmstadt sieht die Voraussetzung für einen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung i. S. d. Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004 wegen erheblicher Flugverspätung als nicht erfüllt an. Voraussetzung sei es demnach, dass der Fluggast tatsächlich verspätet befördert wurde, was im vorliegenden Fall nicht gegeben ist, weil die Kläger den Beförderungsvertrag eigenmächtig gekündigt hatten. Die Klage ist demnach abzuweisen.

LG Darmstadt 7 S 81/12 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 19.09.2012
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 19.09.2012, Az: 7 S 81/12
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 19.09.2012

Aktenzeichen: 7 S 81/12

Leitsatz:

2. Ansprüche auf Ausgleichzahlungen gegen ein Luftfahrtunternehmen aufgrund einer Flugverspätung können nur bestehen, wenn der betreffende Flug auf tatsächlich wahrgenommen wurde.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger fordern von der beklagten Fluggesellschaft Ausgleichszahlungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004 i. H. v. 400,00 €. Die hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der den Zielort mit einer Verspätung von 36 Stunden erreichte. Als die von diesem Umstand erfuhren, kündigten sie den Reisevertrag und traten die Reise nicht an. Die Beklagte ist nun der Ansicht, dass den Klägern kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zustünden, weil sie den unstreitig verspäteten Flug nicht wahrgenommen hätten.

Das Landgericht Darmstadt entscheidet Zugunsten der Beklagten und weist die Klage ab. Die Voraussetzung für einen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung i. S. d. Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004 wegen erheblicher Flugverspätung ist es, dass der Fluggast tatsächlich verspätet befördert wurde.

Bei einer Verspätung von 36 Stunden hätten die Kläger bei Antritt der Reise zweifelsfrei einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gehabt. Die sie den entsprechenden Vertrag jedoch eigenmächtig gekündigt hatten, könne dieser Anspruch nun nicht geltend gemacht werden.

Tenor:

4. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 26.03.2012, Az: 3 C 2647/11, wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene amtsgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 800,00 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

5. Die Kläger verlangen mit der am 29.12.2011 zugestellten Klage von der beklagten Fluggesellschaft Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004 in Höhe von jeweils 400,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten, weil der für den 25.05.2011 um 6.55 Uhr gebuchte Flug DE 3794 von Hamburg nach Heraklion nicht planmäßig durchgeführt wurde, sondern den Zielort mit einer Verspätung von 36 Stunden erreichte. Vor Durchführung des Fluges haben die Kläger am 26.05.2011 den Reisevertrag gegenüber ihrem Reiseveranstalter gekündigt und die Reise nicht angetreten.

6. Die Kläger sind der Ansicht, dass sie die Ausgleichsleistung auch dann verlangen könnten, wenn sie an dem Flug nicht teilgenommen hätten, da jede große Verspätung eines von ihnen gebuchten Fluges eine solche Zahlung rechtfertige.

7. Die Beklagte beantragte Klageabweisung, weil die Kläger nicht an dem Flug teilgenommen hätten.

8. Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 26.03.2012 die Klage abgewiesen.

9. In den Entscheidungsgründen hat das Amtsgericht ausgeführt, die Kläger seien aufgrund der eingetretenen Verspätung berechtigt vom Beförderungsvertrag zurückgetreten, daraus erwachse aber nur ein Anspruch auf Rückzahlung der Flugscheinkosten, nicht auch auf Zahlung der Ausgleichspauschale.

10. Gegen dieses Urteil haben die Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 06.07.2011 zu zahlen und die Kläger von den Honoraransprüchen ihres Bevollmächtigten in Höhe von 139,23 € freizustellen.

11. Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

12. Die Berufung der Kläger wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet, ist somit zulässig.

13. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg, weil ein Anspruch der Kläger auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nicht besteht.

14. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

15. Auf Grund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage nicht begründet.

16. Zwar legt der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) Art. 2 Buchst. I sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dahin aus, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

17. Gleichzeitig hat der EuGH und ihm folgend der BGH aber entschieden, dass die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen .

18. Der hier streitgegenständliche Flug DE 3794, der planmäßig am 25.05.2011 von Hamburg nach Heraklion durchgeführt werden sollte, war unstreitig in der Ankunft um mehr als drei Stunden verspätet.

19. Ob für die Zahlung der Ausgleichsleistung wegen einer großen Verspätung auch erforderlich ist, dass sich nicht nur die Ankunft, sondern auch der Abflug verzögert hat (vgl. Vorlageverfahren beim EuGH, Az: C-436/11), kann hier dahinstehen.

20. Unabhängig von der tatsächlich bestehenden Ankunftsverzögerung und wohl auch Abflugverzögerung steht den Klägern eine Ausgleichsleistung nämlich nicht zu.

21. Zwar dient die vom EuGH und BGH vorgenommene Analogie zwischen Annullierung und großer Verspätung dazu, die Fluggäste in diesen Fällen gleich zu behandeln.

22. Den Begründungen kann aber nicht entnommen werden, dass es für diese Analogie nur darauf ankommt, dass der Fluggast eine bestätigte Buchung für den dann verspätet durchgeführten Flug hat. Nach Ansicht der Kammer ist vielmehr auch erforderlich, dass der Fluggast tatsächlich verspätet befördert wird.

23. Zwar erfolgt auch bei einer Annullierung keine Beförderung des Fluggastes und trotzdem hat er Anspruch auf Zahlung der Ausgleichsleistung.

24. Den Klägern ist auch zuzugestehen, dass dann, wenn sie sich bei einer Verspätung, deren Dauer wie hier zunächst nicht absehbar war, erst nach längerer Zeit entscheiden, von dem Reisevertrag zurückzutreten, sie nahezu dieselben Einschränkungen erleiden wie die Passagiere, die dann an dem verspäteten Flug teilnehmen. Die Kläger haben nach ihrem Vortrag am 26.05.2011 den Reisevertrag gekündigt, also erst über 24 Stunden nach dem geplanten Abflugtermin.

25. Das von den Klägern angenommene Kriterium der „erheblichen Wartezeit“, bevor dann die Kündigung vom Reisevertrag oder Beförderungsvertrag erklärt wird, ist aber nicht geeignet, einen Maßstab für die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruches zu geben.

26. So wäre es den Klägern auch möglich gewesen, den Reisevertrag alsbald nach Ankündigung, dass der Flug verspätet durchgeführt wird, zu kündigen. In dem Fall hätte die von den Klägern als Begründung für die von ihnen vorgenommene Auslegung der Bestimmungen zur Ausgleichsleistung vorgegebene Wartezeit gerade nicht vorgelegen. Wenn der Fluggast alsbald nach Ankündigung der Verspätung den Reisevertrag kündigt, kann er wieder frei disponieren und ist deshalb nicht, wie die anderen Passagiere, die an dem verspäteten Flug teilnehmen, örtlich und zeitlich gebunden.

27. Nach den oben wiedergegebenen Entscheidungen des EuGH und des BGH ist es deshalb nach Ansicht der Kammer für die Zahlung der Ausgleichsleistung auf jeden Fall erforderlich, dass der Fluggast tatsächlich verspätet auf dem Zielflughafen landet, also auch an dem Flug als Passagier teilgenommen hat.

28. Nach alledem liegen hier die Anspruchsvoraussetzungen für eine Ausgleichszahlung nach der Verordnung nicht vor.

29. Die Berufung der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil war deshalb zurückzuweisen.

30. Mangels Hauptforderung liegen die Voraussetzungen zur Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten als Verzugsschaden nicht vor. Die Frage, ob dem Klägervertreter ein Anspruch auf Zahlung einer 1,5-Geschäftgebühr zustehen würde, brauchte deshalb nicht beantwortet zu werden (vgl. dazu jetzt BGH, Urteil vom 11.07.2012, Az: VIII ZR 323/11).

31. Als unterlegene Partei haben die Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO).

32. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO.

33. Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts und möglicherweise darüber hinaus im Wege der Vorlage durch den BGH nach Art. 234 EGV sogar des EuGH erfordert. Die Frage, ob die Zahlung der Ausgleichsleistung bei einer großen Verspätung die tatsächliche Teilnahme des Anspruchstellers an dem Flug voraussetzt, ist soweit ersichtlich noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden.

34. Es ist auch zu erwarten, dass diese Frage künftig in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich sein wird – bei der Kammer waren und sind mehrere Verfahren anhängig –, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Klärung erforderlich ist.

35. Die Bemessung des Gegenstandswertes ergibt sich aus dem Klageantrag in erster Instanz und dem Umfang der Anfechtung des amtsgerichtlichen Urteils durch die Kläger, wobei die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung (§ 4 Abs. 1 ZPO) außer Betracht zu bleiben hatten.

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