Ausgleichszahlung bei verspäteter Ankunft

AG Hannover: Ausgleichszahlung bei verspäteter Ankunft

Vorliegend nimmt der Kläger ein Luffahrtunternehmen auf eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Anspruch. Er buchte bei der beklagten Fluggesellschaft einen Flug, welcher aufgrund eines technischen Defekts Verspätung hatte. Bei der Landung herrschten derart schlechte Wetterbedingungen, dass diese umgeleitet werden musste und der Zielort erst mit einer Verspätung von 18h und 50 Minuten erreicht wurde.

Das Amtsgericht Hannover setzt das Verfahren vorerst aus und legt dem EuGH Fragen zur Entscheidung des Falles vor.

AG Hannover 506 C 2269/15 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 23.10.2015
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 23.10.2015, Az: 506 C 2269/15
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Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 23. Oktober 2015

Aktenzeichen 506 C 2269/15

Leitsatz:

2. Vom EuGH zu entscheiden ist, ob eine Inanspruchnahme des Luftfahrtunternehmens entfällt, wenn ein nicht vermeidbarer außergewöhnlichen Umstand nur deshalb eingreift, weil der betroffene Flug bereits vorher Verspätung hatte.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug von Hannover nach Funchal – Madeira.  Der Abflug verzögerte sich, da die Maschine einen technischen Defekt hatte und die Maschine ausgetauscht werden musste. Bei der Landung herrschten derart starke Seitenwinde, dass sie auf einem anderen Flughafen umgeleitet worden. Sie erreichten Funchal erst mit einer Verspätung von 18 Stunden und 50 Minuten.

Der Kläger verlangt nun von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung.

Das Amtsgericht Hannover setzt das Verfahren aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vor, die zur Beurteilung des Falles beantwortet werden müssen. Ein technischer Defekt stelle keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO dar, welcher die Fluggesellschaft vor einer Inanspruchnahme befreien könnte. Jedoch sei die Wetterlage ein solcher außergewöhnlicher Umstand.

So solle der EuGH nun entscheiden, ob eine Inanspruchnahme des Luftfahrtunternehmens entfällt, wenn ein nicht vermeidbarer außergewöhnlichen Umstand nur deshalb eingreift, weil der betroffene Flug bereits vorher Verspätung hatte.

 Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Ist der Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 auch dann ausgeschlossen, wenn ein nicht vermeidbarer außergewöhnlicher Umstand nur deshalb eingreift, weil der betroffene Flug bereits vorher Verspätung hatte?

Falls Frage 1 bejaht werden sollte: Kommt es darauf an, ob die erste Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen ist?

Falls Frage 1 bejaht werden sollte: Wie groß darf die vorherige Verspätung sein, um noch zu einem Ausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 zu gelangen?

 

Gründe:

5. Die Kläger haben bei der Beklagten den Flug mit der Nummer … von Hannover (HAJ) nach Funchal – Madeira (FNC) gebucht, den die Beklagte mit den Buchungsnummern … und … bestätigt hat.

6. Geplanter Abflugzeit für den Flug war am 18.11.2014, 9:20 Uhr (= 8:20 UTC), geplanter Ankunftszeit war um 12:25 Uhr (= 11:25 UTC).

7. An dem für den Flug geplanten Flugzeug der Beklagten unter der Kennung … wurde bei einer Inspektion am 18.11.2014 um 5:00 Uhr UTC ein technischer Defekt festgestellt, sodass die Maschine nicht wie geplant eingesetzt werden konnte. Die Beklagte hat daher für den streitgegenständlichen Zug eine Subchartermaschine der Fluggesellschaft Air Berlin eingesetzt. Diese Maschine ist um 10:51 Uhr UTC gestartet. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt eine Verspätung von 2 Stunden und 31 Minuten.

8. Als die Maschine dann den Flughafen in Funchal anflog, herrschten zu diesem Zeitpunkt derart starke Seitenwinde, dass eine Landung auf dem Flughafen nicht möglich war. Daher wurde die Maschine zunächst nach Porto Santo umgeleitet. Erst am 19.11.2014 um 7:40 Uhr UTC erfolgte die Landung auf dem Flughafen in Funchal. Die Verspätung betrug mithin 18 Stunden und 50 Minuten.

9. Die Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugin W hat insoweit ergeben, dass zum geplanten Ankunftszeitpunkt auf Funchal Windstärken herrschten, die noch eine Landung zuließen.

10. Die Entscheidung ist vorliegend von der Frage abhängig, ob zugunsten der Beklagten Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 eingreift.

11. Soweit lediglich auf den Zeitpunkt abgestellt wird, als sich die Maschine der Beklagten im Landeanflug befand und dann diesen aufgrund der eingetretenen Seitenwinde abbrechen musste, läge darin ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 VO (EG) Nr. 261/2004. Da ein Anfliegen des Flughafens in Funchal auch in der Folgezeit der Beklagten nicht möglich war, war sowohl der außergewöhnliche Umstand als auch die eingetretene Verspätung für die Beklagte unvermeidbar. Die Klage der Kläger müsste insoweit abgewiesen werden.

12. Vorliegend könnte auch darauf abgestellt werden, dass Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 nur dann eingreift, wenn der außergewöhnliche Umstand, der nunmehr zu der Verspätung geführt hat, auch dann den Flug getroffen hätte, wenn dieser plangemäß durchgeführt worden wäre. Dies ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme vorliegend nicht der Fall. Wäre der technische Defekt, der vorliegend keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt, nicht eingetreten und hätte dementsprechend die Beklagte mit dem ursprünglich geplanten Flugzeug den Flug durchführen können, hätte dieser noch am 18.11.2014 zu der geplanten Ankunftszeit auf Madeira landen können. Bei dieser Auslegung müsste der Klage stattgegeben werden.

13. In der Rechtsprechung ist umstritten, wie es sich auswirkt, wenn der Flug von einem außergewöhnlichen Umstand nur dadurch betroffen wird, weil sich der Flug verspätet hat. Die Problematik hat sich insbesondere beim Eingreifen von Nachtlandeverboten ergeben.

14. Ein Teil der Rechtsprechung stellt darauf ab, ob die Verspätung, die zum Eingreifen des außergewöhnlichen Umstands geführt hat, selbst auf einem außergewöhnlichen Umstand beruhte. Ist dies nicht der Fall, soll Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 nicht eingreifen (vgl. dazu AG Frankfurt, Urt. v. 24.6.2011 – 31 C 961/11 (16), RRa 2012, 135, 137; Urt. v. 2.8.2012 – 29 C 1297/12(46), RRa 2013, 144, 147; Urt. v. 8.2.2013 – 30 C 2290/12(47), RRa 2013, 190, 191; ähnlich auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 23.10.2013 – 3 C 729/13, ebenfalls zweifelnd LG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2012 – 13 S 93/11, RRa 2014, 144, 145).

15. Der andere Teil der Rechtsprechung stellt hingegen allein darauf ab, ob die Ankunftsverspätung auf dem letzten außergewöhnlichen Umstand beruht. Ist dies der Fall, greift Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ein (LG Darmstadt, Urt. v. 18.12.2013 – 7 S 90/12; AG Erding, Urt. v. 18.4.2011 – 2 C 1053/11, RRa 2012, 31, 32; AG Rüsselsheim, Urt. v. 5.4.2013 – 3 C 1499/12; Urt. v. 23.10.2013 – 3 C 729/13).

16. Das vorlegende Gericht tendiert dahin, auf die erstgenannte Ansicht abzustellen. Da der technische Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt, wäre die Klage insoweit abzuweisen.

17. Aufgrund der insoweit divergierenden Auffassung hat das Gericht den Rechtsstreit ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

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